Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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drei­ein­halb Jah­re, Herr Kom­missar.«

      Das Auge des »Bul­len«, wie es jetzt auf dem Kom­missar lag, hat­te et­was Rüh­ren­des.

      Aber der Kom­missar sag­te nur: »Ja, dann wird’s ja auch all­mäh­lich Zeit«, und ver­ließ das Re­vier.

      In der Prinz-Al­brecht-Stra­ße ließ er sich dann so­fort bei sei­nem di­rek­ten Vor­ge­setz­ten, dem SS-Ober­grup­pen­füh­rer Prall, mel­den. Er muss­te fast eine Stun­de war­ten; nicht, dass Herr Prall gra­de sehr be­schäf­tigt ge­we­sen wäre, oder doch, er war gra­de sehr be­schäf­tigt. Esche­rich hör­te das Klir­ren von Glä­sern, das Schnal­zen der Pfrop­fen, er hör­te Ge­läch­ter und Ge­schrei: eine der häu­fi­gen Zu­sam­men­künf­te hö­he­rer Füh­rer also. Ge­sel­lig­keit, Um­trunk, hei­te­re Zwang­lo­sig­keit, Er­ho­lung nach der schwe­ren Mühe, Mit­menschen zu quä­len und an den Gal­gen zu brin­gen.

      Der Kom­missar war­te­te ohne Un­ge­duld, ob­wohl er an die­sem Tage noch viel vor­hat­te. Er kann­te die Vor­ge­setz­ten im All­ge­mei­nen, und er kann­te die­sen Vor­ge­setz­ten im Be­son­de­ren. Da half kein Drän­geln, und wenn halb Ber­lin in Flam­men stand, wenn der sau­fen woll­te, so soff er erst mal. Das war so!

      Nach ei­nem Stünd­chen wur­de Esche­rich dann aber doch vor­ge­las­sen. Das Zim­mer mit den deut­li­chen Spu­ren ei­nes Trink­ge­la­ges sah ziem­lich wüst aus, und der Herr Prall, dun­kel­rot von Ar­ma­gnac glü­hend, sah auch ziem­lich wüst aus. Aber er sag­te leut­se­lig: »Da, Esche­rich! Schen­ken Sie sich doch auch ein Glas ein! Das sind die Früch­te un­se­res Sie­ges über Frank­reich: ech­ter Ar­ma­gnac, zehn­mal bes­ser als Ko­gnak. Zehn­mal? Hun­dert­mal! Wa­rum trin­ken Sie nicht?«

      »Bit­te um Ver­zei­hung, Herr Ober­grup­pen­füh­rer, ich habe heu­te noch ziem­lich viel zu tun, möch­te einen kla­ren Kopf be­hal­ten. Üb­ri­gens bin ich das Trin­ken nicht mehr ge­wohnt.«

      »Ach was, nicht ge­wohnt! Kla­rer Kopf, Flau­sen! Wozu brau­chen Sie einen kla­ren Kopf? Las­sen Sie je­mand an­ders Ihre Ar­beit tun, und schla­fen Sie sich aus. Prost, Esche­rich – auf un­sern Füh­rer!«

      Esche­rich pros­te­te mit, weil er muss­te. Er pros­te­te auch noch ein zwei­tes und ein drit­tes Mal mit, und er dach­te da­bei, wie die Ge­sell­schaft sei­ner Ka­me­ra­den zu­sam­men mit dem Al­ko­hol die­sen Mann ver­än­dert hat­te. Prall war sonst ei­gent­lich im­mer ganz er­träg­lich, nicht halb so schlimm wie hun­dert an­de­re Bur­schen, die mit ih­ren schwar­zen Uni­for­men in die­sem Bau her­um­lie­fen. Son­dern eher ein biss­chen zweif­le­risch, eben nur »kom­man­diert«, wie er mal ge­sagt hat­te, kei­nes­wegs von al­lem über­zeugt.

      Aber un­ter dem Ein­fluss von Ka­me­ra­den und Al­ko­hol wur­de er wie die: un­be­re­chen­bar, bru­tal, sprung­haft und be­reit, jede an­de­re An­sicht so­fort mit Stumpf und Stiel aus­zu­rot­ten, und sei es nur eine an­de­re An­sicht über das Trin­ken von Schnaps. Hät­te ihm Esche­rich das An­sto­ßen ernst­lich ver­wei­gert, so wäre er so si­cher ver­lo­ren ge­we­sen, wie wenn er den schlimms­ten Ver­bre­cher hät­te lau­fen­las­sen. Ja, ei­gent­lich wäre so was noch un­ver­zeih­li­cher ge­we­sen, weil es an eine per­sön­li­che Be­lei­di­gung grenz­te, wenn der Un­ter­ge­be­ne nicht so viel und so oft mit dem Vor­ge­setz­ten an­s­tieß, wie der wünsch­te.

      Esche­rich stieß also an, stieß mehr­mals an und trank mit.

      »Also, was gib­t’s, Esche­rich?«, sag­te dann Prall und ver­such­te, an sei­nem Schreib­tisch mög­lichst gra­de zu ste­hen, an ihm und durch ihn. »Was ha­ben Sie denn da?«

      »Ein Pro­to­koll«, er­klär­te Esche­rich. »Von mir auf­ge­nom­men in Sa­chen mei­nes Kla­bau­ter­manns. Ein paar an­de­re Be­rich­te und Pro­to­kol­le fol­gen noch, aber die­ses ist das wich­tigs­te. Bit­te, Herr Ober­grup­pen­füh­rer.«

      »Kla­bau­ter­mann?«, frag­te Prall, scharf nach­den­kend. »Das ist doch der Kerl mit den Kar­ten. Na, ist Ih­nen da doch was ein­ge­fal­len, Esche­rich, wie ich Ih­nen be­foh­len habe?«

      »Zu Be­fehl, Herr Ober­grup­pen­füh­rer. Wenn Herr Ober­grup­pen­füh­rer das Pro­to­koll le­sen wür­de?«

      »Le­sen? Nee, nicht jetzt. Spä­ter viel­leicht mal. Le­sen Sie jetzt mal vor, Esche­rich!«

      Aber er un­ter­brach die Vor­le­sung nach den ers­ten drei Sät­zen. »Wol­len erst noch mal einen ge­neh­mi­gen. Prost, Esche­rich! Heil Hit­ler!«

      »Heil Hit­ler, Herr Ober­grup­pen­füh­rer!«

      Und nach­dem er aus­ge­trun­ken hat­te, fing Esche­rich wie­der mit Vor­le­sen an.

      Aber nun war dem al­ko­ho­li­sier­ten Prall ein necki­sches Spiel ein­ge­fal­len. Im­mer, wenn Esche­rich drei, vier Sät­ze ge­le­sen hat­te, un­ter­brach er ihn mit ei­nem »Prost!«, und Esche­rich muss­te, nach­dem er auch ge­pros­tet hat­te, wie­der von vorn an­fan­gen. Nie ließ Prall ihn über die ers­te Sei­te hin­aus­kom­men, schon un­ter­brach er ihn mit ei­nem neu­en »Prost!«. Er sah wohl – trotz all sei­ner Be­sof­fen­heit –, wie es in dem Man­ne ar­bei­te­te, wie das schar­fe Ge­tränk ihm wi­der­stand, dass er zehn Mal die Lust hat­te, das Pro­to­koll hin­zu­le­gen und fort­zu­ge­hen (so leck mich doch am Arsch!), und wie er es nicht wag­te, weil der an­de­re eben der Vor­ge­setz­te war, wie er ku­schen muss­te, sich den Zorn nicht mer­ken las­sen durf­te …

      »Prost, Esche­rich!«

      »Dan­ke ge­hor­samst, Herr Ober­grup­pen­füh­rer! Prost!«

      »Na, nun le­sen Sie doch wei­ter, Esche­rich! Nee, fan­gen Sie noch mal wie­der von vor­ne an. Die eine Stel­le ist mir noch nicht ganz auf­ge­gan­gen. Im­mer ein lang­sa­mer Den­ker ge­we­sen …«

      Und Esche­rich las. Ja, jetzt wur­de er ge­nau­so ge­quält, wie er vor zwei Stun­den den schmäch­ti­gen Klu­ge ge­quält hat­te, ge­nau wie den plag­te auch ihn nur das Ver­lan­gen, aus der Tür her­aus­zu­kom­men. Aber er muss­te le­sen, le­sen und trin­ken, trin­ken und le­sen, so­lan­ge das dem an­de­ren be­lieb­te. Er fühl­te schon, wie es flo­ckig, wol­kig in sei­nem Kopf zog – sei­ne gute Ar­beit, ade! Ver­damm­te Zucht!

      »Prost, Esche­rich!«

      »Prost, Herr Ober­grup­pen­füh­rer!«

      »Na, denn le­sen Sie noch mal von An­fang an!«

      Bis die­ses Spiel dem Prall plötz­lich lang­wei­lig wur­de, bis er grob sag­te: »Ach, las­sen Sie doch die­se blö­de Vor­le­se­rei! Sie se­hen doch, ich bin be­sof­fen, wie soll ich denn da das Zeugs ka­pie­ren? Wol­len sich wohl mit Ihrem geist­rei­chen Pro­to­koll dicke­tun, was? An­de­re Be­rich­te fol­gen, sind nicht so wich­tig wie der vom großen Kri­mi­na­lis­ten Esche­rich! Wenn ich schon so was höre! Kurz und Furz: Ha­ben Sie den Kar­ten­schrei­ber ge­schnappt?«

      »Zu Be­fehl, nein, Herr Ober­grup­pen­füh­rer. Aber …«

      »Und warum kom­men Sie denn da zu mir? Wa­rum steh­len Sie mir mei­ne kost­ba­re Zeit und sau­fen mir den schö­nen Ar­ma­gnac weg?« Dies war nun schon rei­nes Ge­brüll. »Sie sind wohl ganz wahn­sin­nig ge­wor­den, Herr? Aber mit Ih­nen wer­de ich jetzt in ei­nem an­de­ren Ton re­den, Herr! Bin viel zu gut­mü­tig ge­we­sen, habe Sie zu frech wer­den las­sen, ver­stan­den?«

      »Zu Be­fehl, Herr Ober­grup­pen­füh­rer!« Und rasch, ehe das Ge­schrei von


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