Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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sie und ge­gen ihn aus­ge­rüs­tet. Aber er sah doch bald, dass die­se Frau wirk­lich nicht das Ge­rings­te mehr mit dem Man­ne zu tun hat­te und dass sie sehr we­nig von sei­nem Le­ben im letz­ten Jah­re wuss­te.

      Was sie wuss­te, er­zähl­te sie dem Kom­missar, nicht be­son­ders be­reit­wil­lig und nicht gra­de wi­der­spens­tig, son­dern völ­lig gleich­gül­tig. Die­ser Frau war es er­sicht­lich ganz gleich­gül­tig, was mit dem Mann wur­de, was er ge­tan hat­te oder nicht ge­tan hat­te. Der Kom­missar er­fuhr von ihr nur die Na­men von zwei oder drei Lo­ka­len, in de­nen Enno Klu­ge frü­her ver­kehrt hat­te, er hör­te von sei­ner Wett­lei­den­schaft und er­fuhr auch die Adres­se ei­ner ge­wis­sen Tut­ti He­be­kreuz, von der mal ein Brief in die Woh­nung ge­kom­men war. In die­sem Brief war Enno Klu­ge be­schul­digt wor­den, der He­be­kreuz Geld und Le­bens­mit­tel­kar­ten ge­stoh­len zu ha­ben. Nein, Frau Klu­ge hat­te dem Mann, als sie ihn das letz­te Mal sah, we­der den Brief aus­ge­hän­digt noch zu ihm da­von ge­spro­chen. Nur die Adres­se hat­te sie zu­fäl­lig be­hal­ten, als Brief­trä­ge­rin hat­te sie für Adres­sen ein be­son­ders gu­tes Ge­dächt­nis.

      Mit die­sem Wis­sen aus­ge­rüs­tet, war Kom­missar Esche­rich wie­der nach Ber­lin zu­rück­ge­kehrt. Er hat­te na­tür­lich, ge­treu sei­nem Grund­satz, Fra­gen zu stel­len, aber kei­ne zu be­ant­wor­ten, kein Wis­sen wei­ter­zu­ge­ben, ge­treu die­sem Grund­satz also hat­te Kom­missar Esche­rich sich ge­hü­tet, der Frau Eva Klu­ge eine An­deu­tung von dem Ver­fah­ren zu ma­chen, das ge­gen sie in Ber­lin lief. Das ging ihn nichts an. Viel brach­te er also nicht mit nach Hau­se, aber es war doch ein An­fang ge­macht, die Spur ei­ner Spur ge­wis­ser­ma­ßen – und er konn­te dem Prall doch zei­gen, dass er et­was tat, nicht nur war­te­te. Da­rauf kam es den Her­ren oben doch al­lein an, dass et­was ge­tan wur­de, moch­te es auch das Fal­sche sein, wie ja der gan­ze Fall Klu­ge falsch war. Aber War­ten ver­tru­gen die Her­ren nicht.

      Die Er­kun­di­gun­gen bei der He­be­kreuz ver­lie­fen er­folg­los. Sie hat­te den Klu­ge in ei­nem Café ken­nen­ge­lernt, sie kann­te auch sei­ne Ar­beits­stel­le. Er hat­te zwei­mal ei­ni­ge Wo­chen bei ihr lo­giert, ja­wohl, das war rich­tig, sie hat­te ihm we­gen Geld und Le­bens­mit­tel­kar­ten ge­schrie­ben. Aber das hat­te er bei sei­nem zwei­ten Be­such auf­ge­klärt, die hat­te ein an­de­rer Un­ter­mie­ter ge­klaut, nicht der Enno.

      Dann war er wie­der ab­ge­hau­en, ohne ihr was zu sa­gen, wohl zu ir­gend­ei­nem Weib, das war so En­nos Art. Nein, sie hat­te na­tür­lich nie et­was mit ihm ge­habt. Nein, sie hat­te kei­ne Ah­nung, wo­hin er ge­zo­gen war. Aber hier in die­ser Ge­gend war er be­stimmt nicht, sonst hät­te sie längst mal von ihm ge­hört.

      In den bei­den Knei­pen war er be­kannt un­ter dem Na­men Enno, ja­wohl. Er hat­te sich lan­ge nicht se­hen las­sen, nein, aber er kam im­mer mal wie­der. Ja­wohl, Herr Kom­missar, wir las­sen uns nichts mer­ken. Wir sind so­li­de Knei­piers, bei uns ver­keh­ren nur an­stän­di­ge Leu­te, die In­ter­es­se für den ed­len Rennsport ha­ben. Wir wer­den Ih­nen so­fort einen Wink ge­ben, wenn er wie­der auf­taucht. Heil Hit­ler, Herr Kom­missar!

      Kom­missar Esche­rich setz­te zehn Leu­te an, die bei al­len Buch­ma­chern und Knei­piers im Nor­den und Os­ten Ber­lins Nach­fra­ge nach Enno Klu­ge hal­ten soll­ten. Und wäh­rend Esche­rich das Er­geb­nis die­ser Ak­ti­on ab­war­te­te, ge­sch­ah ihm das zwei­te Merk­wür­di­ge: plötz­lich schi­en es ihm nicht mehr ganz aus­ge­schlos­sen, dass die­ser Enno Klu­ge doch et­was mit den Kar­ten zu tun hat­te. Zu merk­wür­di­ge Zu­sam­men­hän­ge geis­ter­ten um die­sen Bur­schen: die beim Arzt ge­fun­de­ne Kar­te, und dann die Ehe­frau, erst glü­hen­de Na­zis­tin und dann plötz­lich die­ser An­trag, aus der Par­tei aus­tre­ten zu dür­fen, ver­mut­lich, weil der Sohn in der SS et­was ge­tan hat­te, was der Mut­ter nicht ge­fiel. Al­les um die­sen klei­nen Kerl en­de­te ir­gend­wie im Po­lit­schen, und Esche­rich hat­te gra­de ihn für po­li­tisch völ­lig gleich­gül­tig ge­hal­ten. Vi­el­leicht war der Enno Klu­ge viel ge­rie­be­ner, als der Kom­missar ge­dacht hat­te, viel­leicht hat­te er auch an­de­ren Dreck am Ste­cken als die­se Kar­te, aber Dreck hat­te er zu ver­schar­ren, das schi­en fast si­cher.

      Dies be­stä­tig­te auch der As­sis­tent Schrö­der, mit dem der Kom­missar zur Auf­fri­schung sei­nes Ge­dächt­nis­ses den gan­zen Fall noch ein­mal lang­sam durch­sprach. Auch der As­sis­tent Schrö­der hat­te das Ge­fühl ge­habt, mit dem Klu­ge stimm­te was nicht, er ver­barg et­was. Nun, man wür­de ja se­hen, in die­ser Sa­che wür­de bald et­was er­fol­gen. Der Kom­missar hat­te das im Ge­fühl, und in sol­chen Din­gen täusch­te ihn sein Ge­fühl nur sel­ten.

      Und die­ses Mal täusch­te es ihn wirk­lich nicht. Es ge­sch­ah in die­sen Ta­gen der Be­dro­hung und des Är­gers, dass dem Kom­missar ge­mel­det wur­de, ein ge­wis­ser Bark­hau­sen bit­te, ihn spre­chen zu dür­fen.

      Bark­hau­sen?, frag­te sich Kom­missar Esche­rich. Bark­hau­sen? Was soll denn das für ein Bark­hau­sen sein? Ach so, ich weiß schon, die­ser klei­ne Spit­zel, der für acht Gro­schen sei­ne Mut­ter ver­ra­ten wür­de.

      Und laut: »Soll rein­kom­men!« Als der Bark­hau­sen aber ein­trat, sag­te er zu ihm: »Wenn Sie mir aber nur was über die Per­sickes er­zäh­len wol­len, kön­nen Sie gleich wie­der kehrt­ma­chen!«

      Der Bark­hau­sen sah den Kom­missar fest an und schwieg. Er tat so dar, dass er doch be­ab­sich­tig­te, über die Per­sickes zu re­den.

      »Na also!«, sag­te der Kom­missar. »Wa­rum ma­chen Sie nicht kehrt, Bark­hau­sen?«

      »Der Per­si­cke hat doch den Ra­dio von der Ro­sen­thal, Herr Kom­missar«, sag­te er vor­wurfs­voll. »Ich weiß es jetzt ge­nau, ich habe …«

      »Die Ro­sen­thal?«, frag­te Esche­rich. »Das ist doch die olle Jüd­sche, die in der Ja­blons­ki­stra­ße aus dem Fens­ter ge­sprun­gen ist?«

      »Das ist sie!«, be­stä­tig­te Bark­hau­sen. »Und den Ra­dio hat er ihr ein­fach ge­klaut, das heißt, da war sie schon tot, aber aus der Woh­nung …«

      »Nun will ich Ih­nen mal was sa­gen, Bark­hau­sen«, er­klär­te Esche­rich. »Ich habe mich mit dem Kom­missar Rusch über den Fall be­spro­chen. Wenn Sie da­mit nicht auf­hö­ren, ge­gen die Per­sickes stän­dig an­zu­stän­kern, so fah­ren wir hier mit Ih­nen Schlit­ten. Wir wol­len von die­ser Ge­schich­te kein Wort mehr hö­ren – und von Ih­nen schon gar nicht! Sie sind der Al­ler­letz­te, der in die­ser Sa­che rum­sto­chern dürf­te. Ja, Sie, Bark­hau­sen!«

      »Aber er hat den Ra­dio doch ge­klaut …«, fing Bark­hau­sen mit je­ner stu­ren Hart­nä­ckig­keit wie­der an, die nur blin­der Hass ver­leiht. »Wo ich es ihm doch di­rekt be­wei­sen kann …«

      »Jetzt nur noch raus, Bark­hau­sen, oder ich las­se Sie ab­füh­ren, hier bei uns in den Kel­ler!«

      »Dann gehe ich aufs Prä­si­di­um am Alex!«, er­klär­te Bark­hau­sen tief ge­kränkt. »Was Recht ist, muss Recht blei­ben, und ge­klaut ist ge­klaut …«

      Aber Esche­rich war et­was an­de­res ein­ge­fal­len, näm­lich sein Fall Kla­bau­ter­mann, der fast stän­dig sei­ne Ge­dan­ken be­schäf­tig­te. Er hör­te gar nicht mehr auf den Idio­ten. »Sa­gen Sie mal, Bark­hau­sen«, sag­te er, »Sie ken­nen doch auch einen Hau­fen Leu­te und ge­hen viel in die Knei­pen? Ken­nen Sie viel­leicht einen ge­wis­sen Enno Klu­ge?«

      Bark­hau­sen,


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