Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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fand ihn nach lan­gem ver­geb­li­chem Ru­fen im Kel­ler, wie er auf dem Rand der Sand­kis­te saß und vor sich hin dös­te; das halb mit Sand ge­füll­te Ei­mer­chen stand vor ihm – und sie war­te­te schon zehn Mi­nu­ten dar­auf!

      Er fuhr zu­sam­men, wenn sie ihn ein we­nig scharf an­rief: »Enno, wo bleibst du bloß? Ich war­te mir die See­le aus dem Lei­be!«

      Wie ein er­schro­cke­ner Schul­jun­ge sprang er auf. »Ein biss­chen ein­ge­d­öst«, mur­mel­te er ver­le­gen und fing lang­sam zu schip­pen an. »Kom­me gleich, Frau Che­fin, soll auch nicht wie­der pas­sie­ren.«

      Mit sol­chen klei­nen Scher­zen ver­such­te er dann, sie zu ver­söh­nen.

      Nein, in kei­ner Hin­sicht ein großes Kir­chen­licht, die­ser Enno, so­weit sah sie jetzt schon klar, aber er tat, was er konn­te. Und da­bei gut zu lei­den, höf­lich, um­gäng­lich, an­schmieg­sam, ohne er­sicht­li­che Las­ter. Dass er ein biss­chen sehr viel Zi­ga­ret­ten rauch­te, das sah sie ihm nach. Sie rauch­te sel­ber ger­ne mal eine, wenn sie ab­ge­spannt war …

      Mit ih­ren Be­sor­gun­gen aber hat­te Frau Hete an die­sem Tage Pech. Das Ge­schäft von Löbe in Dah­lem war ge­schlos­sen, als sie hin­kam, man konn­te ihr auch nicht sa­gen, wann Herr Löbe zu­rück­kam. Nein, ein­ge­zo­gen war er noch nicht, aber er hat­te jetzt wohl vie­le Gän­ge durch sei­ne Ein­be­ru­fung. Vor­mit­tags ab zehn Uhr war das Ge­schäft sonst im­mer ge­öff­net ge­we­sen – viel­leicht ver­such­te sie es mor­gen Vor­mit­tag?

      Sie dank­te und fuhr zu ih­rer Schnei­de­rin. Vor dem Hau­se aber blieb sie er­schro­cken ste­hen. In der Nacht war eine Flie­ger­bom­be hin­ein­ge­gan­gen, das Haus war nur noch eine Rui­ne. Die Leu­te gin­gen ei­lig dar­an vor­über, man­che mit ab­sicht­lich ab­ge­wand­ten Ge­sich­tern, die das Grau­en der Zer­stö­rung nicht se­hen woll­ten oder die Angst hat­ten, ihre Er­bit­te­rung nicht ver­ber­gen zu kön­nen, an­de­re be­son­ders lang­sam (Po­li­zei sorg­te da­für, dass nie­mand ste­hen blieb), ent­we­der mit sorg­los lä­cheln­den, neu­gie­ri­gen Ge­sich­tern oder mit ei­nem fins­te­ren, fast dro­hen­den Blick die Ver­wüs­tung mus­ternd.

      Ja, Ber­lin wur­de jetzt öf­ter in den Kel­ler ge­schickt, und jetzt fie­len auch im­mer häu­fi­ger Bom­ben und die ge­fürch­te­ten Phos­phor­ka­nis­ter. Im­mer öf­ter wur­de jetzt auch das Wort Gö­rings zi­tiert, er wol­le Mei­er hei­ßen, wenn sich ein feind­li­ches Flug­zeug über Ber­lin se­hen lie­ße. In der ver­gan­ge­nen Nacht hat­te Frau Hete auch im Kel­ler ge­ses­sen, al­lein, denn sie woll­te nicht, dass Enno schon jetzt als ihr of­fi­zi­el­ler Freund und Haus­ge­nos­se ge­se­hen wur­de. Sie hat­te das Sur­ren der Flie­ger über sich ge­hört, die­ses ner­ven­zer­rüt­ten­de Geräusch, wie wenn im­mer wie­der eine Mücke sirrt und surrt. Das Geräusch von Ein­schlä­gen hat­te sie nicht ge­hört, ihre Ge­gend war bis­her noch ganz ver­schont ge­blie­ben. Die Leu­te er­zähl­ten ja, die Eng­län­der woll­ten den Ar­bei­tern nichts tun, sie woll­ten nur die fei­nen Fa­mi­li­en im Wes­ten er­le­di­gen …

      Die Schnei­de­rin war kein rei­cher Mensch ge­we­sen, nun hat­te es sie doch ge­trof­fen. Frau Hete Hä­ber­le such­te von ei­nem Schutz­mann zu er­fah­ren, wo die Schnei­de­rin ge­blie­ben, ob ihr et­was ge­sche­hen sei. Der Schutz­mann be­dau­er­te, kei­ne Aus­kunft ge­ben zu kön­nen. Vi­el­leicht gin­ge die Dame mal aufs Re­vier, oder sie er­kun­dig­te sich auch auf der nächs­ten Stel­le des Luft­schutz­bun­des?

      Aber dazu hat­te Frau Hete jetzt kei­ne Ruhe. So leid ihr die Schnei­de­rin auch tat und so ger­ne sie et­was über ihr Er­ge­hen er­fah­ren hät­te, es dräng­te Hete jetzt nach Haus. Im­mer, wenn man so et­was sah, dräng­te es einen nach Haus. So­fort muss­te man sich dort über­zeu­gen, dass auch al­les in Ord­nung war. Es war tö­richt, man wuss­te es, aber man fuhr doch los. Man muss­te sich erst mit ei­ge­nen Au­gen über­füh­ren, dass dort nichts ge­sche­hen war.

      Aber lei­der war doch et­was ge­sche­hen mit der klei­nen Tier­hand­lung am Kö­nigs­tor. Nichts Tra­gi­sches, ge­wiss nicht, und doch er­schüt­ter­te es Frau Hä­ber­le tief, tiefer als man­ches Er­leb­nis in vie­len Jah­ren. Frau Hä­ber­le fand den Roll­la­den vor dem La­den hin­un­ter­ge­las­sen, und an ihm war ein Schild fest­ge­macht, ein Schild mit der dum­men In­schrift, über die sie sich im­mer em­pört hat­te: »Kom­me gleich wie­der.« Und dar­un­ter: »Frau Hed­wig Hä­ber­le.«

      Dass un­ter die­sem Zet­tel auch noch ihr Name stand, dass sie mit ih­rem gu­ten Na­men die­se Lie­de­rei und Pf­licht­ver­ges­sen­heit de­cken muss­te, das be­lei­dig­te sie fast eben­so tief wie der Ver­trau­ens­bruch, den Enno be­gan­gen hat­te. Hin­ter ih­rem Rücken fort­ge­schli­chen, und hin­ter ih­rem Rücken hät­te er auch wie­der auf­ge­macht, hät­te ihr kein Wort da­von ge­sagt, dass er sie be­lo­gen hat­te. Und wie dumm da­bei, wie über­aus dumm, denn es war doch fast si­cher, dass eine ih­rer Stamm­kun­din­nen sie frag­te: »Ges­tern Nach­mit­tag zu­ge­habt? Un­ter­wegs ge­we­sen, Frau Hä­ber­le?«

      Sie kommt über den Haus­flur in ihre Woh­nung. Dann zieht sie den La­den vor ih­rer La­den­tür hoch, öff­net die Tür. Sie war­tet, bis der ers­te Kun­de kommt, nein, sie möch­te jetzt gar nicht, dass er kommt. Solch ein Ver­rat hin­ter ih­rem Rücken – in ih­rer gan­zen Ehe mit Wal­ter hat es nie so et­was ge­ge­ben. Im­mer hat­ten sie vol­les Ver­trau­en zu­ein­an­der, und nie hat­te ei­nes je das Ver­trau­en des an­de­ren ge­täuscht. Und nun dies! Sie hat­te ihm doch nicht die ge­rings­te Ver­an­las­sung ge­ge­ben!

      Die ers­te Kun­din kommt, sie wird von ihr be­dient; aber als Hete ihr auf einen Zwan­zig­mark­schein her­aus­ge­ben will und die La­den­kas­se auf­zieht, ist die leer. Es war reich­lich Wech­sel­geld in der Kas­se, als sie fort­ging, an die hun­dert Mark. Und nun ist die Kas­se leer. Sie be­zwingt sich, sie holt aus ih­rer Hand­ta­sche Geld, gibt her­aus, fer­tig! Die La­den­tür bim­melt.

      Ja, jetzt möch­te sie den La­den zu­schlie­ßen und ganz mit sich al­lein sein. Ihr fällt ein – wäh­rend sie im­mer wei­ter Kund­schaft ab­fer­tigt –, dass es ihr in den letz­ten Ta­gen schon ein paar­mal so vor­ge­kom­men war, als kön­ne die Kas­se nicht ganz stim­men, als müs­se die Ta­ges­lo­sung hö­her sein. Da­mals hat sie sol­che Ge­dan­ken un­mu­tig ver­jagt. Was soll­te Enno auch mit dem Gel­de an­fan­gen? Er kam ja gar nicht aus dem Hau­se, war im­mer un­ter ih­ren Au­gen!

      Aber jetzt denkt sie dar­an, dass die Toi­let­te auf der hal­b­en Trep­pe liegt und dass er viel mehr Zi­ga­ret­ten ge­raucht hat, als er in sei­nem Köf­fer­chen mit­ge­bracht ha­ben kann. Si­cher hat er je­man­den im Hau­se ge­fun­den, der ihm Zi­ga­ret­ten holt, schwarz ge­kauf­te, ohne Kar­te, hin­ter ih­rem Rücken! Wie schmäh­lich und ge­mein! Sie hät­te ihn lie­bend ger­ne mit Zi­ga­ret­ten ver­sorgt, er hät­te nur den Mund auf­tun müs­sen!

      In die­sen an­dert­halb Stun­den bis zum Wie­der­auf­tau­chen En­nos kämpft Frau Hä­ber­le einen schwe­ren Kampf mit sich. In den letz­ten Ta­gen hat sie sich dar­an ge­wöhnt, dass wie­der ein Mann im Hau­se ist, dass sie nicht mehr al­lein ist, son­dern für je­man­den zu sor­gen hat, für je­man­den, den sie ger­ne hat. Aber wenn der Mann so ist, wie es jetzt den An­schein hat, so muss sie die Lie­be aus­rei­ßen aus ih­rem Her­zen! Bes­ser al­lein sein, als in solch ewi­gem Miss­trau­en und in sol­cher grau­en­vol­len Angst le­ben! Sie kann ja nicht mehr um die Ecke in den Grün­kram ge­hen, schon muss sie Angst ha­ben, er be­trügt sie wie­der!

      Und dann fällt Hete ein, dass es ihr auch so vor­ge­kom­men


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