Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
Читать онлайн книгу.käme heute noch bei ihm vorbei!«
»Also machen Sie jetzt keine langen Geschichten und kommen Sie mit!«, wiederholte stur der andere.
»Das haben Sie wohl auswendig gelernt, was anderes können Sie wohl nicht pfeifen wie das ›Kommen Sie mit!‹?«, schrie Barkhausen jetzt zornig. »Du kannst wohl nicht kapieren, was ich dir sage? Ewig ›Kommen Se mit‹! Das kannst du wohl nicht begreifen, dass ich dir sage, ich warte hier auf Bescheid, ich muss hier sitzen, sonst geht der Hase mir aus der Schlinge? Das ist wohl zu hoch für dich?« Er sah sein Gegenüber ein wenig atemlos an. Dann setzte er mürrisch hinzu: »Den Hasen soll ich nämlich für den Kommissar fangen, verstehen Sie?«
Der ehemalige Feldwebel sagte ungerührt: »Von all dem weiß ich nichts. Der Kommissar hat zu mir gesagt: Fritsche, hol den Barkhausen. Also kommen Se schon!«
»Nee!«, sagte Barkhausen, »du bist mir zu dämlich. Ich bleibe – oder willst du mich verhaften?« Er sah es dem anderen an der Nase an, dass er das nicht konnte. »Also hau schon ab!«, rief er und schlug dem die Tür vor der Nase zu.
Drei Minuten darauf sah er den alten Feldwebel über den Hof abtrümmern, der hatte es sich anders überlegt, das »Kommen Se mit«!
Und sobald der Mann durch die Toreinfahrt des Vorderhauses verschwunden war, überkam Barkhausen Angst wegen der Folgen, die sein freches Auftreten vor dem Sendboten des allmächtigen Kommissars haben konnte. Nur der Zorn über diesen Kuno-Dieter hatte ihn dazu gebracht. Es war eine Unverschämtheit, den Vater Stunden um Stunden sitzenzulassen, womöglich bis in die Nacht hinein. Überall gab es Bengels, an jeder Straßenecke gab es jemand, den man mit einer Botschaft schicken konnte! Aber er würde es dem Kuno schon zeigen, was er von seinem Benehmen hielt, er sollte sich solche Witzchen nicht ungestraft erlauben!
Barkhausen schwelgte ordentlich in Fantasien, wie er den Burschen vermöbeln wollte. Er sah sich beim Prügeln dieses kindlichen Körpers, und ein Lächeln lag auf seinem Gesicht, aber es war kein Lächeln abklingender Wut … Er hörte ihn schreien, und er legte ihm die eine Hand auf den schreienden Mund, während die andere weiterschlug, so lange weiterschlug, bis der ganze Junge zitterte und sein Mund nur noch wimmerte …
Barkhausen wurde es nicht müde, sich diese Bilder immer wieder vorzustellen. Dabei streckte er sich auf seinem Sofa und stöhnte wollüstig.
Beinah kam ihm der Junge, endlich der Sendbote Kuno-Dieters, störend, der jetzt klopfte. »Was ist?«, fragte er kurz.
»Ich soll Sie zu Kuno bringen.«
Diesmal war es ein großer Junge von vierzehn oder fünfzehn Jahren in der HJ-Bluse.
»Aber erst geben Sie mir mal fünf Mark.«
»Fünf Mark!«, grollte Barkhausen und wagte sich diesem großen Bengel im braunen Hemd doch nicht offen zu widersetzen. »Fünf Mark! Ihr Jungens könnt ja fein mit meinem Gelde rumschmeißen!« Er suchte zwischen den Scheinen.
Der große HJ-Junge sah gespannt auf den Packen Geld in der Hand des anderen. »Ich hab Fahrgeld ausgegeben«, sagte er. »Und dann, was denken Sie, was ich für Zeit versäumt habe, ganz aus dem Westen bis hier?«
»Und deine Zeit kostet viel Geld, was?« Barkhausen hatte den richtigen Schein immer noch nicht gefunden. »Und Westen, das sagst du so, Westen kann nie stimmen! Was bei dir wohl Westen ist? Vielleicht meinst du Stadtmitte, das könnte noch eher passen!«
»Na, wenn die Ansbacher nicht im Westen ist …«
Zu spät sah der Junge, dass er sich verplappert hatte. Barkhausen hatte die Scheine schon weggesteckt. »Danke!«, lachte er spöttisch. »Du brauchst deine teure Zeit nicht weiter zu versäumen. Ich find jetzt schon allein. Am besten fahre ich wohl mit der Untergrundbahn zum Viktoria-Luise-Platz, was?«
»Das machen Sie nicht mit mir! So was werden Sie nicht mit mir machen!«, sagte der HJ-Bengel und trat mit geballten Fäusten auf den Mann zu. Seine dunklen Augen leuchteten vor Zorn. »Ich habe Fahrgeld ausgegeben, ich habe …«
»Du hast deine kostbare Zeit versäumt, weiß schon!«, lachte Barkhausen. »Hau ab, mein Sohn, Doofheit hat immer Geld gekostet!« Plötzlich fasste ihn wieder die Wut. »Was stehst du hier noch rum in meiner Stube? Willst du mich in meiner eigenen Stube vertrimmen? Mach, dass du jetzt rauskommst, oder ich lass dich dein eigenes Geschrei hören!«
Er drängelte roh den erzürnten Jungen aus dem Zimmer, schlug die Tür vor seiner Nase zu. Und den ganzen Weg, bis sie aus der Untergrundbahn am Viktoria-Luise-Platz stiegen, hatte er abwechselnd spöttische und zornige Bemerkungen für diesen Bengel, der nicht von seiner Seite wich, der aber – obwohl blass vor Zorn – doch nicht mehr mit einem einzigen Wort auf alle seine Anzapfungen einging.
Oben auf dem Viktoria-Luise-Platz, aus dem Schacht der U-Bahn kommend, setzte sich der Junge plötzlich in Trab und war dem Manne weit voraus. Barkhausen musste sich entschließen, ihm so rasch, wie es nur ging, nachzueilen: Allzu lange wollte er die beiden Bengels nicht miteinander reden lassen. Er war sich nicht ganz sicher, für wen sich Kuno-Dieter entscheiden würde, für seinen Vater oder für diese Sautöle.
Sie standen wirklich vor einem Haus der Ansbacher. Der HJ-Junge redete eifrig auf Kuno-Dieter ein, der mit gesenktem Kopf ihn anhörte. Als Barkhausen herankam, zog sich der Bote zehn Schritte zurück und ließ die beiden allein miteinander reden.
»Was denkst du dir eigentlich, Kuno-Dieter?«, fing Barkhausen zornig an. »Dass du mir ewig solche Kerle auf den Hals schickst, unverschämte Burschen, die vorneweg ihr Geld fordern?«
»Ohne Jeld tut keener wat, Vata«, antwortete Kuno-Dieter gleichmütig. »Det weeßte ja selbst. Und ick will ooch wissen, wat ick bei dem Jeschäft vadiene, ick hab Fahrjeld ausjejem …«
»Immer dieselbe Tour, dass euch aber gar nischt anderes einfällt! Nee, Kuno-Dieter, jetzt sagste deinem Vater erst mal ordentlich, was hier eigentlich los ist in der Ansbacher, und denn wirste ja sehn, wat dein Vata für dich tut. Dein Vata ist gar nicht so, nur Drängeln, Drängeln verträgt dein Vater nicht!«
»Nee, Vata«, sagte Kuno-Dieter wieder. »Ick hab Angst, du vajisst et nachher mit dem Bezahln – det Jeld natürlich. Maulschellen wirste schon zum Bezahln haben. Du hast schon ’ne Masse Jeld in diese Sache bekommen und wirst wohl noch mehr dabei erben, denk ick. Ick stehe hier nu schon den janzen Tag for dir rum, ohne Essen, da will ick ooch ma Jeld sehn. Ick habe jedacht, fuffzig Mark …«
»Fünfzig Mark!« Es verschlug Barkhausen fast die Luft, als er diese unverschämte Forderung hörte. »Ick wer dir saren, wat ick dir jebn werde. Ick wer dir fünf Mark jebn, jenau die fünf Mark, die der Lulatsch da haben wollte, und darüber wirste dir jefälligst noch freun! Ick bin nich so, aba …«
»Nee,