Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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      »Denn jeh ick da ruff«, sag­te Kuno-Die­ter ent­schlos­sen, »und sare dem Klee­nen, det de uff ihn passt. Denn vapfeif ick dir, Vata!«

      »Du ver­damm­ter Rotz­jun­ge, du!«, schrie Bark­hau­sen und schlug nach dem Soh­ne.

      Aber der lief schon, lief in den Ne­ben­ein­gang des Hau­ses hin­ein. Bark­hau­sen lief ihm nach, folg­te ihm über den Hof, und auf der un­ters­ten Trep­pe des Hin­ter­hau­ses hol­te er ihn ein. Er schlug ihn zu Bo­den und fing dann an, auf den Lie­gen­den, mit den Fü­ßen Sto­ßen­den ein­zu­prü­geln. Es war bei­na­he so, wie er es sich vor­her auf dem Sofa aus­ge­malt hat­te, nur Kuno-Die­ter schrie nicht, son­dern wehr­te sich mit ver­bis­se­ner Wut. Das stei­ger­te Bark­hau­sens Zorn noch. Mit vol­ler Über­le­gung schlug er dem Jun­gen ins Ge­sicht und trat mit den Fü­ßen nach sei­nem Bauch. »Dir Aas will ick det schon wei­sen!«, keuch­te er, und ein ro­ter Ne­bel schwamm vor sei­nen Au­gen.

      Plötz­lich fühl­te er, wie ihn was von hin­ten pack­te, je­mand hielt sei­nen Arm fest. Et­was riss an dem einen, et­was an dem an­de­ren Bein. Er sah sich has­tig um: Es war die­ser Hit­ler­jun­ge, es war eine gan­ze Rot­te Ben­gels, Halb­star­ke, vier oder fünf Bur­schen, die sich da auf ihn ge­stürzt hat­ten. Er muss­te von Kuno-Die­ter ab­las­sen, er muss­te sich die­ser Ben­gels er­weh­ren, von de­nen er je­den Ein­zel­nen mit ei­ner Hand hät­te nie­der­schla­gen kön­nen, die aber in ih­rer Ge­samt­heit ihm höchst ge­fähr­lich wer­den konn­ten.

      »Ihr ver­damm­te, fei­ge Ban­de!«, schrie er und ver­such­te, den Jun­gen, der ihm auf dem Rücken hing, durch Ram­men ge­gen die Wand los­zu­wer­den. Aber sie ris­sen ihm die Bei­ne un­ter dem Lei­be weg. Sie brach­ten ihn zu Fall.

      »Kuno!«, keuch­te er. »Hilf dei­nem Va­ter! Die fei­ge Ban­de …«

      Aber Kuno half sei­nem Va­ter nicht. Jetzt hat­te er sich auf­ge­rap­pelt, und er war es, der den ers­ten Schlag in Bark­hau­sens Ge­sicht führ­te.

      Ein mur­ren­des Brum­men, fast ein tie­fes Stöh­nen, kam aus der Brust des Man­nes. Dann roll­te er sich mit den Ben­gels auf dem Bo­den, im­mer be­strebt, die an ihm Hän­gen­den ge­gen Stu­fen und Wän­de zu sto­ßen, sie zu quet­schen, um wie­der auf die Bei­ne zu kom­men.

      Jetzt war nur noch das atem­lo­se Stöh­nen der Kämp­fen­den zu hö­ren, das Geräusch von Schlä­gen, das Schar­ren der Füße … Wort­los, in wil­des­ter Er­bit­te­rung kämpf­ten sie.

      Eine alte Dame, die die Trep­pe hin­ab­kam, blieb vor Ent­set­zen ste­hen, als sie den wil­den Kampf zu ih­ren Fü­ßen sah. Sie klam­mer­te sich an das Ge­län­der, sie rief hilf­los: »Aber! Aber nein –! In un­serm gu­ten Haus!«

      Ihr veil­chen­far­be­ner Um­hang wall­te. Dann ent­schloss sie sich und stieß einen wil­den Ent­set­zens­schrei aus.

      Die Jun­gen ris­sen sich von Bark­hau­sen los und ver­schwan­den. Der Mann setz­te sich auf und starr­te die alte Dame wild an.

      »So ’ne Ban­de!«, keuch­te er. »Wol­len ’nen ol­len Mann ver­soh­len, und der ei­ge­ne Jun­ge da­bei!«

      Auf den Schrei der al­ten Dame hat­ten sich ein paar Tü­ren ge­öff­net, ein paar Nach­barn ka­men ängst­lich her­vor und flüs­ter­ten mit­ein­an­der, auf den sit­zen­den Mann bli­ckend.

      »Die ha­ben sich ge­prü­gelt!«, pieps­te die alte Veil­chen­far­be­ne. »Die ha­ben sich in un­serm gu­ten Haus ge­prü­gelt!«

      Bark­hau­sen be­sann sich. Wenn Enno Klu­ge jetzt hier wohn­te, so war es höchs­te Zeit für ihn, zu ver­schwin­den. Je­den Au­gen­blick konn­te auch er auf­tau­chen, neu­gie­rig zu se­hen, was die­ser Tru­bel be­deu­te­te.

      »Hab nur mei­nen Jun­gen ein biss­chen ab­ge­wa­ckelt«, er­klär­te er grin­send den ihn schwei­gend an­star­ren­den Mie­tern. »Hat nichts zu sa­gen. Al­les in Ord­nung. Al­les in bes­ter But­ter.«

      Er stand auf und ging über den Hin­ter­hof, durch den »Gar­ten«, wie­der auf die Stra­ße, wo­bei er an sei­nen Klei­dern her­um­strich und den Schlips neu band. Von den Ben­gels war na­tür­lich kei­ne Spur mehr zu se­hen. Na war­te, der Kuno-Die­ter soll­te ihn heu­te Abend ken­nen­ler­nen! Ge­gen sei­nen ei­ge­nen Va­ter zu kämp­fen, als Ers­ter ihm ins Ge­sicht zu schla­gen! Kei­ne Otti in der Welt soll­te sich schüt­zend vor ihn stel­len kön­nen! Nee, die konn­te auch noch eine Wucht be­zie­hen für die­ses ver­damm­te Kuckucksei, das sie ihm da ins Nest ge­legt hat­te!

      Wäh­rend Bark­hau­sen das Haus un­ter Be­wa­chung hält, steigt sein Zorn ge­gen die­sen Kuno-Die­ter im­mer mehr. Er wird aber fast be­sin­nungs­los, als er ent­deckt, dass die Ben­gels ihm beim Kampf das gan­ze Pa­ket Schei­ne aus der Ta­sche ge­stoh­len ha­ben. Nur ein paar ein­zel­ne Mark in der Wes­ten­ta­sche sind ihm ge­blie­ben. So ein Sau­volk, sol­che ver­damm­te Zucht, ihn so an­zu­schei­ßen. Am liebs­ten stürz­te er auf der Stel­le los, sie zu fin­den, Gu­lasch aus ih­nen zu ma­chen, sich sein Geld wie­der­zu­ho­len!

      Und er stürzt auch schon los.

      Als er sich be­sinnt: er kann doch nicht weg! Er muss hier ste­hen blei­ben, sonst lau­fen ihm die fünf­hun­dert Mark auch noch fort! Es ist ja klar: nie kriegt er sein Geld von die­sen Ben­gels wie­der, da will er se­hen, dass er we­nigs­tens die fünf­hun­dert ret­tet!

      Er geht, völ­lig ver­wüs­tet von ät­zen­dem Zorn, in ein klei­nes Café und te­le­fo­niert von dort mit dem Kom­missar Esche­rich. Dann geht er auf sei­nen Beo­b­ach­tungs­pos­ten zu­rück und war­tet un­ge­dul­dig auf das Kom­men von Esche­rich. Ach, wie tris­te ihm ist! Alle die­se Mühe, die er sich ge­ge­ben hat – und im­mer ist al­les ge­gen ihn! An­de­ren ge­lingt, was sie nur an­fas­sen, solch klei­nes Biest wie der Enno kriegt ’ne Frau mit viel Geld, einen schö­nen La­den, so ein Gar­nichts setzt nur auf ein Pferd, und schon ge­winnt er – aber er! Er kann tun, was er will: al­les miss­lingt ihm. Was für ’ne Mühe hat er sich mit die­ser Hä­ber­le ge­ge­ben, hat sich ge­freut, ein biss­chen Geld in der Ta­sche zu ha­ben – schon ist es wie­der weg! Das Arm­band da­mals von der Ro­sen­thal – weg! Der schö­ne Ein­bruch, eine gan­ze Hand­lung mit Wä­sche – weg! Was er auch an­fasst, al­les miss­lingt ihm, al­les geht ihm schief.

      Bin ein Schief­lie­ger, das bin ich!, sagt er voll Bit­ter­nis zu sich selbst. Na, wenn der Kom­missar we­nigs­tens die fünf­hun­dert Eier mit­bringt! Und den Kuno schla­ge ich ein­fach tot! Den zwie­be­le ich so lan­ge, den lass ich hun­gern, bis er kre­piert! Das ver­ge­ss ich ihm nie!

      Bark­hau­sen hat dem Kom­missar am Te­le­fon ge­sagt, er sol­le das Geld gleich mit­brin­gen.

      »Will mal se­hen!«, hat der Kom­missar geant­wor­tet.

      Was das nun wie­der hei­ßen soll? Will der mich auch an­schei­ßen …? So was gib­t’s doch gar nicht!

      Nein, an die­ser gan­zen Sa­che in­ter­es­siert ihn nur das Geld. So­bald er das Geld hat, wird er ab­hau­en, aus dem Enno mag wer­den, was da will! Der in­ter­es­siert ihn nicht mehr! Und viel­leicht fährt er dann wirk­lich nach Mün­chen. Er hat hier al­les so über! Er mag ein­fach nicht mehr. Kuno, der ihm in die Fres­se haut und ihm Geld klaut – so was hat’s noch nie ge­ge­ben, der ei­ge­ne Sohn!

      Nein, die Hä­ber­le hat recht: er wird nach Mün­chen fah­ren. Wenn Esche­rich das Geld bringt, sonst kann er die Fahr­kar­te nicht kau­fen. Aber ein Kom­missar, der nicht Wort hält, so was kann doch ein­fach nicht sein! Oder?

      32.


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