Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke. Rainer Maria Rilke

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Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke - Rainer Maria  Rilke


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      Von deinen Sinnen hinausgesandt,

       geh bis an deiner Sehnsucht Rand;

       gib mir Gewand.

      Hinter den Dingen wachse als Brand,

       daß ihre Schatten, ausgespannt,

       immer mich ganz bedecken.

      Laß dir Alles geschehn: Schönheit und Schrecken.

       Man muß nur gehn: Kein Gefühl ist das fernste.

       Laß dich von mir nicht trennen.

       Nah ist das Land,

       das sie das Leben nennen.

      Du wirst es erkennen

       an seinem Ernste.

      Gib mir die Hand.

      Ich war bei den ältesten Mönchen, den Malern und Mythenmeldern,

       die schrieben ruhig Geschichten und zeichneten Runen des Ruhms.

       Und ich seh dich in meinen Gesichten mit Winden, Wassern und Wäldern

       rauschend am Rande des Christentums,

       du Land, nicht zu lichten.

      Ich will dich erzählen, ich will dich beschaun und beschreiben,

       nicht mit Bol und mit Gold, nur mit Tinte aus Apfelbaumrinden;

       ich kann auch mit Perlen dich nicht an die Blätter binden,

       und das zitterndste Bild, das mir meine Sinne erfinden,

       du würdest es blind durch dein einfaches Sein übertreiben.

      So will ich die Dinge in dir nur bescheiden und schlichthin benamen,

       will die Könige nennen, die ältesten, woher sie kamen,

       und will ihre Taten und Schlachten berichten am Rand meiner Seiten.

      Denn du bist der Boden. Dir sind nur wie Sommer die Zeiten,

       und du denkst an die nahen nicht anders als an die entfernten,

       und ob sie dich tiefer besamen und besser bebauen lernten:

       du fühlst dich nur leise berührt von den ähnlichen Ernten

       und hörst weder Säer noch Schnitter, die über dich schreiten.

      Du dunkelnder Grund, geduldig erträgst du die Mauern.

       Und vielleicht erlaubst du noch eine Stunde den Städten zu dauern

       und gewährst noch zwei Stunden den Kirchen und einsamen Klöstern

       und lassest fünf Stunden noch Mühsal allen Erlöstem

       und siehst noch sieben Stunden das Tagwerk des Bauern –:

      Eh du wieder Wald wirst und Wasser und wachsende Wildnis

       in der Stunde der unerfaßlichen Angst,

       da du dein unvollendetes Bildnis

       von allen Dingen zurückverlangst.

      Gib mir noch eine kleine Weile Zeit: ich will die Dinge so wie keiner lieben,

       bis sie dir alle würdig sind und weit.

       Ich will nur sieben Tage, sieben

       auf die sich keiner noch geschrieben,

       sieben Seiten Einsamkeit.

      Wem du das Buch gibst, welches die umfaßt,

       der wird gebückt über den Blättern bleiben.

       Es sei denn, daß du ihn in Händen hast,

       um selbst zu schreiben.

      So bin ich nur als Kind erwacht,

       so sicher im Vertraun

       nach jeder Angst und jeder Nacht

       dich wieder anzuschaun.

       Ich weiß, sooft mein Denken mißt,

       wie tief, wie lang, wie weit –:

       du aber bist und bist und bist,

       umzittert von der Zeit.

      Mir ist, als war ich jetzt zugleich

       Kind, Knab und Mann und mehr.

       Ich fühle: nur der Ring ist reich

       durch seine Wiederkehr.

      Ich danke dir, du tiefe Kraft,

       die immer leiser mit mir schafft

       wie hinter vielen Wänden;

       jetzt ward mir erst der Werktag schlicht

       und wie ein heiliges Gesicht

       zu meinen dunklen Händen.

      Daß ich nicht war vor einer Weile,

       weißt du davon? Und du sagst nein.

       Da fühl ich, wenn ich nur nicht eile,

       so kann ich nie vergangen sein.

      Ich bin ja mehr als Traum im Traume.

       Nur was sich sehnt nach einem Saume,

       ist wie ein Tag und wie ein Ton;

       es drängt sich fremd durch deine Hände,

       daß es die viele Freiheit fände,

       und traurig lassen sie davon.

      So blieb das Dunkel dir allein,

       und, wachsend in die leere Lichte,

       erhob sich eine Weltgeschichte

       aus immer blinderem Gestein.

       Ist einer noch, der daran baut?

       Die Massen wollen wieder Massen,

       die Steine sind wie losgelassen

      und keiner ist von dir behauen…

      Es lärmt das Licht im Wipfel deines Baumes

       und macht dir alle Dinge bunt und eitel,

       sie finden dich erst wenn der Tag verglomm.

       Die Dämmerung, die Zärtlichkeit des Raumes,

       legt tausend Hände über tausend Scheitel,

       und unter ihnen wird das Fremde fromm.

      Du willst die Welt nicht anders an dich halten

       als so, mit dieser sanftesten Gebärde.

       Aus ihren Himmeln greifst du dir die Erde

       und fühlst sie unter deines Mantels Falten.

      Du hast so eine leise Art zu sein.

       Und jene, die dir laute Namen weihn,

       sind schon vergessen deiner Nachbarschaft.

      Von deinen Händen, die sich bergig heben,

       steigt, unsern Sinnen das Gesetz zu geben,

       mit dunkler Stirne deine stumme Kraft.

      Du Williger, und deine Gnade kam

       immer in alle ältesten Gebärden.

       Wenn einer die Hände zusammenflicht,

       so daß sie zahm

       und um ein kleines Dunkel sind –:

       auf einmal fühlt er dich in ihnen werden,

       und wie im Winde

       senkt sich sein Gesicht

       in Scham.

      Und da versucht er, auf dem Stein zu liegen

       und aufzustehn, wie er bei andern sieht,

       und seine Mühe ist, dich einzuwiegen,

       aus Angst, daß er dein Wachsein schon verriet.

      Denn wer dich fühlt, kann sich mit dir nicht brüsten;

       er ist erschrocken, bang um dich und flieht

       vor allen Fremden,


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