Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke. Rainer Maria Rilke

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Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke - Rainer Maria  Rilke


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lebt es denn? Lebst du es, Gott, – das Leben?

      Du bist der Alte, dem die Haare

       von Ruß versengt sind und verbrannt,

       du bist der große Unscheinbare,

       mit deinem Hammer in der Hand.

       Du bist der Schmied, das Lied der Jahre,

       der immer an dem Amboß stand.

      Du bist, der niemals Sonntag hat,

       der in die Arbeit Eingekehrte,

       der sterben könnte überm Schwerte,

       das noch nicht glänzend wird und glatt.

       Wenn bei uns Mühle steht und Säge

       und alle trunken sind und träge,

       dann hört man deine Hammerschläge

       an allen Glocken in der Stadt.

      Du bist der Mündige, der Meister,

       und keiner hat dich lernen sehn;

       ein Unbekannter, Hergereister,

       von dem bald flüsternder, bald dreister

       die Reden und Gerüchte gehn.

      Gerüchte gehn, die dich vermuten,

       und Zweifel gehn, die dich verwischen.

       Die Trägen und die Träumerischen

       mißtrauen ihren eignen Gluten

       und wollen, daß die Berge bluten,

       denn eher glauben sie dich nicht.

      Du aber senkst dein Angesicht.

      Du könntest den Bergen die Adern aufschneiden

       als Zeichen eines großen Gerichts;

       aber dir liegt nichts

       an den Heiden.

      Du willst nicht streiten mit allen Listen

       und nicht suchen die Liebe des Lichts;

       denn dir liegt nichts

       an den Christen.

      Dir liegt an den Fragenden nichts.

       Sanften Gesichts

       siehst du den Tragenden zu.

      Alle, welche dich suchen, versuchen dich.

       Und die, so dich finden, binden dich

       an Bild und Gebärde.

      Ich aber will dich begreifen

       wie dich die Erde begreift;

       mit meinem Reifen

       reift

       dein Reich.

      Ich will von dir keine Eitelkeit,

       die dich beweist.

       Ich weiß, daß die Zeit

       anders heißt

       als du.

      Tu mir kein Wunder zulieb.

       Gib deinen Gesetzen recht,

       die von Geschlecht zu Geschlecht

       sichtbarer sind.

      Wenn etwas mir vom Fenster fällt

       (und wenn es auch das Kleinste wäre)

       wie stürzt sich das Gesetz der Schwere

       gewaltig wie ein Wind vom Meere

       auf jeden Ball und jede Beere

       und trägt sie in den Kern der Welt.

      Ein jedes Ding ist überwacht

       von einer flugbereiten Güte

       wie jeder Stein und jede Blüte

       und jedes kleine Kind bei Nacht.

       Nur wir, in unsrer Hoffahrt, drängen

       aus einigen Zusammenhängen

       in einer Freiheit leeren Raum,

       statt, klugen Kräften hingegeben,

       uns aufzuheben wie ein Baum.

       Statt in die weitesten Geleise

       sich still und willig einzureihn,

       verknüpft man sich auf manche Weise, –

       und wer sich ausschließt jedem Kreise,

       ist jetzt so namenlos allein.

      Da muß er lernen von den Dingen,

       anfangen wieder wie ein Kind,

       weil sie, die Gott am Herzen hingen,

       nicht von ihm fortgegangen sind.

       Eins muß er wieder können: fallen,

       geduldig in der Schwere ruhn,

       der sich vermaß, den Vögeln allen

       im Fliegen es zuvorzutun.

      (Denn auch die Engel fliegen nicht mehr.

       Schweren Vögeln gleichen die Seraphim,

       welche um ihn sitzen und sinnen;

       Trümmern von Vögeln, Pinguinen

       gleichen sie, wie sie verkümmern …)

      Du meinst die Demut. Angesichter

       gesenkt in stillem Dichverstehn.

       So gehen abends junge Dichter

       in den entlegenen Alleen.

       So stehn die Bauern um die Leiche,

       wenn sich ein Kind im Tod verlor, –

       und was geschieht, ist doch das Gleiche:

       es geht ein Übergroßes vor.

      Wer dich zum ersten Mal gewahrt,

       den stört der Nachbar und die Uhr,

       der geht, gebeugt zu deiner Spur,

       und wie beladen und bejahrt.

       Erst später naht er der Natur

       und fühlt die Winde und die Fernen,

       hört dich, geflüstert von der Flur,

       sieht dich, gesungen von den Sternen,

       und kann dich nirgends mehr verlernen,

       und alles ist dein Mantel nur.

      Ihm bist du neu und nah und gut

       und wunderschön wie eine Reise,

       die er in stillen Schiffen leise

       auf einem großen Flusse tut.

       Das Land ist weit, in Winden, eben,

       sehr großen Himmeln preisgegeben

       und alten Wäldern untertan.

       Die kleinen Dörfer, die sich nahn,

       vergehen wieder wie Geläute

       und wie ein Gestern und ein Heute

       und so wie alles, was wir sahn.

       Aber an dieses Stromes Lauf

       stehn immer wieder Städte auf

       und kommen wie auf Flügelschlägen

       der feierlichen Fahrt entgegen.

      Und manchmal lenkt das Schiff zu Stellen,

       die einsam, sonder Dorf und Stadt,

       auf etwas warten an den Wellen, –

       auf den, der keine Heimat hat …

       Für solche stehn dort kleine Wagen

       (ein jeder mit drei Pferden vor),

       die atemlos nach Abend jagen

       auf einem Weg, der sich verlor.

      In diesem Dorfe steht das letzte Haus

      


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