Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke. Rainer Maria Rilke

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Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke - Rainer Maria  Rilke


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neigen das Gesicht hinein und trinken,

       reißen die Kleider auf mit ihrer Linken

       und halten sich das Wasser an die Brust

       als wärs ein kühles weinendes Gesicht,

       das von den Schmerzen auf der Erde spricht.

      Und diese Schmerzen stehen rings umher

       mit welken Augen; und du weißt nicht wer

       sie sind und waren. Knechte oder Bauern,

       vielleicht Kaufleute, welche Wohlstand sahn,

       vielleicht auch laue Mönche, die nicht dauern,

       und Diebe, die auf die Versuchung lauern,

       offene Mädchen, die verkümmert kauern,

       und Irrende in einem Wald von Wahn –:

       alle wie Fürsten, die in tiefem Trauern

       die Überflüsse von sich abgetan.

       Wie Weise alle, welche viel erfahren,

       Erwählte, welche in der Wüste waren,

       wo Gott sie nährte durch ein fremdes Tier;

       Einsame, die durch Ebenen gegangen

       mit vielen Winden an den dunklen Wangen,

       von einer Sehnsucht fürchtig und befangen

       und doch so wundersam erhöht von ihr.

       Gelöste aus dem Alltag, eingeschaltet

       in große Orgeln und in Chorgesang,

       und Knieende, wie Steigende gestaltet;

       Fahnen mit Bildern, welche lang

       verborgen waren und zusammgefaltet:

      Jetzt hängen sie sich langsam wieder aus.

      Und manche stehn und schaun nach einem Haus,

       darin die Pilger, welche krank sind, wohnen;

       denn eben wand sich dort ein Mönch heraus,

       die Haare schlaff und die Sutane kraus,

       das schattige Gesicht voll kranker Blaus

       und ganz verdunkelt von Dämonen.

      Er neigte sich, als bräch er sich entzwei,

       und warf sich in zwei Stücken auf die Erde,

       die jetzt an seinem Munde wie ein Schrei

       zu hängen schien und so als sei

       sie seiner Arme wachsende Gebärde.

      Und langsam ging sein Fall an ihm vorbei.

      Er flog empor, als ob er Flügel spürte,

       und sein erleichtertes Gefühl verführte

       ihn zu dem Glauben seiner Vogelwerdung.

       Er hing in seinen magern Armen schmal,

       wie eine schiefgeschobne Marionette,

       und glaubte, daß er große Schwingen hätte

       und daß die Welt schon lange wie ein Tal

       sich ferne unter seinen Füßen glätte.

       Ungläubig sah er sich mit einem Mal

       herabgelassen auf die fremde Stätte

       und auf den grünen Meergrund seiner Qual.

       Und war ein Fisch und wand sich schlank und schwamm

       durch tiefes Wasser, still und silbergrau,

       sah Quallen hangen am Korallenstamm

       und sah die Haare einer Meerjungfrau,

       durch die das Wasser rauschte wie ein Kamm.

       Und kam zu Land und war ein Bräutigam

       bei einer Toten, wie man ihn erwählt

       damit kein Mädchen fremd und unvermählt

       des Paradieses Wiesenland beschritte.

      Er folgte ihr und ordnete die Tritte

       und tanzte rund, sie immer in der Mitte,

       und seine Arme tanzten rund um ihn.

       Dann horchte er, als wäre eine dritte

       Gestalt ganz sachte in das Spiel getreten,

       die diesem Tanzen nicht zu glauben schien.

       Und da erkannte er: jetzt mußt du beten;

       denn dieser ist es, welcher den Propheten

       wie eine große Krone sich verliehn.

       Wir halten ihn, um den wir täglich flehten,

       wir ernten ihn, den einstens Ausgesäeten,

       und kehren heim mit ruhenden Geräten

       in langen Reihen wie in Melodien.

       Und er verneigte sich ergriffen, tief.

      Aber der Alte war, als ob er schliefe,

       und sah es nicht, obwohl sein Aug nicht schlief.

      Und er verneigte sich in solche Tiefe,

       daß ihm ein Zittern durch die Glieder lief.

       Aber der Alte ward es nicht gewahr.

      Da faßte sich der kranke Mönch am Haar

       und schlug sich wie ein Kleid an einen Baum.

       Aber der Alte stand und sah es kaum.

      Da nahm der kranke Mönch sich in die Hände

       wie man ein Richtschwert in die Hände nimmt,

       und hieb und hieb, verwundete die Wände

       und stieß sich endlich in den Grund ergrimmt.

       Aber der Alte blickte unbestimmt.

      Da riß der Mönch sein Kleid sich ab wie Rinde

       und knieend hielt er es dem Alten hin.

      Und sieh: er kam. Kam wie zu einem Kinde

       und sagte sanft: Weißt du auch wer ich bin?

       Das wußte er. Und legte sich gelinde

       dem Greis wie eine Geige unters Kinn.

      Jetzt reifen schon die roten Berberitzen,

       alternde Astern atmen schwach im Beet.

       Wer jetzt nicht reich ist, da der Sommer geht,

       wird immer warten und sich nie besitzen.

      Wer jetzt nicht seine Augen schließen kann,

       gewiß, daß eine Fülle von Gesichten

       in ihm nur wartet bis die Nacht begann,

       um sich in seinem Dunkel aufzurichten: –

       der ist vergangen wie ein alter Mann.

      Dem kommt nichts mehr, dem stößt kein Tag mehr zu,

       und alles lügt ihn an, was ihm geschieht;

       auch du, mein Gott. Und wie ein Stein bist du,

       welcher ihn täglich in die Tiefe zieht.

      Du mußt nicht bangen, Gott. Sie sagen: mein

       zu allen Dingen, die geduldig sind.

       Sie sind wie Wind, der an die Zweige streift

       und sagt: mein Baum.

      Sie merken kaum,

       wie alles glüht, was ihre Hand ergreift, –

       so daß sie’s auch an seinem letzten Saum

       nicht halten könnten ohne zu verbrennen.

      Sie sagen mein, wie manchmal einer gern

       den Fürsten Freund nennt im Gespräch mit Bauern,

       wenn dieser Fürst sehr groß ist und – sehr fern.

      


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