Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke. Rainer Maria Rilke

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Gesammelte Gedichte von Rainer Maria Rilke - Rainer Maria  Rilke


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und gleichbereit zu Lust und List.

      Sie ist vergangen: denn du bist.

      Sie fließt noch wie ein Spiel von Lichtern

       über das teilnahmslose Jahr;

       doch dir, dem Abend und den Dichtern

       sind, unter rinnenden Gesichtern,

       die dunkeln Dinge offenbar.

      Die Könige der Welt sind alt

       und werden keine Erben haben.

       Die Söhne sterben schon als Knaben,

       und ihre bleichen Töchter gaben

       die kranken Kronen der Gewalt.

      Der Pöbel bricht sie klein zu Geld,

       der zeitgemäße Herr der Welt

       dehnt sie im Feuer zu Maschinen,

       die seinem Wollen grollend dienen;

       aber das Glück ist nicht mit ihnen.

      Das Erz hat Heimweh. Und verlassen

       will es die Münzen und die Räder,

       die es ein kleines Leben lehren.

       Und aus Fabriken und aus Kassen

       wird es zurück in das Geäder

       der aufgetanen Berge kehren,

       die sich verschließen hinter ihm.

      Alles wird wieder groß sein und gewaltig.

       Die Lande einfach und die Wasser faltig,

       die Bäume riesig und sehr klein die Mauern;

       und in den Tälern, stark und vielgestaltig,

       ein Volk von Hirten und von Ackerbauern.

      Und keine Kirchen, welche Gott umklammern

       wie einen Flüchtling und ihn dann bejammern

       wie ein gefangenes und wundes Tier, –

       die Häuser gastlich allen Einlaßklopfern

       und ein Gefühl von unbegrenztem Opfern

       in allem Handeln und in dir und mir.

      Kein Jenseitswarten und kein Schaun nach drüben,

       nur Sehnsucht, auch den Tod nicht zu entweihn

       und dienend sich am Irdischen zu üben,

       um seinen Händen nicht mehr neu zu sein.

      Auch du wirst groß sein. Größer noch als einer,

       der jetzt schon leben muß, dich sagen kann.

       Viel ungewöhnlicher und ungemeiner

       und noch viel älter als ein alter Mann.

      Man wird dich fühlen: daß ein Duften ginge

       aus eines Gartens naher Gegenwart;

       und wie ein Kranker seine liebsten Dinge

       wird man dich lieben ahnungsvoll und zart.

      Es wird kein Beten geben, das die Leute

       zusammenschart. Du bist nicht im Verein;

       und wer dich fühlte und sich an dir freute,

       wird wie der Einzige auf Erden sein:

       Ein Ausgestoßener und ein Vereinter,

       gesammelt und vergeudet doch zugleich;

       ein Lächelnder und doch ein Halbverweinter,

       klein wie ein Haus und mächtig wie ein Reich.

      Es wird nicht Ruhe in den Häusern, sei’s

       daß einer stirbt und sie ihn weitertragen,

       sei es daß wer auf heimliches Geheiß

       den Pilgerstock nimmt und den Pilgerkragen,

       um in der Fremde nach dem Weg zu fragen,

       auf welchem er dich warten weiß.

      Die Straßen werden derer niemals leer,

       die zu dir wollen wie zu jener Rose,

       die alle tausend Jahre einmal blüht.

       Viel dunkles Volk und beinah Namenlose,

       und wenn sie dich erreichen, sind sie müd.

      Aber ich habe ihren Zug gesehn;

       und glaube seither, daß die Winde wehn

       aus ihren Mänteln, welche sich bewegen,

       und stille sind wenn sie sich niederlegen –:

       so groß war in den Ebenen ihr Gehn.

      So möcht ich zu dir gehn: von fremden Schwellen

       Almosen sammelnd, die mich ungern nähren.

       Und wenn der Wege wirrend viele wären,

       so würd ich mich den Ältesten gesellen.

       Ich würde mich zu kleinen Greisen stellen,

       und wenn sie gingen, schaut ich wie im Traum,

       daß ihre Kniee aus der Bärte Wellen

       wie Inseln tauchen, ohne Strauch und Baum.

      Wir überholten Männer, welche blind

       mit ihren Knaben wie mit Augen schauen,

       und Trinkende am Fluß und müde Frauen

       und viele Frauen, welche schwanger sind.

       Und alle waren mir so seltsam nah, –

       als ob die Männer einen Blutsverwandten,

       die Frauen einen Freund in mir erkannten,

       und auch die Hunde kamen, die ich sah.

      Du Gott, ich möchte viele Pilger sein,

       um so, ein langer Zug, zu dir zu gehn,

       und um ein großes Stück von dir zu sein:

       du Garten mit den lebenden Alleen.

       Wenn ich so gehe wie ich bin, allein, –

       wer merkt es denn? Wer sieht mich zu dir gehn?

       Wen reißt es hin? Wen regt es auf, und wen

       bekehrt es dir?

      Als wäre nichts geschehn,

       – lachen sie weiter. Und da bin ich froh,

       daß ich so gehe wie ich bin; denn so

       kann keiner von den Lachenden mich sehn.

      Bei Tag bist du das Hörensagen,

       das flüsternd um die Vielen fließt;

       die Stille nach dem Stundenschlagen,

       welche sich langsam wieder schließt.

      Jemehr der Tag mit immer schwächern

       Gebärden sich nach Abend neigt,

       jemehr bist du, mein Gott. Es steigt

       dein Reich wie Rauch aus allen Dächern.

      Ein Pilgermorgen. Von den harten Lagern,

       auf das ein jeder wie vergiftet fiel,

       erhebt sich bei dem ersten Glockenspiel

       ein Volk von hagern Morgensegen-Sagern,

       auf das die frühe Sonne niederbrennt:

      Bärtige Männer, welche sich verneigen,

       Kinder, die ernsthaft aus den Pelzen steigen,

       und in den Mänteln, schwer von ihrem Schweigen,

       die braunen Fraun von Tiflis und Taschkent.

       Christen mit den Gebärden des Islam

       sind um die Brunnen, halten ihre Hände

       wie flache Schalen hin, wie Gegenstände,

      


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