Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich Glauser

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Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten - Friedrich  Glauser


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Jutzeler?« wiederholte er und mußte sich besinnen, wer dieser Mann war… Den kannte er doch schon… Der hohe, schlanke Mann, mit dem roten Wappen auf dem Revers seines Kittels, dessen Stimme sich über die Schroter beklagt hatte…

      »Was ist mit dem Jutzeler?« fragte er.

      »Sie haben zusammen Krach gehabt. Der Ueli… der Herr… Herr Direktor und der Abteiliger…«

      »Wann?«

      »Darum hab' ich doch so lange warten müssen, fast dreiviertel Stunden… Ich hab' sie zuerst durch die Glastüre im Mittelbau gesehen. Das Licht hat in der Halle gebrannt… Der Jutzeler hielt den Direktor auf, sprach wütend auf ihn ein. Sie gingen dann zusammen ins Direktionsbüro… Ich hab's gesehen… Nach einer halben Stunde kam er dann allein aus der Tür und ging in seine Wohnung hinauf… Er kam im Lodenkragen zurück. Unter dem Arm hielt er eine Ledermappe. Ich frug ihn: ›Was willst du mit der Mappe?‹… Er winkte ab. ›Wir fahren morgen früh. Geh' jetzt in dein Zimmer.‹ Er hat mich bis zum Frauen-B begleitet und ist dann zurückgegangen!«

      »Um halb zwei?«

      »Ja, es war etwa halb zwei. Und heut morgen wollte er mit mir nach Thun… Ich hab' lang auf dem Bahnhof auf ihn gewartet…«

      »Und Sie haben nachher nichts mehr gehört, Fräulein Wasem?«

      »Nein. Das heißt, es ist mir vorgekommen, so um viertel vor zwei, als ob jemand um Hilfe schreie… Aber es schreien so viele hier…«

      »Sie schlafen allein? Ich meine… eh… Sie haben ein Zimmer für sich allein?«

      »Nein, eine Kollegin schläft im gleichen Zimmer.«

      »Und niemand kontrolliert die Schwestern, um welche Zeit sie heimkommen?«

      »Die andern wohl, aber mich… Nein!«

      Studer seufzte. Ach ja… Wenn man der Schatz vom Herrn Direktor war, drückte auch die Schwester Oberin oder welchen Titel die alte Schachtel haben mochte, beide Augen zu…

      In der Ecke vom R zum K… Ein Hilfeschrei… Vielleicht hatte Matto, wie Schül den großen Geist nannte, einem seiner Untertanen einen wüsten Alp geschickt, um ihn zu plagen… Studer blieb in der Mitte eines Durchgangsweges stehen und blickte um sich; ein unbehagliches Gefühl kroch ihm über den Rücken. Die roten Ziegelmauern der Anstalt Randlingen umgaben ihn von drei Seiten, und auch die vierte war nicht frei. Dort war die Küche. Es war dem Wachtmeister, als seien die vielen Fenster, die mit ihren winzigen Scheiben in den Fronten funkelten, riesige Facettenaugen, die ihn beobachteten. Er hatte nichts zu verbergen, sicher nichts… Er führte eine Untersuchung, es war sein gutes Recht, mit einem Meitschi, das Aufschluß geben konnte, zusammenzustehen… Aber ungemütlich war es gleichwohl. Die Fenster warfen schielend-fragende Blicke: Was treibt der Mann? Was wird er jetzt tun? Besser, man machte sich aus dem Staub und sah sich in jener Ecke um, aus der letzte Nacht ein Hilfeschrei erklungen war, der dem Krächzen einer hungrigen Jungkrähe geähnelt hatte…

      Direktor Ulrich Borstli selig

       Inhaltsverzeichnis

      Dr. Laduner spielte Tennis. Der Platz lag nahe der Bahnlinie, unterhalb des Dorfes Randlingen.

      »Game!« rief Dr. Laduner, und seine Stimme klang fröhlich. Er spielte mit einer Frau. Als Studer näher kam, erkannte er die Assistentin, die an der ›großen Visite‹ kein Wort gesprochen hatte. Ohne Arztkittel sah sie schlank aus, beweglich, nur ihre Waden waren zu dünn…

      »Herr Doktor«, rief Studer und steckte seine Nase durch eine Masche des Drahtnetzes.

      »Eh! Der Studer! Was gibt's Neues?«

      Dr. Laduner kam näher und balancierte seinen Schläger auf dem Handballen. Um seinen Mund lag das Visitenlächeln, und es war wieder wie eine Halbmaske…

      »Ich hab' den Direktor gefunden«, sagte Studer leise.

      »Tot?«

      Studer nickte.

      »Haben Sie es schon jemandem erzählt?«

      Studer schüttelte den Kopf.

      »Liebes Kind«, sagte Laduner zu der Dame, die am Netz stand und zu Boden starrte, »ich muß in die Anstalt. Hören Sie, ich sollte meiner Frau noch Bratwürste bringen… Aber ich habe jetzt keine Zeit… Würden sie so gut sein…«

      Die Dame nickte eifrig. Für Studer hatte sie keinen Blick.

      Der Wachtmeister dachte: ›Er sagt: liebes Kind… Und denkt an die Bratwürste… Und in der Heizung, am Fuße der eisernen Leiter, die zum Feuerloch führt, liegt der Direktor mit gebrochenem Genick… Aber vielleicht ist die Besorgung nur ein Vorwand, um die Dame loszuwerden…‹

      »Gut, auf Wiedersehen… Nehmen Sie auch mein Rakett mit…«

      Weißes Hemd, weiße Leinenhose, weiße Schuhe… Nur das Gesicht war braun, vom Hinterkopf stand die Haarsträhne ab…

      »Gehen wir«, sagte Dr. Laduner.

      Sie schritten durch eine lange Allee, die Äste der Apfelbäume waren mit bleichen Flechten belegt, und an den Zweigen hingen winzige grasgrüne Früchte. Am Ende der Allee ragte der Mittelbau der Anstalt auf, gekrönt von einem Türmchen, darin eine Glocke hing. Ein Schlaghammer hob sich, fiel nieder… Es tönte sauer, so sauer, wie die Äpfel schmecken mußten… Und Studer zählte die Schläge. Es war drei Uhr nachmittags. Er dachte wirres Zeug, wie er so neben Dr. Laduner einherschritt. An den ersten Satz in dem noch zu schreibenden Rapport: ›Am zweiten September, vierzehn Uhr dreißig nachmittags, entdeckte ich in einem Heizungskeller unter der Abteilung K der Heil- und Pflegeanstalt Randlingen den Körper eines älteren Mannes, dessen Kleidertaschen leer waren…‹

      »Wo?« fragte Dr. Laduner plötzlich.

      »In der Heizung vom Männer-K.«

      »Sie kennen sich schon gut aus in der Anstalt, Studer… Aber beim Mittagessen haben Sie uns im Stich gelassen! Ich höre zwar gerne die Stimme der Jungfer Kölla, aber nehmen Sie sich vor dem Frauenzimmer in acht. Sie ist gefährlicher als ein Kinovamp…«

      Wieder der Mißton. Er war nicht recht zu fassen… Einen Ton konnte man doch nicht fassen…

      »Und er war tot?«

      »Maustot!« sagte Studer.

      Dr. Laduner blieb stehen, er atmete tief ein, reckte sich, und der Stoff seines weißen Hemdes spannte sich über seiner Brust.

      Leise sagte Studer:

      »Der Abteiliger Jutzeler hat gestern mit dem Direktor noch spät in der Nacht Krach gehabt… Im Direktionsbüro…«

      »Der Jutzeler?«

      Dr. Laduners Erstaunen war echt. Dann winkte der Arzt gleichgültig ab:

      »Ich weiß. Es kann möglich sein. Aber es handelt sich da um politische Meinungsverschiedenheiten… Der Jutzeler wollte das Personal organisieren, und der Direktor war stockkonservativ…«

      Am Fuße der Steinstiege, die zum Portal führte, an der gleichen Stelle wie heute morgen, blieb Dr. Laduner stehen. Studer blickte zu Boden. Aber als das Schweigen nicht enden wollte, warf er einen schüchternen Blick auf seinen Begleiter. Dr. Laduner preßte die Zähne so fest aufeinander, daß unter der Haut seiner Wangen die Kaumuskeln deutlich sichtbare Stränge bildeten.

      »Und nun werden wir wohl den Pieterlen suchen lassen müssen… Nicht wahr, Herr Doktor?«

      »Den Pieterlen?… Ge-wiß… Wir werden telephonieren… Sie glauben an einen Mord?«

      Der Wachtmeister hob die Achseln und wackelte dann mit dem Kopf. »Ich weiß nicht…« sagte er.

      Aber er verschwieg den Fund, den er gemacht hatte; auf dem Absatz, von


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