Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch). Franz Werfel

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Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch) - Franz Werfel


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Wahnes klarzumachen. Aber er hätte in diesem Augenblick kein schlechteres Kampfmittel wählen können als die Logik. Howsannah schrie ihm die Ehrlosigkeit Iskuhis ins Gesicht. Nun aber empörte sich Aram Tomasian und wies seine Frau bitter zurecht. Iskuhi opfere sich unter größter Lebensgefahr für eine Fremde auf, von der sie ein paar Freundschaftsdienste empfangen habe. Bei Tag und Nacht liege die Last der Pflege beinahe allein auf ihr, die doch selbst krank und gebrechlich sei. Für ihre reine Herzensgüte und Christlichkeit werde sie nun so gemein beschimpft; und von wem, von der eigenen Schwägerin! Nur weil er, Aram, den Zustand Howsannahs begreife, wolle er nichts gehört haben und verzeihe ihr. Howsannah aber lachte höhnisch: »Du kannst dich ja davon überzeugen, Pastor, wie deine herzensgute Iskuhi die Kranke pflegt. Steck nur den Kopf in ihr Zelt! Du findest sie mit ihm beisammen. Manchmal spazieren sie auch ganz frech miteinander draußen herum ...«

      Das Lachen und die Worte Howsannahs klangen dem Pastor während des Abstiegs unablässig im Ohr. Er konnte an nichts anderes denken, obgleich doch die Fischerei angesichts der unerbittlichen Sachlage ein dringenderes Problem war als alles andre. Immer eisiger griff die Wahrheit nach seinem Herzen. Der unbegreifliche Haß Howsannahs verzerrte alles. Gott hatte ihn in diesem Kinde für die große Sünde von Marasch gestraft, für den Verrat an seinen Waisen. Er selbst war der Schuldige und nicht Iskuhi. – Unten bei den Klippen angelangt, erfuhr Aram zum Überfluß, daß seine große Idee bisher nur die dürftigste Verwirklichung gefunden hatte. Trotz der glatten See war das Floß während der kleinen Fahrt auseinandergefallen und drei der jugendlichen Fischer und Schiffer wären dabei fast ums Leben gekommen. In Hinblick auf solche Gefahr erschien die Ausbeute mehr als dürftig: zwei mäßige Körbe, angefüllt mit winzigen Silberfischlein und gestaltlosem Meergewürm. Der Inhalt genügte gerade für einen großen Suppentopf. Nachdem Tomasian seinen Spott über derartige Seeleute ergossen hatte, traf er neue Anordnungen. Man mußte nicht gleich beim erstenmal allen Mut verlieren. Immerhin zeigte die Salzbleiche erfreulichere Resultate als der Fischfang. Ein gutes Maß Salz konnte in die Stadtmulde geschafft werden.

      Aram Tomasian hatte sich kaum eine Viertelstunde an der Küste aufgehalten, als er, von seinem schweren Herzen getrieben, bereits wieder den Rückweg antrat. Er war durchaus nicht im klaren darüber, was er zu unternehmen habe, um Iskuhi zu retten. Hatte er nicht der Schwester gegenüber, selbst als sie noch ein Kind war, stets Zurückhaltung und Respekt gewahrt? Bei Iskuhi war's anders auch gar nicht möglich. Ihre trotz aller Stille und freundlicher Unterordnung kristallharte Persönlichkeit verbot jeden Übergriff. Zwischen den Geschwistern hatte von jeher eine feine keusche Form geherrscht, die es vermied, die Grenzen der Teilnahme zu überschreiten. Und jetzt sollte er, dem Iskuhis Seele immer heilig gewesen, sie mit rohen Offenheiten steinigen? Der verständnisvolle Mensch, der zartfühlende Bruder sollte auf einmal den polternden Mann Gottes spielen? Und dabei waren Howsannahs Reden zweifellos nur eine Ausgeburt ihrer Verstörung.

      Aram Tomasian hatte in Zeitun und auf dem Musa Dagh genügend Beweise seiner Tapferkeit abgelegt. Jetzt aber, da er schon den buschreichen Abschluß des Felsgeheges erreichte, war er mutlos und unentschlossen. Wäre es nicht die anständigste Lösung, Gabriel Bagradian in Person zur Rede zu stellen? Aber wie? Durfte man sich an einen Mann von seinem Range, von seiner achtunggebietenden Höhe mit solch häßlichem Verdacht heranwagen? An einen Mann noch dazu, der, von grausamen Schicksalsschlägen getroffen, in diesen Tagen um das Leben seines einzigen Sohnes zitterte und verzweifelte? Tomasian sah keinen Ausweg. Er war so gut wie entschlossen, vorderhand an die Sache nicht zu rühren. Ehe er zur Stadtmulde abschwenkte, um mit seinem Vater zu sprechen, wollte er noch rasch einen Blick nach Howsannah tun. Es kam aber alles anders. Vor Juliettens Zelt saß Iskuhi und blickte leer in die Richtung, nach der Gabriel vor kurzem verschwunden war. Sie bemerkte ihren Bruder erst im letzten Augenblick. Aram ließ sich ihr gegenüber auf die Erde nieder und suchte sehr verlegen nach Worten:

      »Lang haben wir uns nicht mehr gesprochen, Iskuhi ...«

      Sie machte eine wegwerfende Bewegung, als könne ein menschliches Erinnerungsvermögen den Abgrund zwischen allem Vergangenen und dem Gegenwärtigen gar nicht ausmessen. Arams Worte tasteten sich näher an sie heran:

      »Howsannah entbehrt dich sehr. Sie war an dich und deine Hilfe ja immer gewöhnt ... Und jetzt, wo das arme Kind da ist und es so viel Arbeit gibt ...«

      Iskuhi unterbrach ihn ungeduldig:

      »Aber du weißt doch, Aram, daß ich gerade jetzt wegen des Kindes am allerwenigsten zu ihr kommen kann ...«

      »Gut, du hast diese Krankenpflege hier übernommen. Das ist sehr schön von dir ... Doch vielleicht braucht man dich in deiner eigenen Familie jetzt dringender ...«

      Iskuhi schien sehr erstaunt zu sein:

      »Die Hanum hier drinnen hat keinen Menschen ... Howsannah aber ist schon wieder wohlauf und hat Helferinnen, soviel sie will ...«

      Der Pastor schluckte mehrmals, als habe er Halsschmerzen:

      »Du kennst mich, Iskuhi. Ich rede nicht gerne herum ... Willst du ganz offen zu mir sein? In unserer Lebenslage wäre alles andre ja lächerlich ...«

      Sie ließ mit leichter Feindseligkeit ihren Blick auf dem Bruder ruhen:

      »Ich bin ganz offen zu dir.«

      Nun wollte er ängstlich ihrer Unschuld eine Brücke bauen. Wenn es sich nur um Wohlgefallen, Freundschaft, Sympathie handelte, um etwas, das nicht tödlich ernst war, dann wünschte er brennend, daß sie ihn streng zurückweise und den Verdacht der Schwägerin empört Lügen strafe: »Howsannah hat große Angst um dich, Iskuhi. Sie meint, gewisse Dinge erkannt zu haben. Wir haben heute die halbe Nacht darüber gestritten. Deshalb frage ich das, verzeih mir! Ist zwischen dir und Gabriel Bagradian irgend etwas vorgegangen?«

      Iskuhi errötete nicht, noch auch zeigte sie die geringste Betretenheit. Ihre Stimme war ruhig und fest:

      »Zwischen mir und Gabriel ist nichts vorgegangen ... Aber ich liebe ihn und werde bei ihm bleiben bis zum Ende!«

      Aram Tomasian sprang entsetzt auf die Füße. Als eifersüchtigen Bruder hätte ihn jedes Liebesbekenntnis in schweres Unbehagen gestürzt. Um so heftiger traf ihn daher der mit dreister Ruhe geführte Stoß:

      »Und das wagst du so leicht auszusprechen, mir ins Gesicht, mir!?«

      »Du hast es verlangt, Aram ...«

      »Bist du das, Iskuhi, du? Mir bleibt der Verstand stehn. Und deine Ehre, und deine Familie? Bedenkst du um Jesu Christi willen nicht, daß er ein verheirateter Mann ist?«

      Sie hob den Kopf mit einem Ruck zu ihm auf. In ihren Zügen lag unbesiegbare Überzeugung:

      »Ich bin neunzehn Jahre alt und werde keine zwanzig werden!«

      Tomasians Pastorenstimme dröhnte empört:

      »In Gott wirst du älter werden, denn in Gott ist deine Seele unsterblich und verantwortlich!«

      Je lauter Aram wurde, um so leiser Iskuhi:

      »Ich fürchte mich nicht vor Gott ...«

      Der Pastor schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. Ich fürchte mich nicht vor Gott. Was der Ausdruck höchster Gewißheit war, mißverstand er als verstockte Frechheit:

      »Weißt du, was du tust? Ahnst du den Pfuhl nicht, in dem du lebst? Dort drin liegt die Frau, todkrank, bewußtlos. Eine schamlose Betrügerin! Aber ihr betrügt sie noch hundertmal schamloser. Ihr führt ein Leben, niedriger, grauenhafter als die primitivsten Moslems! Ah, ich tue den Moslems unrecht ...«

      Iskuhi krampfte sich mit der rechten Hand am Zeltseil fest. Ihre Augen wurden groß und größer. Tomasian hielt das für die Wirkung seiner Worte. Gott sei gepriesen, noch hatte er seinen Einfluß auf die Schwester nicht verloren. Er zog deshalb mildere Saiten auf:

      »Wir wollen vernünftig sein, Iskuhi! Denk doch an die Folgen, nicht nur für dich und uns, sondern auch für Bagradian und das ganze Lager! Dieser heillosen Verirrung muß ein Ende gemacht werden! Sofort! Der Vater wird dich abholen und zu sich nehmen ...«

      Aus Iskuhis Brust drang ein verhauchender Laut. Sie lehnte sich zurück.


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