DECEMBER PARK. Ronald Malfi

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DECEMBER PARK - Ronald  Malfi


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Fenster, das an der linken Seite der Tür nach unten verlief, konnte aber nichts außer dunklen, eckigen Umrissen erkennen. Im Haus brannte kein Licht. Ich klopfte ein zweites Mal und wartete. Weiter die Straße hinunter bellte der Rottweiler der Wilbers zwei kleine Kinder an, die sich als Aladdin und Jasmin verkleidet hatten.

      Gerade als ich wieder gehen wollte, öffnete sich plötzlich die Haustür einen Spalt. Eine Frau undefinierbaren Alters stand dahinter. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck von beinahe schon an Feindseligkeit grenzendem Misstrauen.

      »Hallo«, grüßte ich unverzüglich, fast roboterartig. »Ich bin Angelo Mazzone. Ich wohne nebenan. Bitte.« Ich präsentierte ihr den Teller mit den Keksen. »Die hat meine Großmutter für Sie gebacken.«

      Die Frau zog die Tür unter quietschenden Angeln ein paar Zentimeter weiter auf. Sie war hager, und lockige Strähnen umrahmten ihr Gesicht. Sie trug keinerlei Make-up und hatte sehr schmale Lippen. Ihre Augen wären hübsch gewesen, hätte sie nicht gar so einen harten Gesichtsausdruck aufgesetzt. Ich nahm an, dass sie wahrscheinlich älter aussah, als sie eigentlich war.

      Sie griff nach dem Teller mit den Keksen.

       Ich überließ ihn ihr und dachte: Auf keinen Fall bekommt sie diesen Teller durch die Türöffnung. Sie muss weiter aufmachen. Der Gedanke lief mir wie kaltes Wasser den Rücken hinunter; aus irgendeinem unerklärlichen Grund wollte ich nicht, dass sie die Tür auch nur ein Stück weiter öffnete.

      »Das ist aber nett«, bedankte sich die Frau. Mit ihrer leisen, schüchternen Stimme klang sie wie ein Eichhörnchen. Die Tür quietschte erneut, als sie weiter aufmachte. Hinter der Frau bemerkte ich stapelweise Kartons und Möbel, die mit gespensterhaften weißen Laken abgedeckt waren. »Bitte komm doch herein.«

      Ich wollte nein sagen, doch meine Füße trugen mich bereits über die Türschwelle, bevor ich überhaupt wusste, was ich tat. Als sie die Tür hinter mir schloss, fühlte es sich genauso an, als hätte sie mich in einer Gruft eingesperrt.

      »Ich bin Doreen Gardiner.«

      »Hi.«

      »Tolle Bemalung.«

      Ich gab einen Laut von mir, der entfernt wie »Hä?« geklungen haben musste, bevor mir klar wurde, dass sie auf mein blaues Auge und meine gerissene Lippe anspielte. »Danke«, erwiderte ich und ließ sie in dem Glauben, es sei Teil einer Halloween-Verkleidung. Vielleicht hatte Scott gar nicht so Unrecht gehabt und ich hätte mir die alten Boxhandschuhe meines Vaters um den Hals hängen sollen.

      »Möchtest du hier kurz warten, während ich Adrian Bescheid sage?«

      »Klar, warum nicht.«

      »Nimm doch dort drinnen Platz, während ich ihn hole.«

       Das Pronomen ihn verdutzte mich. Die einzigen Adrians, die ich bisher gekannt hatte, waren Mädchen gewesen.

       Doreen Gardiner winkte mich zu einem angrenzenden Zimmer, das den Dunbars, als sie hier noch gewohnt hatten, als eine Art Salon mit Plüschsesseln und einem extravaganten, mit durchsichtiger Plastikfolie bedeckten Zweiersofa, gedient hatte. Der Raum war kaum noch wiederzuerkennen. Es gab keine Stühle, also setzte ich mich auf einen mit Bücher beschrifteten Karton und sah Doreen Gardiner zu, wie sie die Treppe in den ersten Stock hinaufstieg. Sie hatte einen humpelnden Gang, wie jemand, der an Osteoporose litt, obwohl sie unmöglich älter als fünfundvierzig hatte sein können, vielleicht sogar jünger.

      Ich sah mich im Zimmer um. Die Wände waren karg und abgewetzt, die Decke war fleckig von den Spuren eines Wasserschadens. Der altmodische, grobmaschige Wollteppichboden hatte die Farbe oxidierten Kupfers. Die Dunbars waren ein älteres Ehepaar gewesen, das bezüglich der Instandhaltung ihres Hauses äußerst penibel gewesen war, umso mehr bestürzte es mich, es in einem so armseligen Zustand vorzufinden.

      Über mir hörte ich Schritte, gefolgt von einer gedämpften Unterhaltung. Dann Stille.

      Ich musste wohl ganze zehn Minuten wartend auf dieser Box gesessen haben, bis ich Schritte die Treppe herunterkommen hörte. Ich stand auf.

      Der Junge, der unten an der Treppe auftauchte, war klein, mager und schüchtern wie eine Maus. Sein Haar hatte die Farbe von Weizen und seine Augen, die hinter den Gläsern einer Brille mit dickem schwarzen Rahmen schwammen, waren so blass, dass sie fast schon farblos aussahen. Er trug ein Spider-Man-Sweatshirt, das selbst für seinen schmächtigen Körperbau zu klein war und dessen Ärmel einige Zentimeter über den zerbrechlichen Handgelenken aufhörten. Ohne Frage war es sein Gesicht gewesen, das ich im Fenster gesehen hatte.

      »Hey, ich bin Angelo. Ich wohne nebenan. Du kannst mich Angie nennen.«

      »Ich habe eine Tante, die Angie heißt«, meinte er und steckte die Hände in die Hosentaschen.

      Da wurde mir klar, dass wir beide Jungen mit Mädchennamen waren. Als er sich selbst nicht vorstellte, ergriff ich die Initiative: »Dein Name ist Adrian, oder?«

      »Ja.«

      »Von woher kommt ihr?«

      »Chicago.«

      »Cool.« Ich überlegte, einfach zur Haustür hinauszustürmen. »Was hat euch nach Maryland verschlagen?«

      »Meine Mom musste wegen ihres Jobs hierherziehen.«

      Während ich die Vorstellung befremdend fand, dass diese wandelnde Vogelscheuche von Frau einen Job bewältigen konnte, ganz zu schweigen davon, dass sie jemandes Mutter war, lächelte und nickte ich einfach weiter wie ein Zurückgebliebener.

      »Ist das echt?« Er zeigte auf mein Gesicht und kam näher, um die Blessuren genauer unter die Lupe nehmen können.

      »Leider ja«, antwortete ich und wich instinktiv vor ihm zurück.

      »Was ist passiert? Bist du vom Fahrrad gefallen?«

      »Nein. Ich bin von ein paar Typen vermöbelt worden.«

      Adrian presste die Lippen aufeinander.

      »Das hier ist keine üble Gegend«, beruhigte ich ihn. »Ich meine, es gibt überall ein paar Idioten, egal wo man hingeht, aber im Grunde sind hier alle cool drauf.«

      »Oh. Okay. Hast du viele Freunde hier?«

      »Klar«, antwortete ich. »Ein paar von ihnen wohnen auch hier im Block.«

      Er nickte ungerührt. »Magst du Comics?«

      »Sicher«, entgegnete ich, obwohl ich nicht ein einziges Comicheft besaß. Als ich jünger gewesen war, hatte ich sie mir immer für einen Dollar fünfundzwanzig im Newsoleum in der Second Avenue gekauft, aber damit aufgehört, sobald ich angefangen hatte, Horrorromane zu lesen.

      »Ich habe jede Menge. Ich war gerade dabei, oben ein paar davon auszupacken. Möchtest du mit hochkommen und sie dir ansehen?«

      »Nun, ich sollte besser wieder nach Hause. Ich muss meiner Großmutter dabei helfen, Süßigkeiten an die Kinder zu verteilen.«

      »Gehst du auch von Haus zu Haus?«

      Meine Freunde und ich waren an Halloween nicht mehr umhergezogen, seit wir elf waren. Dieser Junge musste jedoch etwa in meinem Alter sein und ich wollte mich nicht über ihn lustig machen, also sagte ich einfach: »Nö, hab noch Hausaufgaben und so Zeug zu erledigen.«

      »Wo gehst du zur Schule?«

      »Stanton. Du hast sie bestimmt gesehen, als du in die Stadt gekommen bist. Es ist ein großes altes Gebäude, das wie eine mittelalterliche Festung aussieht.«

      »Oh, ja. Das ist auch meine neue Schule.«

       Na großartig, dachte ich. Es würde wahrscheinlich damit enden, dass ich in der Hälfte meiner Fächer neben diesem Jungen saß. Er würde mir überallhin folgen, sich selbst in die Gruppe meiner Freunde infiltrieren und in der Mittagspause neben mir am Tisch sitzen.

      »Nun dann … Vielleicht möchtest du ja mal vorbeikommen, dann zeige ich dir meine Comicheftsammlung. Wenn du Zeit hast.«

      »Okay.« Ich heuchelte Interesse


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