Schopenhauer. Kuno Fischer

Читать онлайн книгу.

Schopenhauer - Kuno  Fischer


Скачать книгу
für eine Arbeit von verwandtem Thema die königlich norwegische Sozietät der Wissenschaften zu Drontheim ihm die große Medaille und das Diplom ihrer Mitgliedschaft erteilt habe, dass er auf die Ehre der zweiten Art ein größeres Gewicht lege als auf die der ersten, und dass er die beiden Abhandlungen nunmehr unter dem gemeinsamen Titel herauszugeben wünsche: »Die beiden Grundprobleme der Ethik, in zwei gekrönten Preisschriften gelöst«.177

      Vergebens harrte er auf die Siegesbotschaft. Als er sich endlich nach dem Ausgang erkundigte, wurde ihm die Antwort erteilt, dass den 30. Januar 1840 das Urteil gefällt und seine Arbeit des Preises nicht für würdig erachtet worden sei: er habe den Zielpunkt der Aufgabe außer Acht gelassen und anhangsweise behandelt, was er als Hauptsache hätte behandeln solle: den Zusammenhang des Prinzips der Ethik mit dem der Metaphysik; er habe als Prinzip der Ethik das Mitleid aufgestellt, aber weder die zureichende Geltung desselben bewiesen, noch durch die Art seiner Darstellung den Preisrichtern genügt; endlich wolle man nicht verschweigen, dass man an den ungeziemenden Ausdrücken, in denen er von einigen der angesehensten Philosophen der Zeit geredet habe, gerechten und ernsten Anstoß genommen.

      Nunmehr veröffentlichte er beide Abhandlungen unter dem gemeinsamen Titel: »Die beiden Grundprobleme der Ethik, behandelt in zwei akademischen Preisschriften von Dr. Arthur Schopenhauer, Mitglied der königlich norwegischen Sozietät der Wissenschaften. I. Über die Freiheit des menschlichen Willens, gekrönt von der königlich norwegischen Sozietät der Wissenschaften zu Drontheim am 26. Januar 1839. II. Über das Fundament der Moral, nicht gekrönt von der königlich dänischen Sozietät der Wissenschaften zu Kopenhagen, den 30. Januar 1840.«178

      Das Urteil der dänischen Akademie hatte ihn auf das bitterste enttäuscht und in einen Aufruhr von Ärger versetzt, dem er nun in der »Vorrede« ungezügelten Lauf ließ. Dass seine klare und bündige Auslegung des Themas nicht als richtig befunden wurde, hatten die Preisrichter selbst durch die unsichere und etwas missverständliche Fassung desselben verschuldet. Unter den Gründen wider ihn war der triftigste, dass er Männer wie Fichte, Schelling und Hegel auf schmähsüchtige Art erwähnt hatte. Gerade diese Philosophen zählten damals unter den dänischen Akademikern Anhänger und Verehrer. Ich nenne nur den einen: Hans Christian Oersted, den Entdecker des Elektromagnetismus. Selbst wenn eine Abhandlung wegen ihres wissenschaftlichen Wertes den Preis verdient, kann eine Akademie ihr denselben unmöglich erteilen, wenn sie genötigt sein soll, Schmähungen, die sie verwirft, mitzukrönen. In einer solchen Lage sah sich die dänische Akademie dem Bewerber gegenüber und war mit diesem Grund wider ihn ganz in ihrem Recht.

      Aber gerade dieser Tadel mit der Hinweisung auf die »summi philosophi« hatte ihn am meisten erbost. Was nach seiner Ansicht die dänische Akademie an ihm gesündigt hatte, sollte nun Hegel entgelten, gegen den sich die Vorrede in einer wirklich tollen Kapuzinade erging. Fichte, der in der Abhandlung selbst »so ein Windbeutel« genannt war, gilt hier mit einmal als »ein Talentmann«, der hoch über Hegel stehe, »diesem sehr gewöhnlichen Kopf, sehr ungewöhnlichen Scharlatan, diesem Philosophen mit seinem falschen, erschlichenen, gekauften, zusammengelogenen Ruhm, diesem Absurditätenlehrer, diesem Papier-, Zeit- und Kopfverderber, dessen Philosophie, die Apotheose des Unsinns, einen höchst verderblichen, verdummenden, pestilenzialischen Einfluss auf die deutsche Literatur ausgeübt habe«. Um solche Beschimpfungen zu erhärten, wurden aus dem naturphilosophischen Teile der Hegel’schen Enzyklopädie drei Beispiele angeführt: in dem ersten habe er in der zweiten Schlussfigur positiv geschlossen, in dem zweiten der Trägheit die Gravitation entgegengesetzt und in dem dritten die Vergänglichkeit der Materie behauptet.

      Wie vor fünf Jahren in der Einleitung seiner Schrift »Über den Willen in der Natur«, so verhallten auch die Schmähungen dieser Vorrede, obwohl ihre Keile verstärkt waren, völlig ungehört. Unterdessen stand die Hegel’sche Philosophie in vollster Blüte und übte in den »Hallischen Jahrbüchern«, die unter A. Ruge und Th. Echtermeyer eine Menge der tüchtigsten schriftstellerischen Kräfte ins Feld führten, einen herrschenden Einfluss in der Tagesliteratur. Man mochte diesen Einfluss bekämpfen und beklagen, aber denselben »verdummend« nennen konnte nur die blinde und ohnmächtige Wut.179

      Es gehörte die damalige weite Verbreitung der philosophischen Interessen infolge des Einflusses der Hegel’schen Philosophie dazu, dass zwei gelehrte Gesellschaften im Norden auf den Gedanken kamen, rein philosophische Themata, wie die Fragen über die menschliche Willensfreiheit und die Grundlage der Moral, als Preisaufgaben zu verkünden. Schopenhauer selbst, über die Seltenheit solcher Aufgaben erstaunt, sagt in seiner Vorrede: er habe beide Fragen »pour la rareté du fait« beantwortet; die dänische Akademie hätte sich hüten sollen, eine so hohe, ernste, bedenkliche Frage zu stellen. »Denn hinterher, nachdem auf eine ernste Frage eine ernste Antwort eingegangen, ist es nicht mehr an der Zeit, sie zurückzunehmen. Und wenn einmal der steinerne Gast geladen worden, da ist bei seinem Eintritt selbst Don Juan zu sehr ein Gentleman, als dass er die Einladung verleugnen solle.«

      Er verglich sich außerordentlich gern mit dem steinernen Gast. Als er zehn Jahre später einem Professor und Hegelianer von großem Ruf auf dessen höfliche, wohl etwas scheue Bitte seinen Lebensabriss schickte, berichtet er diese Begebenheit an Frauenstädt mit den Worten: »Tritt er im Briefe nicht zu mir ein wie ein athenischer Jüngling zum Minotaur? oder Leporello mit ›Du Bild von Erz und Steine, mir zittern die Gebeine‹?« Noch lieber verglich er sich mit dem Montblanc, wenn er in der Morgensonne strahlt; am liebsten mit der Sonne selbst.

      Nicht bloß die Vorrede blieb unbeachtet, sondern das ganze Buch. In keiner Literaturzeitung wurde es besprochen oder auch nur erwähnt. Und es war, sachlich genommen, ein höchst interessantes, geistvolles und lehrreiches Werk.180

      Sechstes Kapitel

      Der zweite Abschnitt der Frankfurter Periode (1841 – 1850)

      1. Die Erneuerung des Hauptwerks

      Dieser vorletzte Abschnitt seines Lebens, in welchem die öffentliche Anerkennung zu dämmern beginnt, reicht von den »beiden Grundproblemen der Ethik« bis zu den »Parerga und Paralipomena«, dem letzten seiner Werke. Seit der Vollendung seines Hauptwerks war er unablässig mit den »Ergänzungen« desselben beschäftigt, die in einer vermehrten Auflage oder in einem besonderen Supplementband erscheinen sollten. Die Ausführung dieses Planes hatte er schon in den Jahren 1828 und 1835 eifrig, aber umsonst betrieben und als das Ziel seiner literarischen Bestrebungen im Auge behalten.181

      Mit den Jahren hatten sich diese Ergänzungen vermehrt und waren im Mai 1843 endlich in einem Umfange von fünfzig Kapiteln zum Abschluss gekommen. Nunmehr konnte nur noch von einer neuen Auflage des Hauptwerks in zwei Bänden die Rede sein.

      Aber die Verlagshandlung Brockhaus verhielt sich zu seinem Antrag ablehnend, da von der ersten Auflage noch genug Exemplare für die Nachfrage vorrätig seien und sie mit derselben »ein zu schlechtes Geschäft« gemacht habe (13. Mai 1843). Auch die Versicherung, dass sein neues Werk aus vierundzwanzigjährigem Nachdenken entstanden und das Beste sei, was er geschrieben habe, dass er nun endlich den Widerstand der stumpfen Welt zu besiegen hoffe, konnte ihre Bedenken nicht wegräumen. Endlich entschloss sie sich, eine neue Auflage des ganzen Werks zu veranstalten, den ersten Band in 500, den zweiten in 750 Exemplaren drucken zu lassen, ohne Kosten und ohne Honorar für den Verfasser. Damit war sein Hauptziel erreicht. »Sie haben mir«, schrieb er den 14. Juni, »eine unerwartete große Freude gemacht, wie ich aufrichtig gestehe; aber eben so aufrichtig versichere ich Sie meiner festen Überzeugung, dass Sie durch Übernahme meines vervollständigten Werks ein gutes Geschäft machen, ja, dass einst der Tag kommen wird, wo Sie über Ihre Bedenklichkeit, die Druckkosten daran zu wenden, herzlich lachen werden.«

      »Nicht den Zeitgenossen, nicht den Landsgenossen, – der Menschheit übergebe ich mein nunmehr vollendetes Werk.« So begann die im Februar 1844 geschriebene Vorrede, die sich alsbald in neue Schmähungen wider die Gegenwart und die nachkantischen Scheinphilosophien der drei berufenen Sophisten ergoss, unter denen Hegel auf der Leiter der Beschimpfungen noch eine Sprosse, die letzte, aufzusteigen hatte: er hieß jetzt


Скачать книгу