Schopenhauer. Kuno Fischer

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Schopenhauer - Kuno  Fischer


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er sich schon auf den Sprossen abwärts und Schopenhauer auf dem Wege der Mäßigung. Es herrsche eben jetzt auf dem Gebiete der Philosophie ein Schreiben und Reden in äußerer Regsamkeit, deren versteckte Triebfedern lediglich egoistische Motive und die Rücksichten auf Staat und Kirche seien. Absichten, nicht Einsichten wären der Leitstern »dieser Tumultuanten«. Von Seiten der Regierung werde die Philosophie als Staatsmittel, von Seiten der Philosophen als Erwerbsmittel betrieben; eben darin bestehe der Unterschied zwischen ihm und den Philosophieprofessoren, dass diese von der Philosophie leben, er dagegen für sie.

      Diese Tumultuanten? Auf dem Gebiete der Philosophie am Anfang der vierziger Jahre? Darunter können nur Männer gemeint sein wie D. Fr. Strauß, Ludw. Feuerbach, B. Bauer, Fr. Th. Vischer, Arnold Ruge u.a., die, wie man auch sonst über sie und ihre Werke urteilen möge, sämtlich um ihrer Reden und Schriften willen Amt, Stellung und Wirksamkeit einbüßten. Und diese sollen aus Rücksicht auf Staat und Kirche geredet und geschrieben haben? Der Mann, der diese Verleumdungen niederschrieb, war nicht bei Troste. Und was den »Kaliban« betrifft, fortan die typische Bezeichnung Hegels im Munde Schopenhauers, so sind die ersten Worte, welche Shakespeare dieses sein Monstrum ausstoßen lässt, boshafte und verleumderische Schimpfreden, für welche ihn Prospero züchtigt.

      Der Ruhm, auch der verdiente, lässt sich nicht erschimpfen. Wenn das möglich wäre, so müsste ihn Schopenhauer durch seine drei letzten Werke in Überfülle gewonnen haben. Aber er blieb völlig unbeachtet, mehr als je. Niemand las den Willen in der Natur; es war »ein Raffael in der Bedientenstube«: so tröstete er sich selbst. Keine Literaturzeitung erwähnte auch nur die beiden Grundprobleme der Ethik, und als er in großer Spannung nach den Erfolgen seines nunmehr vollständigen Hauptwerks sich erkundigte, schrieb ihm der Verleger (den 14. August 1846): »Ich kann Ihnen zu meinem Bedauern nur sagen, dass ich damit ein schlechtes Geschäft gemacht habe, und die nähere Auseinandersetzung überlassen Sie mir wohl«.

      Eben waren die »Ergänzungen« vollendet, als Schopenhauer erfuhr, dass von seiner ersten Schrift kein Exemplar mehr vorhanden sei. Dieselbe war nicht etwa vergriffen, sondern die Rudolstädter Buchhandlung, die sie in Kommission hatte, war in Konkurs geraten und der ganze noch übrige Vorrat jener Doktordissertation eingestampft worden. Nun ließ er eine »zweite, sehr verbesserte und beträchtlich vermehrte Auflage« erscheinen und nahm die Verse des pythagoreischen Schwurs zu deren Motto, indem er die vierfache Wurzel mit der pythagoreischen Tetraktys verglich.182

      Die neue Vorrede vom September 1847 brachte wiederum eine Schmährede des nunmehr schon gewohnten Stils: es war das vierte Präludium dieser Art. Der Verfasser blieb von der Wahnidee beherrscht, dass die Philosophieprofessoren eine neidische, wider ihn und seinen Ruhm verschworene Clique bildeten; endlich sei er dahintergekommen, in welche Gesellschaft von Gewerbsleuten und untertänigen Augendienern er geraten, und worauf es bei ihnen eigentlich abgesehen sei. Der Erfolg habe gelehrt, was dabei herauskomme, wenn ein plumper Scharlatan, wie Hegel, zum großen Philosophen gestempelt werde. Die Köpfe der jetzigen Gelehrtengeneration, zum Denken unfähig, roh und betäubt, seien die Beute des platten Materialismus geworden, der aus dem Basiliskenei hervorgekrochen. Solche und ähnliche Ergüsse, welche die schülerhafte und blinde Bewunderung für polemische Meisterstücke und philippische Reden hält, werden von Schopenhauer selbst bei dieser Gelegenheit richtig und treffend charakterisiert, indem er sagt: »Die Indignation quillt mir aus allen Poren«. Er konnte die Galle nicht halten, und es gehörte zu seiner Diät, sie oft und reichlich zu ergießen. Wenn er in seinen Briefen sich auf diese Art erleichtert hat, sagt er wohl: »Jetzt habe ich meine Galle ausgeschüttet, und es ist gut«.183

      1. Drei Juristen

      Allmählich kamen einige Anhänger, die aber in dem Jahrzehnt von 1840 – 1850 die Vierzahl nicht überschritten. Darunter waren drei Juristen: der geheime Justizrat Dorguth in Magdeburg, zehn Jahre älter als Schopenhauer, für dessen Lehre er in einer Reihe von Schriften (1843 – 1854) Propaganda zu machen bestrebt war; er hat »über die falsche Wurzel des Idealrealismus« an seinen Landsmann, den Professor Rosenkranz in Königsberg, ein Sendschreiben gerichtet, worin er Schopenhauer für »den ersten realen Denker der ganzen Literatengeschichte« erklärte; der zweite war der pfälzische Advokat Johann August Becker aus Alzey, der aus dem Studium der Schriften Schopenhauers das Interesse an der Philosophie wiedergewonnen hatte und mit dem Philosophen selbst im Juli 1844 in brieflichen und persönlichen Verkehr trat, er hat diesem stets als einer der gründlichsten Kenner seiner Lehre gegolten; Adam v. Doß war noch Rechtspraktikant, als er den Meister im April 1849 besuchte und durch den schwärmerischen Eifer, den er für seine Lehre an den Tag legte, ganz für sich gewann; er schrieb, um Leser zu werben, Briefe an Personen von Gewicht und Bedeutung, wie Dav. Fr. Strauß und Leopold Schefer, und tat, was er konnte, um Brüder in Schopenhauer zu stiften.

      Aber der eigentliche Jünger und Famulus, der zur wirksamen Ausübung der Propaganda die erforderliche philosophische Schulung und rührige Schreibfertigkeit besaß, fand sich in Julius Frauenstädt, einem Manne jüdischer Abkunft aus Bojanowo, der in den Jahren 1833 – 1836 Philosophie und Theologie in Berlin studiert hatte, ohne je den Namen Schopenhauer zu hören. Um einer psychologischen Arbeit willen las er das Hauptwerk, auf welches der Zufall ihn geführt. In seinen »Studien und Kritiken zur Theologie und Philosophie« schrieb er eine Seite über Schopenhauer; in einem Artikel, der in den Hallischen Jahrbüchern erschien und dem Philosophen Krause gewidmet war (1841), erwähnte er wiederum »den genialen tiefsinnigen Schopenhauer«, der unerkannt und verdunkelt in der Abgeschiedenheit lebe, während er an Geist und Wissen alle anderen überstrahle. Solche Worte waren Balsam für den Frankfurter Einsiedler, der immer lauschte und aufhorchte, ob sein Name genannt werde? wo und wie?

      Damals hielt der wieder auferstandene Schelling in Berlin seine Vorlesungen über die Philosophie der Offenbarung und Mythologie, deren Inhalt kennen zu lernen alle Welt gespannt war. Aus seinem nachgeschriebenen Hefte gab Frauenstädt ohne alle Berechtigung eine Darstellung jenes Inhalts, welche Schelling für »das Produkt einer bettelhaften und schmutzigen Buchmacherei« erklärt hat.184

      Als Hauslehrer in einer vornehmen russischen Familie185 kam Frauenstädt im Juli 1846 nach Frankfurt und machte nun Schopenhauers persönliche Bekanntschaft, der ihn auf Grund seiner literarischen Verdienste nach Gebühr empfing. Er konnte im Oktober zurückkehren und fünf Monate hindurch den Verkehr mit Schopenhauer pflegen; er ist im September 1847 wiedergekommen und bis in den Dezember geblieben. Es war das dritte- und letztemal. Dann verkehrten beide neun volle Jahre hindurch in ununterbrochenem Briefwechsel.

      An diesem 25 Jahre jüngeren Manne gewann Schopenhauer einen Schüler und Jünger, der bewundernd zu ihm emporsah, einen wohl unterrichteten, seiner Werke kundigen Famulus, einen unermüdlichen Leser und Schreiber, mit einem Wort einen literarischen Hausgeist, der im Laufe der Jahre ihm so viel schätzenswerte Dienste erwiesen, dass er denselben zuletzt zum Erben des Hauses, d. h. seiner Werke und seines literarischen Nachlasses ernannt hat.

      Man muss Frauenstädts »Memorabilien« und Schopenhauers Briefe an ihn lesen186, um jenem Schein einer düsteren Erhabenheit, worin sich der Einsiedler von Frankfurt so wohl gefiel, jener »solitude of kings«, die er mit Byron gemein haben wollte und auch zuweilen hatte, nicht zu trauen. Man muss hören, wie er den Famulus drängt, auf dem Lesezimmer in Berlin alle Bücher, Blätter und Zeitungen zu durchstöbern und zu prüfen, ob, wo und was über ihn zu lesen steht, mit welcher Ungeduld er diese Nachrichten erwartet, mit welcher Gier er sie verschlingt, welche Klagen und Seufzer er ausstößt, dass jener nicht emsig genug nachgeforscht hat, dass ihm wohl Dreiviertel der gedruckten Lobpreisungen verborgen bleibe; nun berechnet er aus der bekannten Größe die unbekannte, aus der gedruckten Bewunderung die ungedruckte und sieht seinen Ruhm ins Unermessliche wachsen. Man kann ihm nicht genug berichten, was alles die Leute über ihn sagen, schreiben und drucken. Jedes Blatt mit dem Preise seines Namens, heute gedruckt, morgen vergessen, wie es der Wind der Tagesliteratur treibt, ist ihm ein neues Pfand der Unsterblichkeit.


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