Philosophische und theologische Schriften. Nicolaus Cusanus

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Philosophische und theologische Schriften - Nicolaus Cusanus


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als anziehendes, nicht durch übermäßige Gedehntheit ermüdendes Bild.

      4. Mit einem gewissen nationalen Selbstgefühle bittet Cusa seinen Lehrer, Kardinal Julian Cäsarini, dem er die erste größere philosophische Arbeit – de docta ignorantia – widmete, er möge dieses wie immer geartete System eines Deutschen über göttliche Dinge wohlwollend aufnehmen. Und in der Tat! Wenn wir das lateinische Gewand der Darstellung hinwegnehmen, so wird jeder Kundige hier das Werk eines deutschen Geistes mit Freuden entdecken; ja, er wird oft meinen, nicht einen Scholastiker aus dem 15. Jahrhundert, sondern einen deutschen Philosophen der neueren Zeit zu lesen. Die Grundgedanken der deutschen Mystik – man könnte Cusas System den ins Philosophische übersetzten Thomas von Kempis, aus dessen Kreisen auch jener hervorgegangen, nennen –, eine Kritik des menschlichen Erkenntnisvermögens, die Naturphilosophie von Schelling und Bader – alles dieses tritt uns hier entgegen, aber zu einem solchen Ganzen verarbeitet, daß der Pantheismus überwunden wird und durch die großartig im Geiste eines Clemens von Alexandrien aufgefaßte Logoslehre die Grundideen des Christentums überall ihre Herrschaft siegreich behaupten – Gründe genug, daß wir das lateinische Gewand, aus welchem ohnehin die deutsche Form des Gedankens überall hervorschaut, hinwegnehmen und den deutschen Denker in seiner natürlichen Gestalt schauen lassen. Ich schmeichle mir mit der Hoffnung, daß die bisher nur mangelhaft erschlossene Lektüre eines christlichen Philosophen, durch dessen Schriften sich eine so tiefe und warme Religiosität hindurchzieht, der in allem seinem Denken nichts anderes bezweckte, als daß, wie in ihm, so auch in seinen Lesern auf dem Wege der Spekulation »Christus für Geist und Herz immer größer werden möge« (de docta ignorantia III, c. 12, S. 62) außer den Männern vom Fache, die an der Quelle selbst schöpfen, allen willkommen sein werde, welche auf jenem Grade von Bildung stehen, daß ein jeder Versuch zur Lösung der höchsten Probleme des menschlichen Geistes ihr lebhaftestes Interesse in Anspruch nimmt. Werfen wir vollends einen Blick auf den dermaligen Stand der Philosophie, so ist derselbe von der Art, daß ein Geist wie Cusa aufzutreten sich nicht im mindesten scheuen darf.

      5. Es versteht sich endlich von selbst, daß die Übersetzung der namhaftesten philosophischen Schriften die beste Grundlage bildet, auf welcher eine lebendige Erörterung über Geist und Richtung, Entwicklungsgang des Systems so in der zweiten Abteilung aufgebaut werden kann. Ist ja eine richtige Übersetzung auch schon eine Erklärung des Sinnes mancher Stellen, vorausgesetzt, daß man nicht da, wo die Übersetzung Schwierigkeiten bietet, den lateinischen Ausdruck beibehält, sondern wirklich den möglichst adäquaten aus der deutschen philosophischen Sprache aussucht. Inwieweit ich nun die oft nicht geringen Schwierigkeiten überwunden und namentlich auch den vielfach fehlerhaften Text der Basler Ausgabe aus dem Sinn und Zusammenhang verbessert habe, stelle ich dem Urteile der Sachverständigen anheim.

      Durch die Auswahl der übersetzten philosophischen Schriften soll nicht gesagt sein, daß nicht noch einige andere der nicht übersetzten zur allseitigen Erkenntnis des Systems erforderlich seien; doch sind die Hauptgedanken in dem hier Übersetzten niedergelegt. Zwei der übersetzten Schriften: de pace fidei und cribratio Alchoran gehören zwar nicht zu den im engeren Sinne spekulativen, allein sie sind doch von den Grundideen der philosophischen Anschauung Cusas getragen und verdienen auch ihrem übrigen Inhalte nach wörtlich und vollständig bekannt zu werden. Unterlassen habe ich die Übersetzung der Schrift: de concordantia catholica sowie der Briefe an die Böhmen, da ihr wesentlicher Inhalt bereits in meine oben erwähnte Monographie (S. 32–91 und 91–105) aufgenommen ist.

      Die zweite Abteilung wird die wissenschaftliche Untersuchung über Cusas System und dessen Stellung im Entwicklungsgange der Philosophie und spekulativen Theologie enthalten.

      Möge sich diese meine Arbeit der gleichen günstigen Aufnahme, wie die frühere über denselben Gegenstand erfreuen! Glücklich würde ich mich schätzen, wenn dieselbe einiges beitragen sollte, daß, wenn in nicht ferner Zeit (am 10. August 1864) vier Jahrhunderte seit dem Hinscheiden des Mannes, auf den die katholische Kirche und besonders das deutsche Vaterland mit Stolz hinblicken darf, verflossen sind, sein geistiges Bild in möglichst lebensvollen und sprechenden Zügen vor uns steht.

I.

      VON DER WISSENSCHAFT DES NICHTWISSENS

      (De docta ignorantia)

       Nicolaus von Cusa an den hochehrwürdigen Kardinal Julian, seinen Lehrer

      Deinen großen und gepriesenen Geist wird es mit Recht befremden, daß ich, indem ich aus dem Barbarenlande meine Albernheiten (meas barbaras ineptias) allzu unüberlegt zu veröffentlichen wage, dich um ein Gutachten ersuche (te arbitrum eligo), als hättest du bei deiner Stellung am apostolischen Stuhle als Kardinal und bei der angestrengtesten Tätigkeit im öffentlichen Dienste noch einige Muße übrig, oder als könnte dich, den feinsten Kenner der gesamten lateinischen und nun auch der griechischen Literatur, das Ungewöhnliche des Titels für diese meine vielleicht ganz ungereimte Schrift gewinnen. Meine Geistesrichtung ist dir längst hinlänglich bekannt. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß nicht so sehr der Gedanke, hier bisher Unbekanntes zu finden, als vielmehr das Befremden über die Kühnheit, mit der ich mich an eine Abhandlung über die Wissenschaft des Nichtwissens gewagt, deine große Wißbegierde zum Einsehen meiner Arbeit bewegen werde. Die Naturlehre sagt uns, dem Appetite gehe eine unangenehme Empfindung im Gaumen vorher, auf daß die Natur bei ihrem Selbsterhaltungstriebe hierdurch angereizt neue Kräfte sammle. So geht wohl auch mit Recht das Staunen, das uns zum Philosophieren anregt (admirari, propter quod philosophari), dem Wissenstriebe vorher, damit unsere Vernunft, der das Begreifen ihr Sein ist, im Streben nach Wahrheit zur Vollkommenheit gelange. Das Seltene fesselt uns, wenn es auch abenteuerlich (monstra) ist.

      So glaube denn, mein einziger Lehrer! in deiner Humanität, daß hier etwas deiner Würdiges verborgen sei, und nimm dieses wie immer gestaltete Philosophem eines Deutschen über göttliche Dinge wohlwollend auf! Die große Mühe, die ich darauf verwendet, hat es mir zu einer äußerst lieben Beschäftigung gemacht.

      Erstes Buch

      ERSTES KAPITEL

      Unser Wissen ist Nichtwissen

      Als Gabe Gottes liegt in allen Dingen, wie wir sehen, ein natürliches Verlangen, auf eine bessere Weise zu existieren, wie es ihr natürlicher Zustand zuläßt. Für dieses Ziel sind besonders diejenigen Wesen tätig und mit den geeigneten Hilfsmitteln versehen, denen der Verstand angeboren ist, entsprechend dem Zwecke des Erkennens, auf daß jenes Verlangen nicht ein vergebliches sei, sondern in dem Gegenstande des Verlangens durch den Zug (pondere) der eigenen Natur seine Ruhe finde. Geht es etwa anders, so kann dies nur akzidentiell sein, z. B. wenn Kränklichkeit den Gaumen oder die Meinung den Verstand in die Irre führt. Daher sagen wir, die gesunde und freie Vernunft erkenne das Wahre, das sie in einem ihr angeborenen unersättlichen Suchen, alles durchforschend, zu erreichen strebt, wenn sie es in liebendem Umfassen ergreift (Quamobrem sanum liberum intellectum verum [quod insatiabiliter indito discursu, cuncta perlustrando attingere cupit], apprehensum amoroso amplexu cognoscere dicimus), und wir zweifeln nicht, vollkommen wahr sei das, dem kein gesunder Verstand widersprechen kann. Alle Forschung ermißt aber das Ungewisse durch proportionale Vergleichung mit etwas vorausgesetztem Gewissen. Jede Forschung ist mithin eine vergleichende (comparativa est omnis inquisitio), mittelst einer Proportion. Läßt sich das Gesuchte in naheliegender Proportion mit dem vorausgesetzten Gewissen in Verbindung bringen, so ergibt sich das (die Wahrheit) erfassende Urteil auf leichte Weise, bedarf es aber einer vielfachen Vermittlung (multis mediis), dann entstehen Schwierigkeiten und Mühe. Bekannt ist dies von der Mathematik, wo die ersten Lehrsätze auf die ersten und ganz bekannten Prinzipien leichter zurückgeführt werden, die späteren Lehrsätze aber schwieriger, weil es nur durch die Vermittlung jener möglich ist. Jedes Forschen bewegt sich also in einer leichten oder schwierigen vergleichenden Proportion nach einem Unendlichen hin, das als Unendliches, indem es sich jeder Proportion entzieht, unbekannt ist. Da die Proportionen ein Zusammenstimmen in einem gewissen einen und zugleich ein Anderssein ist, so läßt sie sich ohne Zahl nicht denken. Die Zahl schließt somit alles Proportionale in sich. Nicht


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