Philosophische und theologische Schriften. Nicolaus Cusanus

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Philosophische und theologische Schriften - Nicolaus Cusanus


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      ERSTES KAPITEL

      Einleitende Folgesätze aus dem Bisherigen, um den Begriff des einen unendlichen Universums festzustellen

      Es dürfte für unsere Wissenschaft sehr förderlich sein, vorerst einige Folgesätze aus unserm Prinzip vorauszuschicken. Sie werden eine gewisse Gewandtheit geben, unendlich vieles Ähnliche auf gleiche Weise aus dem Prinzip zu entwickeln, und werden über das Folgende größere Klarheit verbreiten.

      Als Wurzelbegriff stellten wir auf, daß man da, wo sich Ausschreitungen finden (in excessis et excedentibus), zum Größten, in Sein und Können, nicht gelange. Daher zeigten wir, die präzise Gleichheit komme nur Gott zu, woraus folgt, daß alles außer ihm sich differenziere. Es kann daher nicht eine Bewegung der andern gleich, nicht eine das Maß für die andere sein, da das Maß und das Gemessene notwendig verschieden sind. Dies läßt eine Anwendung auf unendlich vieles zu. Was die Astronomie betrifft, so ersiehst du daraus, daß der astronomische Kalkül der Präzision entbehre, weil er voraussetzt, durch die Bewegung der Sonne könne die Bewegung aller andern Planeten gemessen werden. Auch die ganze Situation des Himmels (coeli dispositio), man mag was immer für eine Stelle annehmen, seien es die östlichen oder westlichen Himmelszeichen oder die Elevation des Pols und was damit zusammenhängt, läßt keine präzise Erkenntnis zu. Und da keine zwei Orte in Zeit und Lage präzis übereinstimmen, so ist klar, daß die Urteile über die Gestirne nach deren partikularem Wesen weit von Präzision entfernt sind. Wendest du diese mathematische Regel auf die Geometrie an, so findest du auch hier, daß in der Wirklichkeit (actu) eine Gleichheit der geometrischen Figuren unmöglich sei, und kein Ding mit dem andern in Figur und Größe präzis übereinstimmen könne. Wenn gleich die Regeln rationell (in sua ratione) richtig sind, eine einer gegebenen Figur gleiche zu beschreiben, so ist doch in Wirklichkeit die Gleichheit unmöglich. Hieraus erkennst du, daß die Wahrheit, losgetrennt vom Materiellen, rationell die Gleichheit sieht, die man in den Dingen unmöglich durchführen kann, weil hier immer ein Mangel bleibt. Auch in der Musik gibt es keine Präzision. Kein Ding stimmt mit dem andern in Gewicht, Länge und Dichtigkeit überein, und zwischen den verschiedenen Tönen von Fisteln, Glocken, Menschen und Instrumenten läßt sich keine präzise harmonische Proportion herstellen, die nicht noch präziser sein könnte. Eine präzise Proportion besteht daher nur rationell; in der Sinnenwelt ist auch die schönste Harmonie nicht ohne Mangel, weil sie dort nicht zu finden ist. Erhebe dich hier zu dem Gedanken, daß die präziseste, größte Harmonie Proportion in der Gleichheit ist, die der im Fleische lebende Mensch zu hören nicht imstande ist, weil sie, da sie ganz rationell ist, das Rationelle unserer Seele vollständig an sich ziehen (absorbieren) würde, wie das unendliche Licht alles Licht (absorbiert), so daß die von der Sinnlichkeit ganz losgelöste Seele ohne eine Entzückung (sine raptu) eine auf das Höchste übereinstimmende Harmonie mit dem Ohre des Verstandes nicht hören würde. Eine schöne und wichtige Betrachtung ließe sich hier anknüpfen, sowohl über die Unsterblichkeit unserer geistigen Natur, die das unzerstörlich Rationelle (rationem incorruptibilem) in sich trägt, vermöge welchem sie dessen Abbild, den Einklang in der Musik aus sich selbst erzeugt, als auch über die ewige Freude, in welche die Seligen, losgelöst von der Welt, erhoben werden. Doch hierüber ein andermal. Wenden wir unser Prinzip auf die Arithmetik an, so sehen wir, daß keine zwei Dinge in der Zahl übereinstimmen, weil hinsichtlich der Wahrheit der Zahl die Zusammensetzung, Proportion, Harmonie, Bewegung etc. sich verändern. Wir sehen hieraus, daß wir nichts wissen (ignorare); denn keiner ist wie der andere in Sinn, Einbildung, Vernunft, in allen Tätigkeiten, im Schreiben, Malen und jeglicher Kunst, wenn er auch tausend Jahre lang den anderen nachahmen wollte. Die Kunst ist eine Nachahmung der Natur, aber zur Präzision bringt sie es nicht. Daher fehlt der Medizin, Alchymie, Magie und anderen verwandelnden Künsten die Präzision der Wahrheit, wenn gleich die Medizin wahrer ist als die verwandelnden Künste. Aus unserem Prinzip folgern wir ferner den Satz: Weil wir in den Gegensätzen immer eine Ausschreitung finden, wie im Einfachen und Zusammengesetzten, Abstrakten und Konkreten, Formalen und Materialen, Zerstörlichen und Unzerstörlichen etc., so gelangt man nie zu dem reinen Gegensatze oder zu der präzisen und ganz gleichen Indifferenz der Gegensätze (ad alterum purum oppositorum non devenitur, aut in quo concurrant praecise aequaliter). Alles ist daher in den Gegensätzen in gradueller Verschiedenheit; nach dem Übergewicht des einen über den anderen nimmt der eine von der Natur des andern mehr oder weniger in sich auf. Daher wir die Kenntnis der Dinge rationell der Art erforscht, daß wir einsehen, wie die Zusammensetzung in dem einen Dinge eine gewisse Einfachheit annimmt, während in einem andern die Einfachheit eine zusammengesetzte ist, Zerstörlichkeit in Unzerstörlichkeit in dem einen, umgekehrt in einem andern Dinge etc., wie wir im Buche von den Mutmaßungen (in libro conjecturarum) zeigen werden, wo hierüber ausführlicher gehandelt werden wird. Dies wenige möge genügen, um die hohe Bedeutung der Wissenschaft des Nichtwissens zu zeigen (pro mirabili potestate doctae ignorantiae ostendenda).

      Um meinem Zwecke näherzukommen, sage ich: Da ein Hinaufsteigen zum schlechthin Größten oder Hinabsteigen zum Kleinsten unmöglich ist, weil sonst ein unendliches Auf- oder Absteigen entstünde, so läßt sich bei jedem gegebenen endlichen Dinge immer ein größeres oder kleineres geben. Denn da jeder Teil des Unendlichen unendlich ist, so involviert es einen Widerspruch, daß ein Mehr oder Weniger sich da finden sollte, wo man zum Unendlichen gelangt, da ein Mehr oder Weniger dem Unendlichen nicht zukommen und auch kein Verhältnis zum Unendlichen haben kann, indem notwendig auch dieses unendlich ist. Denn in der unendlichen Zahl wäre zwei nicht weniger als hundert. Es gibt daher nichts, was die göttliche Macht begrenzte; bei jedem Gegebenen kann durch sie ein größeres oder Kleineres gegeben werden, es wäre denn das Gegebene zugleich das absolut Größte, wie im dritten Buche gezeigt werden soll. Es ist demnach nur das absolut Größte negativ unendlich, es ist allein das, was sein kann, in voller Allmacht. (Solum illud est id, quod esse potest, omni potentia.) Das Universum dagegen kann, da es alles umfaßt, was nicht Gott ist, nicht negativ unendlich sein, obwohl es ohne Grenze (sine termino) und so privativ unendlich ist. Nach dieser Betrachtung ist es daher weder endlich noch unendlich; denn es kann nicht größer sein, als es ist, und zwar dies infolge eines Mangels (hoc quidem ex defecta evenit), denn die Möglichkeit oder Materie hat kein Streben über sich hinaus (possibilitas enim sive materia ultra se non extendit.) Zu sagen, das Universum kann actu immer größer werden, ist soviel als zu sagen: Das Sein-Können geht über in das wirkliche (actu) unendliche Sein, was unmöglich ist, da die unendliche Wirklichkeit (actualitas), die die absolute Ewigkeit ist, aus dem Sein-Können nicht entstehen kann, sie, die in Wirklichkeit die ganze Möglichkeit des Seins ist. (Nam non est aliud dicere, universum posse semper actu esse maius, quam divere, posse esse transire in actu infinitum esse, quod est impossibilie, cum infinita actualitas, quae est absoluta aeternitas, ex posse oriri nequeat, quae est actu omnis essendi possibilitas.) Wiewohl daher das Universum in Rücksicht auf die unendliche Allmacht Gottes, die unbegrenzbar ist, größer sein könnte, so kann es doch nicht größer sein, da die Möglichkeit des Seins oder die Materie, welche nicht actu ins Unendliche ausdehnbar ist, widerstrebt. Es ist daher unbegrenzt (interminatum), da es ein wirklich Größeres nicht gibt, nach dem es begrenzt würde. In diesem Sinne ist es privativ unendlich. In Wirklichkeit (actu) ist es aber nur in konkret beschränkter Weise (contracte), so daß es in so guter Weise existiert, als es seine Natur zuläßt. Denn es ist Geschöpf, das notwendig aus dem absolut göttlichen Sein stammt (est enim creatura, quae necessario est ab esse divino simpliciter absoluto), wie ich nun im Folgenden aus der Wissenschaft des Nichtwissens so klar und einfach als möglich zeigen werde.

      ZWEITES KAPITEL

      Das Sein der Kreatur stammt auf eine uns unbegreifliche Weise aus dem Sein des ersten Größten

       (Quod esse creaturae sit inintelligibiliter ab esse primi)39

      Unser System hat uns gezeigt, daß nichts aus sich ist, als das schlechthin Größte, in dem aus sich, in sich, durch sich Sein identisch ist, nämlich das absolute Sein selbst, so wie daß alles, was ist, das was es ist und soweit es ist, aus jenem sei; denn wie könnte, was nicht aus sich ist, anders sein als aus dem ewigen Sein? Da nun aber das Größte fern von jeder Mißgunst (invidia) ist, so ist es ihm unmöglich, ein vermindertes Sein (als solches) mitzuteilen.


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