Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann
Читать онлайн книгу.wegen ruiniere, überhaupt kann das bei mir nicht geschehen, da ich meine Spieler kenne und sie nicht aus den Augen lasse.” – “Aber eben diese Einschränkung, gnädigster Herr!” erwiderte ich, “hebt wieder die Freiheit des Spiels auf und setzt selbst jenen besonderen Verknüpfungen des Zufalls Schranken, deren Betrachtung Ihnen, gnädigster Herr, das Spiel so interessant macht. Aber wird nicht auch dieser oder jener, den die Leidenschaft des Spiels unwiderstehlich ergriffen, Mittel finden, zu seinem eignen Verderben der Aufsicht zu entgehen und so ein Mißverhältnis in sein Leben bringen, das ihn zerstört? – Verzeihen Sie meine Freimütigkeit, gnädigster Herr! – Ich glaube überdem, daß jede Einschränkung der Freiheit, sollte diese auch gemißbraucht werden, drückend, ja, als dem menschlichen Wesen schnurstracks entgegenstrebend, unausstehlich ist.” – “Sie sind nun einmal, wie es scheint, überall nicht meiner Meinung, Herr Leonard”, fuhr der Fürst auf und entfernte sich rasch, indem er mir ein leichtes “Adieu” zuwarf. Kaum wußte ich selbst, wie ich dazu gekommen, mich so offenherzig zu äußern, ja ich hatte niemals, unerachtet ich in der Handelsstadt oft an bedeutenden Banken als Zuschauer stand, genug über das Spiel nachgedacht, um meine Überzeugung im Innern so zu ordnen, wie sie mir jetzt unwillkürlich von den Lippen floß. Es tat mir leid, die Gnade des Fürsten verscherzt und das Recht verloren zu haben, im Zirkel des Hofes erscheinen und der Fürstin nähertreten zu dürfen. Ich hatte mich indessen geirrt, denn noch denselben Abend erhielt ich eine Einladungskarte zum Hofkonzert, und der Fürst sagte im Vorbeistreifen mit freundlichem Humor zu mir: “Guten Abend, Herr Leonard, gebe der Himmel, daß meine Kapelle heute Ehre einlegt und meine Musik Ihnen besser gefällt als mein Park.”
Die Musik war in der Tat recht artig, es ging alles präzis, indessen schien mir die Wahl der Stücke nicht glücklich, indem eins die Wirkung des ändern vernichtete, und vorzüglich erregte mir eine lange Szene, die mir wie nach einer aufgegebenen Formel komponiert zu sein schien, herzliche Langeweile. Ich hütete mich wohl, meine wahre innere Meinung zu äußern, und hatte um so klüger daran getan, als man mir in der Folge sagte, daß eben jene lange Szene eine Komposition des Fürsten gewesen.
Ohne Bedenken fand ich mich in dem nächsten Zirkel des Hofes ein und wollte selbst am Pharospiel teilnehmen, um den Fürsten ganz mit mir auszusöhnen, aber nicht wenig erstaunte ich, als ich keine Bank erblickte, vielmehr sich einige gewöhnliche Spieltische formten und unter den übrigen Herren und Damen, die sich im Zirkel um den Fürsten setzten, eine lebhafte geistreiche Unterhaltung begann. Dieser oder jener wußte manches Ergötzliche zu erzählen, ja Anekdoten mit scharfer Spitze wurden nicht verschmäht; meine Rednergabe kam mir zustatten, und es waren Andeutungen aus meinem eignen Leben, die ich unter der Hülle romantischer Dichtung auf anziehende Weise vorzutragen wußte. So erwarb ich mir die Aufmerksamkeit und den Beifall des Zirkels; der Fürst liebte aber mehr das Heitre, Humoristische, und darin übertraf niemand den Leibarzt, der in tausend possierlichen Einfällen und Wendungen unerschöpflich war.
Diese Art der Unterhaltung erweiterte sich dahin, daß oft dieser oder jener etwas aufgeschrieben hatte, das er in der Gesellschaft vorlas, und so kam es denn, daß das Ganze bald das Ansehen eines wohlorganisierten literarisch-ästhetischen Vereins erhielt, in dem der Fürst präsidierte und in welchem jeder das Fach ergriff, welches ihm am mehrsten zusagte. – Einmal hatte ein Gelehrter, der ein trefflicher, tiefdenkender Physiker war, uns mit neuen interessanten Entdeckungen im Gebiet seiner Wissenschaft überrascht, und so sehr dies den Teil der Gesellschaft ansprach, der wissenschaftlich genug war, den Vortrag des Professors zu fassen, so sehr langweilte sich der Teil, dem das alles fremd und unbekannt blieb. Selbst der Fürst schien sich nicht sonderlich in die Ideen des Professors zu finden und auf den Schluß mit herzlicher Sehnsucht zu warten. Endlich hatte der Professor geendet, der Leibarzt war vorzüglich erfreut und brach aus in Lob und Bewunderung, indem er hinzufügte, daß dem tiefen Wissenschaftlichen wohl zur Erheiterung des Gemüts etwas folgen könne, das nun eben auf nichts weiter Anspruch mache als auf Erreichung dieses Zwecks. – Die Schwächlichen, die die Macht der ihnen fremden Wissenschaft gebeugt hatte, richteten sich auf, und selbst des Fürsten Gesicht überflog ein Lächeln, welches bewies, wie sehr ihm die Rückkehr ins Alltagsleben wohltat.
“Sie wissen, gnädigster Herr!” hob der Leibarzt an, indem er sich zum Fürsten wandte, “daß ich auf meinen Reisen nicht unterließ, all die lustigen Vorfälle, wie sie das Leben durchkreuzen, vorzüglich aber die possierlichen Originale, die mir aufstießen, treu in meinem Reisejournal zu bewahren, und eben aus diesem Journal bin ich im Begriff etwas mitzuteilen, das, ohne sonderlich bedeutend zu sein, doch mir ergötzlich scheint. – Auf meiner vorjährigen Reise kam ich in später Nacht in das schöne, große Dorf vier Stunden von B.; ich entschloß mich, in den stattlichen Gasthof einzukehren, wo mich ein freundlicher, aufgeweckter Wirt empfing. Ermüdet, ja zerschlagen von der weiten Reise, warf ich mich in meinem Zimmer gleich ins Bette, um recht auszuschlafen, aber es mochte eben eins geschlagen haben, als mich eine Flöte, die dicht neben mir geblasen wurde, weckte. In meinem Leben hatt’ ich solch ein Blasen nicht gehört. Der Mensch mußte ungeheure Lungen haben, denn mit einem schneidenden, durchdringenden Ton, der den Charakter des Instruments ganz vernichtete, blies er immer dieselbe Passage hintereinander fort, so daß man sich nichts Abscheulicheres, Unsinnigeres denken konnte. Ich schimpfte und fluchte auf den verdammten tollen Musikanten, der mir den Schlaf raubte und die Ohren zerriß, aber wie ein aufgezogenes Uhrwerk rollte die Passage fort, bis ich endlich einen dumpfen Schlag vernahm, als würde etwas gegen die Wand geschleudert, worauf es still blieb und ich ruhig fortschlafen konnte.
Am Morgen hörte ich ein starkes Gezänk unten im Hause. Ich unterschied die Stimme des Wirts und eines Mannes, der unaufhörlich schrie: >Verdammt sei Ihr Haus, wäre ich nie über die Schwelle getreten. – Der Teufel hat mich in Ihr Haus geführt, wo man nichts trinken, nichts genießen kann! – alles ist infam schlecht und hundemäßig teuer. – Da haben Sie Ihr Geld, adieu, Sie sehn mich nicht wieder in Ihrer vermaladeiten Kneipe.< – Damit sprang ein kleiner, winddürrer Mann in einem kaffeebraunen Rocke und fuchsroter runder Perücke, auf die er einen grauen Hut ganz schief und martialisch gestülpt, schnell zum Hause heraus und lief nach dem Stalle, aus dem ich ihn bald auf einem ziemlich steifen Gaule in schwerfälligem Galopp zum Hofe hinausreiten sah. Natürlicherweise hielt ich ihn für einen Fremden, der sich mit dem Wirte entzweit habe und nun abgereiset sei; eben deshalb nahm es mich nicht wenig wunder, als ich mittags, da ich mich in der Wirtsstube befand, dieselbe komische kaffeebraune Figur mit der fuchsroten Perücke, welche des Morgens hinausritt, eintreten und ohne Umstände an dem gedeckten Tisch Platz nehmen sah. Es war das häßlichste und dabei possierlichste Gesicht, das mir jemals aufstieß. In dem ganzen Wesen des Mannes lag so etwas drollig Ernstes, daß man, ihn betrachtend, sich kaum des Lachens enthalten konnte. Wir aßen miteinander, und ein wortkarges Gespräch schlich zwischen mir und dem Wirt hin, ohne daß der Fremde, der gewaltig aß, daran Anteil nehmen wollte. Offenbar war es, wie ich nachher einsah, Bosheit des Wirts, daß er das Gespräch geschickt auf nationelle Eigentümlichkeiten lenkte und mich geradezu frug, ob ich wohl schon Irländer kennengelernt und von ihren sogenannten Bulls etwas wisse. >Allerdings!< erwiderte ich, indem mir gleich eine ganze Reihe solcher Bulls durch den Kopf ging. Ich erzählte von jenem Irländer, der, als man ihn frug, warum er den Strumpf verkehrt angezogen, ganz treuherzig antwortete: >Auf der rechten Seite ist ein Loch!< – Es kam mir ferner der herrliche Bull jenes Irländers in den Sinn, der mit einem jähzornigen Schotten zusammen in einem Bette schlief und den bloßen Fuß unter der Decke hervorgestreckt hatte. Nun bemerkte dies ein Engländer, der im Zimmer befindlich, und schnallte flugs dem Irländer den Sporn an den Fuß, den er von seinem Stiefel heruntergenommen. Der Irländer zog schlafend den Fuß wieder unter die Decke und ritzte mit dem Sporn den Schotten, der darüber aufwachte und dem Irländer eine tüchtige Ohrfeige gab. Darauf entspann sich unter ihnen folgendes sinnreiche Gespräch: >Was Teufel ficht dich an, warum schlägst du mich?< –>Weil du mich mit deinem Sporn geritzt hast!< – >Wie ist das möglich, da ich mit bloßen Füßen bei dir im Bette liege?< –>Und doch ist es so, sieh nur her.< – >Gott verdamm mich, du hast recht, hat der verfluchte Kerl von Hausknecht mir den Stiefel ausgezogen und den Sporn sitzen lassen.< – Der Wirt brach in ein unmäßiges Gelächter aus, aber der Fremde, der eben mit dem Essen fertig worden und ein großes Glas Bier heruntergestürzt hatte, sah mich ernst an und sprach: >Sie haben ganz recht, die Irländer machen oft dergleichen Bulls,