Travestie der Liebe. Else Feldmann

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Travestie der Liebe - Else Feldmann


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      Else Feldmann

      TRAVESTIE

      DER LIEBE

      und andere Erzählungen

      herausgegeben und mit einem Nachwort

      versehen von Alexander Kluy

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      Die Reihe WIENER LITERATUREN setzt sich zum Ziel, Literatur aus Wien, über Wien, von Wiener Autorinnen und Autoren, aber auch Blicke von außen auf die Stadt zu präsentieren.

      In dieser Reihe erscheint Ungewöhnliches und Zeitenüberdauerndes: souverän eigensinnige Texte, die die Grenzen zwischen erzählender, feuilletonistischer und analytischer Prosa leichthändig ignorieren, dem gelebten Augenblick durch genaue Beobachtung Gehalt und Sinn, Witz und Leben verleihen – und urbane Eleganz.

      Die Erzählungen der Wienerin Else Feldmann sind urban. Und dabei progressiv. Sie sind voller Emphase und voller genau beobachteter, eingefangener und wiedergegebener Details des Lebens in der Stadt. Was die leidenschaftliche Sozialistin, passionierte Journalistin und engagierte Sozialreformerin präsentiert, die wusste, wovon sie schrieb, wenn sie Armut schilderte – sie selber war in ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen und war jahrelang einfache Arbeiterin – und deren Lebensspuren nach dem gewaltsamen Tod im Sommer 1942 im KZ Sobibor für viele Jahrzehnte fast völlig verweht waren, ist ein Wien der Gefühle und Gefühllosigkeiten, der Liebe und der Lieblosigkeiten. Abenteuer Suchende treten bei ihr ebenso auf wie Abgestürzte. Es ist ein Land erfrorener Emotionen, eine Welt abgekämpfter Existenzen und, irgendwo im Hintergrund des pochenden Herzens, doch noch immer hoffender. Hoffend auf ein besseres Leben, eine bessere Liebe, eine menschlichere Welt.

      »Mein größtes Vergnügen und meine liebste Unterhaltung«, schrieb Else Feldmann einmal, »war es, Menschen zu beobachten. Nichts entging mir – kein Wort, kein Zucken in einem Gesicht, kein Lächeln der Qual oder der Freude.«

       ALEXANDER KLUY

      TRAVESTIE DER LIEBE

      Diese Tragödie einer Frau sah ich an einem Abend in der Zeit von elf bis zwölf Uhr nachts in einem Café der »besseren bürgerlichen Gesellschaft« sich abspielen. In einem der vornehmen Ringcafés wäre es nicht verwunderlich gewesen; alle diese Cafés dienen nachts hauptsächlich dem Geschäfte der Liebe.

      Aber in einem Café, das nur von Bürgern besucht wird – –

      Doch ich will von Anfang an erzählen. Einige Minuten nach elf Uhr trat ein Fräulein, ein etwas ältliches Mädchen, ein. An ihrem Mantel mit Pelzkragen fehlte nicht das Modeblümchen.

      Sie legte den Mantel ab, setzte sich an einen Tisch, bestellte ein Glas Tee.

      Nun saß sie da in ihrem leichten, billigen Kleid aus Kunstseide, buntes Hütchen auf dem Kopfe. Das unschöne, spitze Gesicht mit den leeren Augen sah abgemagert, verfallen, verhungert aus.

      Sie musterte alle Tische, an denen Herren saßen, mit dem gewissen scheuen Seitenblick der Straßenmädchen. Nach einer Weile stand sie auf, verschwand für kurze Zeit. Als sie wiederkam, sah sie ganz verändert aus: die Wangen rosa und weiß, die Lippen leuchteten rot, aus den schwarz unterstrichenen Augen sprühten die Blicke. Nur die Schulterknochen, die bloß und häßlich aus dem Ausschnitt herausragten, konnten nicht weggetäuscht werden; doch es fiel ihr etwas ein, sie schmückte sich mit einem schwarzen Spitzentuch Ach, wie erbärmlich war ihr Bemühen, die Aufmerksamkeit der Männer zu erregen. Es wollte sie lange keiner ansehen, die meisten Bürger waren mit Frauen oder Tarockpartnern versorgt.

      Endlich wurde die Tür aufgerissen. Ein schwarzer Kopf guckte herein. Die Augen des geschminkten Mädchens sprangen auf das Gesicht blieben dort haften, zogen den Mann herein, daß er an dem Tisch neben dem ihren Platz nehmen mußte.

      Man sah es dem Mädchen an, daß eine glühende, fieberartige Stimmung über sie gekommen war. Unter dem rosa Puder färbte ihre Haut sich rot bis über den dünnen Hals, dunkelrot wie bei Schlagsüchtigen.

      Die Bürger im Café begannen etwas zu merken und zu glotzen, und auch in ihnen regte es sich. Sie nahmen Anteil!

      Aber das Mädchen war zu häßlich, das dämpfte ihre Lust, zu schauen.

      Er war die Männlichkeit selbst. Seinen giftgrünen Wollschal trug er über die Brust gekreuzt. Er war mit einem nicht ganz sauberen Autopelzmantel bekleidet, trug eine verknüllte Werktagskappe in der Hand. Vielleicht war er arbeitslos, feierte und befand sich in verdrossener Stimmung, war bereit, sein letztes Geld durchzubringen, gleichviel wo und mit wem?

      Das Mädchen am Tische sah ihn – um die Bürger unbekümmert – fest und beständig an. Es war ein trauriger Blick; er dachte an eine einzige Frage: wieviel wird er mir bezahlen?

      Auch die Kellner sind aufmerksam geworden. Der Zahlkellner flüstert dem Fräulein an der Kasse etwas zu, worauf diese in den Spiegel blickt, um von dort aus dem schauerlichen Schauspiel zuzusehen: einem Handel zwischen zwei Wesen, wobei ein Körper die Ware ist. Der Mann mit dem grünen Schal sieht wie ein Zuhälter aus. Er hat eine herrische Stirn, feste, große, grobe Hände mit roten Fingern.

      Er bestellt einen Schnaps und noch einen, ruft den Kellner, gibt ihm ein Zeichen. Der Kellner weiß sogleich, was der Gast befiehlt, stellt auch einen Schnaps vor das Mädchen hin. Sie verzieht den Mund zu einem verzerrten Lächeln, trinkt.

      Der Kellner geht zwischen den Tischen hin und her, spricht halblaut mit den jungen Gehilfen.

      Die »Volksstimmung« des Cafés wird mehr und mehr eine empörte. Alle scheinen unzufrieden. Eine junge, dicke Frau mit sehr lebhaft gemalten Farben tritt ein, legt den Mantel ab, setzt sich: Tutankhamen-Bluse, Seidenstrümpfe, neue Lackschuhe. Sie beginnt sofort umherzublicken.

      Der Mann mit dem grünen Schal, dem im Augenblick eine Dicke besser gefällt, läßt seine Augen die Tutankhamen-Figuren eindringlich betrachten.

      Auch die dicke Dame blickt, heftig angezogen, auf den grünen Schal. Da kommen die brennenden Augen vom anderen Tisch her wie Schlangen gekrochen. Die ganze Kraft der Kreatur liegt im Blick. Ihre Gebärde ist wie die eines Krüppels auf der Straße, der bettelt, der nichts anderes kann, als bittend, klagend seine trüben Augen erheben. Er aber ist erbarmungslos, sucht sich einen Platz für seine Augen, der ihn angenehmer reizt.

      Wie verzweifelt ist das Mädchen, in ihrer Haltlosigkeit erhebt sie sich, verläßt ihren Platz, geht ein paar Schritte an den Tisch des Mannes. (Für die Anwesenden sollte es so aussehen, als bäte sie um eine Zeitung.) Sie streifte ihn, war ihm ganz nahe, wollte ihn durch ihre Nähe, durch ihr Parfüm betäuben. Im letzten Augenblick kam die Rettung. Ein Gast trat ein. Ein fetter, satter, von Geldbewußtsein strotzender Mensch mit flacher Stirn, kleinen Augen, breitem fleischigem Nacken.

      Die Dicke hatte auf ihn gewartet; sie gingen nach rückwärts in eine Loge.

      Der Mann mit dem grünen Schal bestellte heißen Tee mit Rum, vielleicht war es Grog. Sie saß nun da; eine selig lächelnde Karikatur. Es ging gegen Mitternacht. Die Bürger machten sich auf, heimzukommen – in ihre guten Pelze gehüllt –.

      Im Café wurde es still und intim wie in einer kleinen Wohnung.

      Man konnte die Gespräche der anderen hören: ein schweres Herz erzitterte, Mundwinkel verzogen sich in Qual, Röte der Scham kam und verging auf einem bleichen Gesicht.

      Das waren die neuesten Gäste, die eingetreten waren. Sie hatten nichts mehr mit Ehrbarkeit und Bürgertum zu tun. Es kamen die Likör- und Absinthtrinker, die Gelegenheits- und Zufallsgäste von der Straße.

      Ein Jüngling in sonderbarer Kleidung schob sich zu einem Fensterplatz. Er hatte bis zu den Ellbogen reichende Stulpenfechthandschuhe an. Ledermütze mit Kinnband auf dem Kopf – hübscher, zierlicher Junge, ein wenig geschminkt. Lächelnd sieht er hinüber zu dem Mann mit dem grünen Schal und beginnt ganz offen mit ihm zu kokettieren. Wieder


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