Travestie der Liebe. Else Feldmann

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Travestie der Liebe - Else Feldmann


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Reihe, die zwei Fräuleins warten auch.«

      Das war das Ende. Man ließ sie im Vorzimmer warten.

      Sie ging in eine Ecke, setzte sich, das Gesicht der Wand zugekehrt, sank in sich zusammen. Tränen kamen ihr in die Augen – jetzt, da niemand sie sah. Nach einigen Minuten stand sie auf, ging zur Tür, kehrte unentschlossen zurück. Der Diener kam, ließ einen Herrn eintreten.

      Der Herr sah sie an, lächelte ein wenig, ging an ihr vorüber; er setzte sich fröstelnd und zitternd – obwohl es warm war – in den bequemsten Lehnstuhl und betrachtete die beiden jungen Mädchen.

      Aber seine Blicke waren zerstreut. Die Muskeln seines Gesichtes zuckten; es war etwas über ihn gekommen. –

      Die Dame nahm sich endlich zusammen, riß nochmals die Tür auf und sagte dem Diener: »Gehen Sie hinein und sagen Sie Herrn Sänger, Mitzi Schürer ist da!«

      In dem Augenblick kam Herr Sänger mit einer Dame und einem Herrn aus seinem Sprechzimmer. Es war, wie man auf den ersten Blick sah, eine junge Künstlerin mit ihrem Gönner oder Freund.

      Die zwei Fräuleins gingen hinein: »Wir sind gleich fertig, unterschreiben nur unsere Verträge.«

      Die Dame und der Herr blieben im Vorzimmer. Hartnäkkig, mit abgekehrten Gesichtern, saßen sie sich gegenüber, als kennten sie einander nicht. Beide schämten sich, zitterten vor schmerzlicher Scham, einander hier getroffen zu haben: zwei alte, ausgemusterte »Künstler«, abgetane Größen, die eine Stelle suchten. Nun kamen sie als Nächste an die Reihe.

      Zuerst die Dame. Der Agent erkannte sie, sagte seine Artigkeiten. Das war Mitzi Schürer, die wieder auftreten wollte. Als junger Mensch hatte er ihren Ruhm miterlebt, heute war er selbst grauhaarig, beinahe alt. Hübsch war sie ja nie gewesen und ihre Stimme nicht besonders schön, aber sie war ein »Temperament«, ein »Brettl-Genie«, und sie hatte diese paar frechen Wiener Lieder einst gesungen, daß es die Leute verrückt gemacht hatte. Was heute vor ihm steht, ist ein häßliches, altes Weib, derb geschminkt, verschwitzt, ängstlich, die Clownnase sitzt grotesk in dem schwammigen Gesicht. Mitzi Schürer von einst ist spurlos dahin.

      »Was werden Sie singen?«, fragte der Agent

      »Die Lieder von damals«

      »Passen die heute noch?«

      »Mein Name wird ziehen.«

      »Ja, ja, es ist wahr.«

      Der Agent kennt das: Mitzi Schürer – der Traum – die Erinnerung –

      »Alles wollen Sie wieder singen? Auch das:

      … und die weißen Madeln

      in kurze Kladeln

      und dünne Wadeln

      – – – – – – – – – – – – – – –«

      »Ja, das auch!«

      Es ist wie ein Aufschrei; packt sie wie ein starrer Schrecken. Sie ist wie aus dem Grabe auferstanden.

      »Vielleicht singen Sie mir etwas vor.«

      Der Agent ist vielseitig. Er begleitet sie selbst. Sie singt.

      »Ja, es geht noch«, sagt er. »Aber in großen Varietés ist nichts mehr frei. Nur noch in einem Café in der Vorstadt. Café Royal. Das Engagement dauert einen Monat. Die Gage ist nicht groß, aber mehr als nichts« – er nennt die Summe.

      »Könnte ich nicht etwas mehr bekommen?« will sie fragen – schweigt aber – denn was würde sie hören! Wenn man sechsundfünfzig Jahre alt ist, unter der blonden Perücke sein weißes Haar hat, kann man keine Ansprüche machen. Sie hätte beinahe nicht mehr daran gedacht, irgendwo unterzukommen, hatte sich schon mit dem Gedanken vertraut gemacht, bald ins Armenhaus zu gehen. Mit all den Mitteln und Medikamenten wird es einen Monat lang gehen. Wird es gehen? ist aber die bange Frage.

      »Traurig ist es«, sagt sie zu sich, während sie das Zimmer verläßt, »daß man im Alter noch arbeiten muß, um nicht zu verhungern«, und zieht ihren dichten Schleier herab, damit man ihre weinenden Augen nicht sehe. – –

      Dann wird der Herr gerufen.

      Lebhafte Begrüßung. O natürlich – die einstige Berühmtheit! »Letztes Auftreten war wo? Ach so – im Wintergarten in B. Nun, B. war jedenfalls ein Nest – hier immerhin Großstadt. Nur nicht bange sein – wir haben schon etwas – nur keine Sorge – Carlo Carloni – ein Café besten Ranges, Café Royal – die berühmte Mitzi Schürer wurde eben für dort engagiert.«

      Also Carlo Carloni bekommt etwas mehr Gage. Er ist ein Mann, man muß es berücksichtigen – ein Mann hat immer mehr Ausgaben.

      »Und was werden Sie singen, Meister?«

      »Die alten Sachen.«

      »Auch dieses:

      Ein so ein Schleicher,

      so Schleicher, so schleichlerisch schön,

      nur muß man auch das Tanzen, das Tanzen verstehn.«

      »Ja, auch dieses.«

      »Gut«, denkt der Agent »der Name. Und dann – er wird durch seine Gespensterhaftigkeit wirken – sieht er nicht geradezu mystisch aus, wie eine Erscheinung aus der Apokalypse: Klapperdürr, mit der schwarzen, vor Alter grünen Scheitelperücke, dem entsetzlich mageren Vogelkopf, dem dünnen Halse mit vorspringendem beweglichen Adamsapfel? Ja, elegant sah er noch immer aus mit gewendeten und gebügelten Kleidern, mit hellgrauen Gamaschen, Monokel, Stock – Hut schief auf dem Kopfe – –

      »Engagiert!«, sagt der Agent.

      Carlo Carloni steigt langsam die Treppen hinunter. Er ist leidend – fortgeschrittene Verkalkung – ob es noch gehen wird? Er ist kein Jüngling mehr. Zweiundsechzig Jahre. Er nimmt seinen kleinen Taschenspiegel, grinst hinein, zeigt die eingesetzten Zähne – auf einmal verzieht sich sein Gesicht in komischer Weise – gerade, als wollte er weinen …

      VOR DEM KINO

      Ich sah die beiden in der Straßenbahn.

      Er – scharfgeschnittenes, junges Technikergesicht – fein angezogen. Spitze Lackschuhe. Rock – Hut – tadellos. Hellgelbe Wildlederhandschuhe. Seidenes Taschentuch. Sie – hasenverbrämtes graues, billiges Mäntelchen, konfektioniert – schlecht passend, Samthütchen neuester Mode. Ungeschminkte Lippen, ungepuderte Wangen, ungefärbtes Haar. Im blassen Gesicht dunkle, glückliche Augen.

      Im geschützten Winkel des halbleeren Wagens finden sie zwei Plätze. Schüchtern schlägt sie ein Bein über das andere, deckt gleich das Kleid darüber. Und sieht ihn von der Seite an. Sie setzen ein Gespräch fort.

      »– – Ich hasse es, dutzendmäßig behandelt zu werden. Mir einreden zu wollen, eine solche Handtasche wäre schön. Phrasen zu gebrauchen wie: Das ist sehr beliebt – wir haben schon viele Hunderte verkauft.«

      »Ärgere dich deswegen nicht.«

      »Einfach eine Gemeinheit, einem das zu erzählen – faustdicke Lügen.«

      »Das macht ja nichts.«

      »Wieso? Tut es dir nicht leid, daß ich dir die Tasche nicht gekauft habe?«

      »Nicht ein bißchen.«

      »Du siehst also ein, daß sie nicht schön war.«

      »Ich sehe es ein.«

      »Und daß sie nichts Ordentliches dort hatten.«

      »Ja – gewiß –«

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      »In welches Kino wollen wir gehen?«

      »In irgendeines, wo es dir gefällt.«

      »Und nachher kommst du wieder zu mir?«

      »Wenn du es willst – –«


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