LTI. Victor Klemperer

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LTI - Victor Klemperer


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Tierfreund« gerühmt. (Jener tadelnde Nebensinn des fanatischen Künstlers fällt hier durchaus weg, da ja Göring immer wieder als der zutunlichste und geselligste Mensch geschildert wird.)

      Es fragt sich nur, ob mit der Erschlaffung auch eine Entgiftung des Wortes verbunden war. Man könnte das bejahen mit der Begründung, die Vokabel »fanatisch« sei nunmehr gedankenlos mit einem neuen Sinn erfüllt, sei eben die Bezeichnung eines erfreulichen Gemisches aus Tapferkeit und leidenschaftlicher Hingabe geworden. Aber dem ist nicht so. »Sprache, die für dich dichtet und denkt …« Gift, das du unbewußt eintrinkst und das seine Wirkung tut – man kann gar nicht oft genug darauf hinweisen.

      Doch dem sprachlich führenden Kopf des Dritten Reiches, dem es um die volle Wirkung des aufpeitschenden Giftes zu tun war, ihm freilich mußte die Abnutzung des Wortes als eine innere Schwächung erscheinen. Und so wurde Goebbels zu dem Widersinn gedrängt, eine Steigerung über das nicht mehr zu Steigernde hinaus zu versuchen. Im »Reich« vom 13. November 1944 schrieb er, die Lage sei »nur durch einen wilden Fanatismus« zu retten. Als sei die Wildheit nicht der notwendige Zustand des Fanatikers, als könne es einen zahmen Fanatismus geben.

      Die Stelle bezeichnet den Verfall des Wortes.

      Vier Monate zuvor hatte es seinen höchsten Triumph gefeiert, war es gewissermaßen der höchsten Ehre teilhaftig geworden, die das Dritte Reich zu vergeben hatte, der militärischen. Es ist eine besondere Aufgabe, zu verfolgen, wie die überkommene Sachlichkeit und fast kokette Nüchternheit der offiziellen Heeressprache, [75]vor allem der täglichen Kriegsbulletins, allmählich von den Geschwollenheiten des Goebbelsschen Propagandastils überspült wurde. Am 26. Juli 1944 wurde zum erstenmal im Heeresbericht das Adjektiv »fanatisch« im rühmenden Sinn auf deutsche Regimenter angewendet. Unsere in der Normandie »fanatisch kämpfenden Truppen«. Nirgends ist der weltweite Abstand zwischen der militärischen Gesinnung des ersten und der des zweiten Weltkrieges so grausam deutlich wie hier.

      Schon ein Jahr nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches läßt sich ein eigentümlich stichhaltiger Beweis dafür beibringen, daß »fanatisch«, dieses Schlüsselwort des Nazismus, niemals durch das Übermaß der Anwendung wirklich entgiftet wurde. Denn während sich überall Brocken der LTI in der Sprache der Gegenwart breitmachen, ist »fanatisch« verschwunden. Daraus darf man mit Sicherheit schließen, daß eben doch im Volksbewußtsein oder -unterbewußtsein der wahre Sachverhalt all die zwölf Jahre lebendig geblieben ist: dies nämlich, daß ein umnebelter, der Krankheit und dem Verbrechen gleich nahestehender Geisteszustand durch zwölf Jahre als höchste Tugend betrachtet wurde.

      [76]X Autochthone Dichtung

      So fern mir auch in den furchtbaren Jahren die Dinge meiner Fachwissenschaft lagen, ein paarmal habe ich doch das geistvoll spöttische Gesicht Joseph Bédiers vor mir gesehen. Es gehört zum Beruf des Literarhistorikers, den Quellen eines Motivs, einer Fabel, einer Legende nachzugehen, und manchmal wird aus diesem Berufszweig eine Berufskrankheit, eine Manie: alles muß räumlich und zeitlich weither kommen – je weiter her, um so gelehrter ist der Forscher, der den fernen Ursprung konstatiert –, nichts darf ebendort wurzeln, wo man ihm gerade begegnet. Ich höre noch die Ironie in Bédiers Stimme, wenn er vom Katheder des Collège de France herab über den vermeintlich orientalischen oder den vermeintlich »druidischen« Ursprung eines komischen oder frommen Märchens oder irgendeines literarischen Einzelzuges sprach. Bédier wies immer darauf hin, wie gewisse Situationen und Eindrücke in den verschiedensten Zeiten und Zonen die gleichen Äußerungen hervorrufen können, weil sich in manchen Dingen die Gleichheit der menschlichen Natur über Zeit und Raum hinweg erweist.

      Das erstemal, aber noch etwas von fern, wurde ich im Dezember 1936 an ihn erinnert. Es war während des Prozesses gegen den Mörder des nazistischen Auslandsagenten Gustloff. Ein vor bald hundert Jahren entstandenes französisches Trauerspiel, das lange Zeit weltberühmt war und in Deutschland häufig als Schullektüre verwandt wurde, dann aber (sehr zu Unrecht) in Mißachtung und Vergessenheit geriet, Ponsards Charlotte Corday, hat die Ermordung Marats zum Stoff. Die Attentäterin klingelt an seiner Haustür, sie ist fest entschlossen, den Mann, den sie für einen gewissenlosen Bluthund hält, den sie nur als Unmenschen außerhalb jeder menschlichen Bindung vor sich sieht, zu töten. Eine Frau öffnet ihr, und sie schrickt zurück: Gott im Himmel, er hat eine Frau, jemand liebt ihn – grand Dieu, sa femme, on l’aime! Dann aber hört sie ihn einen geliebten Namen als Opfer »für die Guillotine« [77]nennen, und nun sticht sie zu. Als wenn er diese Szene unter genauester Beibehaltung des Wesentlichen und Entscheidenden ins Moderne transponierte, klang die Aussage des jüdischen Angeklagten Frankfurter vor dem Gericht in Chur. Er sei entschlossen gewesen, den Blutmenschen zu töten, Frau Gustloff habe ihm geöffnet, und er sei schwankend geworden – ein verheirateter Mann, grand Dieu, on l’aime. Da habe er Gustloff am Telefon sprechen hören: »diese Schweinejuden!«, und nun sei der Schuß gefallen … Muß ich annehmen, daß Frankfurter die Charlotte Corday gelesen hat? Ich will lieber im nächsten Kolleg über Ponsard die Szene aus dem Prozeß in Chur als nachträglichen Beweis für die menschliche Echtheit dieses französischen Dramas anführen. –

      Bédiers Betrachtungen bewegten sich weniger auf dem Gebiet der reinen Literatur als in der primitiveren Sphäre des Volkskundlichen, und eben hierhin gehören die anderen Fakta, die mich auf ihn zurückwiesen.

      Im Herbst 1941, als von einem raschen Kriegsende keine Rede mehr sein konnte, hörte ich viel von Hitlers Wutanfällen erzählen. Erst waren es Wut-, bald danach Tobsuchtsanfälle, der Führer sollte in ein Taschentuch, in ein Kissen gebissen haben, dann hatte er sich auf den Boden geworfen und in den Teppich gebissen. Und dann – die Erzählungen stammten immer von kleinen Leuten, von Arbeitern, von Hausierern, von unvorsichtig zutraulichen Briefträgern –, dann hatte er »die Fransen seines Teppichs gefressen«, pflegte sie zu fressen, trug den Namen »Teppichfresser«. Ist es hier nötig, auf biblische Quellen, auf den grasfressenden Nebukadnezar zurückzugehen?

      Man könnte das Epitheton »Teppichfresser« als Legendenkeim bezeichnen. Das Dritte Reich hat aber auch echte und völlig ausgewachsene Legenden hervorgebracht. Eine wurde uns kurz vor dem Ausbruch des Krieges, als Hitler auf der Höhe seiner Macht stand, aus sehr nüchternem Munde berichtet.

      Noch besaßen wir das kleine Haus hoch über der Stadt, aber wir waren doch schon sehr isoliert und überwacht, es gehörte bereits einiger Mut dazu, sich bei uns sehen zu lassen. Ein Kaufmann von [78]unten, der uns in besseren Zeiten beliefert hatte, hielt uns Treue, brachte allwöchentlich die nötigen Waren herauf und erzählte uns jedesmal, was er an Tröstlichem wußte, und was er für geeignet hielt, unseren Mut zu heben. Er war kein Politiker, aber am Nationalsozialismus erbitterte ihn die offenkundige Mißwirtschaft, Ungerechtigkeit und Tyrannei. Dabei sah er alles unter dem Gesichtspunkt des Alltäglichen und des praktischen Verstandes; er war nicht sehr gebildet, er hatte keine weitgespannten Interessen, Philosophie war nicht, Religion schien nicht seine Sache. Weder vor noch nach dem hier zu berichtenden Fall habe ich ihn je von kirchlichen oder jenseitigen Dingen sprechen hören. Alles in allem war er ein kleinbürgerlicher Krämer, der sich von hunderttausend Standesgenossen nur dadurch unterschied, daß er sich von den verlogenen Phrasen der Regierung nicht betrunken machen ließ. Gewöhnlich unterhielt er uns mit irgendeinem aufgedeckten und wieder zugescharrten Skandal in der Partei, von einem betrügerischen Bankrott oder einem Stellenkauf durch Bestechung oder von einer unverschleierten Erpressung. Nach dem Selbstmord unseres unrettbar kompromittierten Ortsbürgermeisters – der Mann war erst zum Selbstmord gezwungen und dann ehrenvoll, fast mit einem Staatsakt en miniature beerdigt worden – bekamen wir von V. regelmäßig zu hören: »Warten


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