LTI. Victor Klemperer

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LTI - Victor Klemperer


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nötig habe – denn wo sind die schlichten Aussagen, von denen sich der Ausruf abheben müßte?

      Dagegen bedient sich die LTI bis zum Überdruß dessen, was ich die ironischen Anführungszeichen nennen möchte.

      Das einfache und primäre Anführungszeichen bedeutet nichts anderes als die wörtliche Wiedergabe dessen, was ein anderer gesagt oder geschrieben hat. Das ironische Anführungszeichen beschränkt sich nicht auf solch neutrales Zitieren, sondern setzt Zweifel in die Wahrheit des Zitierten, erklärt von sich aus den [87]mitgeteilten Ausspruch für Lüge. Indem das im Reden durch einen bloßen Zusatz von Hohn in der Stimme des Sprechers zum Ausdruck kommt, ist das ironische Anführungszeichen aufs engste mit dem rhetorischen Charakter der LTI verbunden.

      Erfunden worden ist es keineswegs von ihr. Als sich im ersten Weltkrieg die Deutschen ihrer überlegenen Kultur rühmten und auf die westliche Zivilisation herabsahen wie auf eine minderwertige und nur äußerliche Errungenschaft, ließen die Franzosen beim Erwähnen der »culture allemande« niemals die ironischen Gänsefüßchen fehlen, und wahrscheinlich hat es eine ironische Anwendung der Anführungszeichen neben ihrem neutralen Gebrauch gleich nach der Einführung dieses Zeichens gegeben.

      Aber in der LTI überwiegt der ironische Gebrauch den neutralen um das Vielfache. Weil eben Neutralität ihr zuwider ist, weil sie immer einen Gegner haben, immer den Gegner herabzerren muß. Wenn die spanischen Revolutionäre einen Sieg erfechten, wenn sie Offiziere, wenn sie einen Generalstab haben, so sind es unweigerlich »rote ›Siege‹«, »rote ›Offiziere‹«, ein »roter ›Generalstab‹«. Dasselbe ist später mit der »russischen ›Strategie‹« der Fall, dasselbe mit dem »›Marschall‹ Tito« der Jugoslawen. Chamberlain und Churchill und Roosevelt sind immer nur »Staatsmänner« in ironischen Anführungszeichen, Einstein ist ein »Forscher«, Rathenau ein »Deutscher« und Heine ein »›deutscher‹ Dichter«. Es gibt keinen Zeitungsartikel, keinen Abdruck einer Rede, die nicht von solchen ironischen Anführungszeichen wimmelten, und auch in ruhiger gehaltenen ausführlichen Studien fehlen sie nicht. Sie gehören zur gedruckten LTI wie zum Tonfall Hitlers und Goebbels’, sie sind ihr eingeboren.

      Als Primaner mußte ich im Jahr 1900 einen Aufsatz über Denkmäler schreiben. Ein Satz darin hieß: »Nach dem Siebziger Krieg gab es fast auf jedem deutschen Marktplatz eine siegreiche Germania mit Fahne und Schwert; dafür könnte ich hundert Beispiele anführen.« Mein skeptischer Lehrer setzte mit roter Tinte an den Rand: »Ein Dutzend Beispiele bis zur nächsten Stunde beibringen!« Ich fand nur neun und war ein für allemal davon geheilt, den [88]Mund mit Zahlen zu voll zu nehmen. Trotzdem, und obschon ich in meinen LTI-Betrachtungen gerade über den Zahlenmißbrauch allerhand zu sagen habe, könnte ich im Punkte der ironischen Anführungsstriche mit ruhigem Gewissen schreiben: »Dafür ließen sich tausend Beispiele anführen.« Eines von diesen sonst sehr gleichförmigen tausend lautet: »Man unterscheidet zwischen deutschen Katzen und ›Edel‹-katzen.«

      [89]XIII Namen

      Es gab einen alten Gymnasialwitz, der sich von Generation zu Generation forterbte; jetzt, da nur noch in den wenigsten Mittelschulen Griechisch gelehrt wird, dürfte er ausgestorben sein. Der Witz hieß: Wie ist das deutsche Wort Fuchs aus dem gleichbedeutenden griechischen alopex entstanden? In dieser Entwicklungsreihe: alopex, lopex, pex, pix, pax, pucks, Fuchs. Daran hatte ich seit meiner Matura, seit einigen dreißig Jahren, nicht mehr gedacht. Am 13. Januar 1934 aber tauchte das plötzlich mit solcher Frische aus der Vergessenheit, als hätte ich es tags zuvor das letztemal zitiert. Das geschah beim Lesen des Semesterrundschreibens Nr. 72. Magnifizenz teilte darin mit, daß unser Kollege, der a. o. Professor und nationalsozialistische Stadtverordnete Israel »mit Erlaubnis des Ministeriums« den alten Namen seiner Familie wieder angenommen habe. »Sie hieß im 16. Jahrhundert Oesterhelt, und das ist in der Lausitz über Uesterhelt, Isterhal (auch Isterheil und Osterheil), Istrael, Isserel u. a. durch Verstümmelung zu Israel entwickelt worden.«

      Damit war ich zum erstenmal auf das Namenkapitel der LTI hingewiesen. Sooft ich später an dem neuglänzenden Namenschild Oesterhelt vorüberging – es war an irgendeinem Gartentor des Schweizer Viertels angebracht –, machte ich mir Vorwürfe, auch dieses Sonderkapitel wieder vor allem sub specie Judaeorum anzusehen. Es erschöpfte sich ja keineswegs in den jüdischen Dingen allein, es ist auch kein Kapitel, das allein der LTI angehört.

      In jeder Revolution, ob sie nun Politisches und Soziales betrifft oder die Kunst oder die Literatur, sind immer zwei Tendenzen wirksam: einmal der Wille zum völlig Neuen, wobei der Gegensatz zu dem bisher Gültigen schroff betont wird, sodann aber auch das Bedürfnis nach Anknüpfung, nach rechtfertigender Tradition. Man ist nicht absolut neu, man kehrt zurück zu dem, wogegen die abzulösende Epoche gesündigt hat, zurück zur Menschheit oder [90]zur Nation oder zur Sittlichkeit oder zum wahren Wesen der Kunst usw., usw. Beide Tendenzen zeigen sich deutlich in Namengebungen und Umbenennungen.

      Daß man den gesamten Ruf- und Familiennamen eines Vorkämpfers des neuen Zustandes zum Vornamen eines neugeborenen Kindes oder einer neu zu benennenden Person macht, ist wohl im wesentlichen auf Amerika und auf das schwarze Amerika beschränkt. Die große englische Revolution bekennt sich zum Puritanismus und schwelgt in alttestamentlichen Namen, die sie gern durch einen Bibelspruch verstärkt (Josua – lobe den Herrn, meine Seele). Die Große Französische Revolution sucht ihre Idealgestalten im klassischen, insbesondere römischen Altertum, und jeder Volkstribun legt sich und seinen Kindern ciceronianische und taciteische Namen zu. Und ganz so betont ein guter Nationalsozialist seine Bluts- und Seelenverwandtschaft mit den Germanen, mit den Menschen und Göttern des Nordens. Die Wagnermode und ein längst vorhandener Nationalismus haben vorgearbeitet, die Horst, Sieglinde usw. sind bei Hitlers Auftauchen schon reichlich vorhanden; neben dem Wagnerkult und nach ihm, und vielleicht stärker als er, hat dabei gewiß auch die Jugendbewegung, das Singen der Wandervögel mitgewirkt.

      Aber das Dritte Reich macht beinahe zu Pflicht und Uniform, was bisher Mode oder Gepflogenheit neben anderen Gepflogenheiten war. Wenn sich der Führer der nazistischen Jugend Baldur nennt, wie sollte man da zurückbleiben? Noch 1944 finde ich in einer Dresdener Zeitung unter neun Geburtsanzeigen sechs mit nachdrücklich germanischen Namen: Dieter, Detlev, Uwe, Margit, Ingrid, Uta. Doppelnamen, durch Bindestrich aneinandergekettet, sind in ihrer Volltönigkeit, ihrem zweifachen Bekennen, ihrem rhetorischen Charakter also (und damit denn in ihrer Zugehörigkeit zur LTI), höchst beliebt: Bernd-Dietmar, Bernd-Walter, Dietmar-Gerhard … Charakteristisch für die LTI ist auch die häufige Anzeigenform: Klein-Karin, Klein-Harald; man mischt zum Heroischen des Balladennamens ein bißchen süßes Gefühl, das gibt einen herrlichen Ködergeschmack.

      [91]Ist es eine starke Übertreibung, wenn ich von Uniformierung rede? Vielleicht insofern nicht, als eine Reihe eingebürgerter Vornamen teils anrüchig geworden, teils geradezu verboten ist. Sehr ungern gesehen sind christliche Vornamen; sie bringen ihren Träger leicht in den Verdacht, der Opposition anzugehören. Kurz vor der Dresdener Katastrophe fiel eine Nummer des »Illustrierten Beobachters«, ich glaube vom 5. Februar 1945, als Einwickelpapier in meine Hände. Darin stand ein erstaunlicher Artikel: »Heidrun«. Erstaunlich in dieser offiziellst nazistischen Zeitung (der Beilage des»Völkischen Beobachters«).

      Ein paarmal im Laufe dieser Jahre bin ich an eine merkwürdige Grillparzerszene erinnert worden. »Der Traum ein Leben«, letzter Akt. Der junge


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