SHAMROCK ALLEY - In den Gassen von New York. Ronald Malfi

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SHAMROCK ALLEY - In den Gassen von New York - Ronald  Malfi


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die Mediziner von der US-Notenbank, nach der Ursache Ausschau zu halten. Sie sehen die Erkrankung entlang der Lexington Avenue; sie studieren den bösartigen Tumor unter den monochromatischen Lampen der Wall Street; sie folgen ihr durch den Neon-Dschungel des Times Square; sie bemerken vor Münder gehaltene Hände und Hustenanfälle in den schäbigen Gassen und heruntergekommenen Mietshäusern der Tenth Avenue; Prostituierte, alle in Nylonstrümpfen und Kleidern mit Leopardenmuster, bemerken, dass sie sich angesteckt haben; ein Kassierer im Kaufhaus befühlt wieder und wieder die Konsistenz der Krankheit, hält sie ins Licht, prüft erneut und versteht plötzlich, dass er sich inmitten einer von Betrügern gemachten Pest befindet. Und wie bei jeder Krankheit, die zu lange unbemerkt bleibt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich alle Kinder in der Klasse angesteckt haben. Bis die eiternde Krankheit die gesamte Stadt befallen hat.

      Und manchmal, wie das eben bei Krankheiten so ist, sterben Menschen.

      Irgendwo in den verschmutzten Gassen und schlecht beleuchteten, unterirdischen Korridoren entlang des West Side Highways von Manhattan äußerte ein Mann mit zitternder Stimme irgendeine unsinnige Entschuldigung und bekam ein Messer in die Kehle. Ein zweiter Mann, der ein wenig schneller war als sein Begleiter, begann zu rennen.

      Der Atem brannte in seiner Kehle. Er rannte, so schnell er konnte, um Gott und Teufel zu schlagen. An einem Punkt erstickte er fast vor Lachen, als er sich seiner gelungenen Flucht sicher glaubte. Dann spürte er, wie etwas in seinem rechten Knie riss. Mit einem qualvollen Schrei brach er in der müllübersäten Gasse zusammen, hielt sich das Knie und stöhnte leise. Heiße Flüssigkeit durchströmte sein Bein. Hinter ihm – nein, überall um ihn herum – materialisierten und verfestigten sich Schatten, aus der Andeutung von Körpern wurden tatsächliche Menschen, und ihre Schritte knirschten durch die Glasscherben auf der Straße.

      »Wegen dir müssen wir so durch die Gegend rennen, du Scheißkerl?«

      Der Mann krümmte sich auf dem Boden zusammen, schloss die Augen und öffnete sie nicht wieder. Er konnte den Gestank des Abwasserkanals unter der Straße riechen und den alkoholisch-sauren Geruch des Atems seiner Verfolger. Hinter seinen Augenlidern sah er noch einmal seinen Freund zusammensacken, bis er in der Gasse tot liegen blieb. Diesmal geschah alles in Übelkeit erregender Zeitlupe. Kaum eine Minute alt war seine Erinnerung daran, und wieder sah er zu, wie die Messerklinge nach vorn schoss und seinen Freund in der Kehle traf. Ein dumpfes Plink! war zu hören, als die Spitze der Klinge das Fleisch an der Rückseite des Halses durchbohrte und gegen die Betonmauer der Gasse stieß.

      Ein Stiefel trat zwei Zoll von seinem Gesicht entfernt auf den Boden. Er schnappte nach Luft, die Augen noch immer geschlossen.

      »Siehst du das? Jetzt bin ich verdammt noch mal außer Atem.«

      Jemand lachte. Dann Stimmen, die keinen Sinn ergaben.

      »Was – hey, du hast …«

      »Das gehört mir …«

      »Jetzt mach schon.«

      »Hey, nimm das hier, Mickey.«

      »Ich habe einen Hammer.«

      »Mach deine Augen auf.« Jemand war seinem Gesicht jetzt sehr nahe. Der Mann konnte den Atem seines Peinigers riechen, konnte fühlen, wie dessen Hitze gegen seine Wange drückte. »Mach deine verdammten Augen auf, Harold.«

      Langsam befolgte Harold die Aufforderung. Aber er konnte keine Einzelheiten erkennen, seine Augen waren nass und verschwommen. Auf der anderen Straßenseite gaben einige Straßenlaternen orangefarbenes Licht ab – sie waren nah und wirkten doch zugleich wie aus einer anderen Welt. Als schwinge ein Maler abstrakter Kunst seinen Pinsel, legten sich die Lichter wie ein Schmierfilm über sein Sichtfeld. Ab und an wurden sie ausgeblendet, wenn jemand vor ihn trat.

      »Hat er seine Augen auf?«, fragte jemand.

      »Ja«, sagte der Mann ganz nah an seinem Gesicht, »sie sind offen. Kannst du mich gut sehen, Harold? Wie geht's dir, mein Junge? Alles in Ordnung bei dir? Dir geht's verdammt prima, was, Harold? Mich gottverdammt noch mal so rennen zu lassen …«

      Etwas Metallenes und Stabiles kratzte auf dem Boden vor Harolds Gesicht. Sein Blick klarte auf und verschwamm wieder, synchron mit den pochenden Schmerzen in seinem rechten Knie. Für einen Augenblick konnte er deutlich erkennen, was der Gegenstand vor ihm war: ein gezacktes Messer.

      »Mick–« Seine Kehle verschloss sich, und er konnte den Namen nicht zu Ende sprechen.

      »Ich wollte nur, dass du genau siehst, womit ich dich gleich bearbeiten werde, Harold«, sagte die Stimme unmittelbar vor seinem Gesicht. Es war die Stimme von Mickey O'Shay. »Siehst du, was für ein netter Typ ich bin, dass ich dir das zeige? Es ist ein verdammt großes Messer, Harold, du mieses Stück Scheiße. Ganz schön schwer, das Teil. Ist für Jungs, die nicht wissen, wie sie ihren verdammten Job erledigen sollen.«

      Dann war das Messer weg.

      Es gab einen Moment absoluten, gesegneten Schweigens. Harold hörte nur das Rascheln der weggeworfenen Zeitungen, die der Wind durch die Gasse trieb. In diesem Augenblick existierte nichts anderes als er und die umherwirbelnden Zeitungen. Dann gerieten die Füße um ihn herum in Bewegung. Jemand packte seinen Unterkiefer und zwang ihn, den Mund zu öffnen. Er versuchte zu schreien, aber es kam kein Geräusch aus seinem Hals. Finger pressten sich schmerzhaft in sein Gesicht.

      »Haltet ihn fest!«, schrie jemand. »Haltet den Mund auf!«

      Er versuchte, seinen Kopf zu bewegen, versuchte, der klammernden Hand zu entgehen, aber es war vergebens. Die Hand drückte ihn auf das Straßenpflaster. Helle Wirbel aus allen möglichen Farben explodierten unter seinen Augenlidern. Etwas schlängelte sich in seinen Mund: fremde Finger. Er würgte, wurde geschlagen und fühlte, wie die Finger sich tiefer in das weiche Fleisch seines Unterkiefers gruben. Verzweifelt versuchte er, sie mit seiner Zunge aus dem Mund zu schieben.

      »Ich will seine Zunge!«

      Ein plötzlicher scharfer, stechender Schmerz drängte sich in seinen Mund. Flüssigkeit rann ihm in die Kehle und erstickte ihn fast. Er fühlte Schmerzen, starken Druck und das abrupte Klang! der gezackten Klinge, als sie seine Zunge durchbohrte und gegen seine Zähne stieß. In seiner Qual tastete er mit der Zunge in seinen Mund umher, um die Verletzung einschätzen zu können … nur um herauszufinden, dass seine Zunge nicht mehr da war.

      »Das wird dir eine Lehre sein«, sagte eine Stimme. »Die Schule hat begonnen.«

      Dann traf der Hammer sein verletztes Knie und eine elektrische Ladung Schmerz explodierte in seinem Bein. Er schrie in die Nacht, die Kehle voller Blut, und auf einmal hörte er nichts anderes mehr als die Geräusche seiner Qual. Wieder tauchte hinter seinen fest zusammengekniffenen Augenlidern ein Bild auf. Aber diesmal war es nicht das nur einige Minuten alte Bild vom Tod seines Freundes in der Gasse. Dieses Bild zeigte einen Ort auf dem Land, wo seine Familie während seiner Kindheit oft Urlaub gemacht hatte, wo er und sein Vater große Barsche aus einem hinter Riesentannen verborgenen See gezogen hatten und wo seine Mutter abends für sie gesungen hatte, bis …

      Der Hammer kam an diesem Abend dreiundvierzig Mal über Harold Corcoran.

      Doch Harold lebte nur bis zum elften Schlag.

      ***

      Special Agent Bill Kersh, der nie geheiratet und nie den Wunsch nach Gesellschaft verspürt hatte, schätzte die Stille eines leeren Raumes sehr. Wenn er spät arbeitete, bevorzugte er die Anwesenheit von Charlie Byrd, Benny Goodman, Dave Brubeck und Billie Holiday anstelle der rauen Kakofonie der jüngeren Kollegen. An stürmischen Herbstabenden beruhigte ihn das weiche Muster des Regens, der gegen die Bürofenster prasselte. Der Anblick der zur späten Stunde abgedunkelten würfelförmigen Arbeitsnischen in ihrem Großraumbüro gefiel ihm, und manchmal pausierte er und sah von seiner Arbeit auf, nur um die Leere des Büros auf eine Art und Weise zu studieren, wie ein Priester in einer leeren Kathedrale nach Frieden suchen mochte. Gelegentlich, wenn er Zeit für solche Gedanken fand, fragte er sich, was die jüngeren Agenten von ihm hielten. Nicht, dass es wirklich wichtig war. Sie gehörten einfach einer anderen Generation an.

      Das


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