Nach Dem Fall (Gefallener Engel #2). L. G. Castillo
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»Wie du weißt ist Jeremiel dein älterer Bruder. Wie es damals üblich war, hatte der Erstgeborene mehr Rechte, als alle anderen Familienmitglieder. Er war der Erbe dessen, was unsere Familie besaß. Sein Recht als Erstgeborener erlaubte ihm vor Lash zu heiraten – und hier kommt deine Familie ins Spiel.« Er sah Naomi an, als er das sagte.
Sie presste sich eine Hand an die Brust. »Meine Familie?«
»Naomi.« Raphael streckte den Arm aus und ergriff ihre Hand. »Deine Familie ist aus der Stadt Ai. Dein Vater besaß ein Gasthaus und war ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann. Man sagte von ihm, dass er als einer der Räte der Stadt geschätzt wurde.« Er ließ ihre Hand los und sah Jeremy und Lash an. »Ihr beide seid Sprösslinge einer menschlichen Mutter mit einem Engel als Vater.«
»Rebecca«, sagte Lash.
Raphael nickte und beim Klang des Namens wurde sein Gesicht traurig.
»Also sind wir Nephilim« sagte Jeremy und setzte sich wieder hin.
»Was?« Naomi verschlug es den Atem. »Sind Nephilim nicht bösartige Riesen?«
»Manche der Geschichten, die über die Zeiten hinweg erzählt wurde, sind nicht ganz zutreffend.«, erklärte Raphael. »Genau, wie es bösartige Menschen gibt, gab es auch Nephilim, die ihr Erbe ausnutzten. Meinen Söhnen brachte ich Bescheidenheit und Respekt gegenüber allen anderen in ihrem Umfeld bei. Und damals wussten sie noch nicht, dass sie geborene Halbengel waren.«
»Ich dachte, alle Nephilim seien ausgelöscht worden.«, wandte Naomi ein.
Raphael lächelte. »Du bist mit der Bibel gut vertraut.«
»Katechismus-Unterricht jeden Mittwoch. Ich habe einmal geschwänzt, aber Chuy hat mich bei Belita verpetzt. Ich konnte eine Woche lang nicht sitzen.« Mit einem Lächeln auf dem Gesicht seufzte Naomi, als sie sich daran erinnerte.
Raphael atmete tief ein, als ob das, was er als nächstes sagen musste, ihm schwer fiel. »Unter den Menschen zeichneten sich die Nephilim durch ihre Schönheit und Stärke aus. Viele Menschen in der Stadt verehrten sie, als seien sie Götter. Jeremiel« – er warf Lash einen vorsichtigen Blick zu – »war wegen seiner Kraft und Geschicklichkeit sowohl bei den Menschen als auch bei den Nephilim besonders beliebt. Es gab viele Familien, die ihre Töchter mit ihm verloben wollten, einschließlich deiner Familie, Naomi.«
»Das passt«, murmelte Lash.
Naomi tätschelte sein Bein. »Das liegt alles in der Vergangenheit. Ich bin jetzt hier bei dir.«
Lash sah zu ihr hoch und strich ihr mit einem Finger über die Wange. »Ja, das bist du.« Er wandte sich wieder Raphael zu und nahm wieder einen merkwürdigen Ausdruck auf Jeremys Gesicht wahr. Er ignorierte es, weil er Naomi nicht erneut verärgern wollte.
»Es war nicht so, als ob du ungeschickt gewesen wärst oder es dir an Kraft gefehlt hätte, mein Sohn. Ich fürchte, ich habe die Aufmerksamkeit der Leute auf Jeremiel verstärkt und von dir abgelenkt. Von dem Tag an, an dem ihr beide euch begegnet seid, war es klar, dass Naomi nur dich wollte. Und ich...« Er schluckte schwer. »Ich tat alles in meiner Macht Stehende, um Naomi von dir abzuwenden.«
Er sah Lash mit gequältem Blick an. »Das ist eine Erinnerung, von der ich wünschte, ich könnte sie vergessen. Glaub mir, wenn ich es dir sage, Lahash – es vergeht kein Tag, an dem ich mein Handeln nicht bereue.«
»Wieso hast du das getan?«, fragte Naomi. Ihre stimme klang heiser vor Schmerz. »Wieso hättest du deinem eigenen Sohn so wehtun sollen?«
Rapahel warf einen Blick auf Jeremy und wandte sich dann ihr zu. »Weil ich… weil ich Jeremiel besonders liebte.« Er hielt inne, seine Augen starr zu Boden gerichtet. Die Worte kamen langsam, vorsichtig. »Und er… liebte dich besonders.«
Lash sprang auf und brüllte Jeremy an: »Raus!«
»Komm schon, Lash«, sagte Jeremy mit leiser Stimme und sah zu ihm hoch. »Das war vor langer Zeit.«
Lash machte einen drohenden Schritt auf ihn zu und sah auf den goldenen Engel herab, der ihm alles, was er liebte, zu nehmen drohte. Er hatte es in der Vergangenheit getan. Was sollte ihn davon abhalten, es noch einmal zu tun? »Seit du dieses Haus betreten hast, verhältst du dich merkwürdig. Wieso?«
Jeremy schluckte. »Wir sind nicht gerade in bestem Einvernehmen auseinander gegangen, als wir uns das letzte Mal gesehen haben. Ich war mir nicht sicher, was ich zu erwarten hatte.«
Mit festem Blick sah er Lash an und gab sich alle Mühe, ihn zu überzeugen.
Lash sah ihm forschend ins Gesicht und versuchte, darin zu lesen. Jeremy hatte seine Pokermiene aufgesetzt. Verflucht nochmal! Er verbirgt etwas.
»Was verschweigst du mir?«
»Bitte, Lash. Das alles ist doch nicht mehr wichtig.« Naomis sanfte Hände berührten seinen angespannten Arm und drehten ihn um, so dass er sie ansah. »Hat er in der ganzen Zeit, in der du ihn gekannt hast, soweit du dich erinnern kannst, jemals versucht, dir etwas wegzunehmen?«
»Ja. Er hat dich sterben lassen. Er hätte dich retten können.«
»Das war was anderes. Seine Aufgabe war, mich hierher zu bringen. Als ich ihn das erste Mal getroffen habe, hast zu mir gesagt, er sei dein Freund. Und wenn du dich mal erinnerst, wollte ich ihn mit einer Eisenstange erschlagen.«
Lash grinste. »Die guten alten Zeiten.«
Naomi sah ihn erwartungsvoll an.
Er seufzte. »Oh, schon gut. Nein, Jeremy hat mir nie irgendwas weggenommen.«
»Und?«
»Und er war immer ehrlich zu mir.«
»Also, weshalb solltest du jetzt davon ausgehen, dass sich irgendwas verändert hat?«
Was sie sagte, ergab zu viel Sinn und es gefiel ihm nicht. Erinnerungen hin oder her, er konnte einfach das Gefühl nicht loswerden, das Jeremy sie immer noch wollte. Er sah in Naomis hellblaue Augen, die von dichten Wimpern eingerahmt wurden. Sie war so wunderschön. Wie konnte er es irgendeinem Menschen oder Engel vorwerfen, wenn er sie begehrte?
»Du hast recht. Ich denke, ich bin einfach paranoid.«
Sie gab ihm einen schmatzenden Kuss auf die Wange und drehte sich dann zu Raphael um. »Ich erinnere mich an nichts von alldem, und die wenigen Erinnerungsbruchstücke, die in mir hochgekommen sind, haben immer von Lash gehandelt. Jetzt verstehe ich, wieso. Ich liebe ihn und nichts, niemand, kann jemals meine Liebe zu ihm auslöschen. Deshalb wollen wir uns trauen lassen, sobald er alles arrangieren kann.«
Raphaels Gesicht leuchtete auf. »Das sind wunderbare Neuigkeiten!«
»Du freust dich darüber?«, vergewisserte sich Lash.
»Selbstverständlich. Ich bin nicht mehr der, den Luzifer dir in deinen Erinnerungen gezeigt hat. Vielleicht war es notwendig, dich und Jeremiel zu verlieren, damit mir klar werden konnte, wie falsch ich mich damals verhalten habe. Kannst du mir für meine Vergangenheit vergeben? Für meine Unfähigkeit, dir ein guter Vater zu sein?«
Lash blickte in Raphaels flehende Augen. In all der Zeit, in der er ihn gekannt hatte, zumindest in der Zeit, an die er sich erinnern konnte, war Raphael immer an seiner Seite gewesen, um ihn zu führen und ihm zu helfen. Selbst, wenn er sein Bestes getan hatte, um Raphael von sich zu stoßen, hatte er ihn nie verlassen. Und jetzt wusste er, weshalb. Raphael tat sein Bestes, um sich mit ihm zu versöhnen und ein besserer Vater zu sein. »Ja… Vater.«
Raphaels Miene hellte sich auf. »Ihr macht mich stolz – ihr beide.«
Er stand auf und zog Lash in seine Arme. Überrascht sah Lash zu Naomi hinüber. Tränen schimmerten in ihren Augen, als sie sie ansah.
»Nimm ihn auch in den Arm«, formten ihre Lippen stumm.
Er nickte und legte eine Hand auf Raphaels Rücken, um ihn sanft an sich zu drücken. Er fühlte, wie sich Wärme in seinem Inneren ausbreitete und ein Frieden,