Bis ihr sie findet. Gytha Lodge

Читать онлайн книгу.

Bis ihr sie findet - Gytha Lodge


Скачать книгу
seiner Rückkehr solle sie sich bereithalten, mit ihm die ersten Hausbesuche zu machen, hatte er ihr erklärt. Der Plan, den er dem Chief Superintendent präsentiert hatte, sah vor, dass sie möglichst viele derjenigen aufsuchten, die auf der Liste der Beteiligten verzeichnet waren, bevor die Geschichte durchsickerte und sie vorgewarnt waren. Überraschung war ein machtvoller Faktor, und er wollte sie alle gründlich durchrütteln.

      In der Southern Road hing die Hitze noch schwer in der Luft. Die Kundenparkplätze der Geschäfte und Einkaufszentren leerten sich, der Verkehr stockte, und er konnte die Straße bequem überqueren. Er ging bis zu dem Durchgang neben dem Novotel und steuerte das TGI Friday’s an, wo man ihm einen fettigen Cheeseburger servieren würde, sein einziges regelmäßiges Laster. Er hätte auch in der Kantine ein Wrap oder einen Cottage Pie essen können, doch wenn er ein ordentliches Pensum Schreibtischarbeit erledigt hatte, belohnte er sich gerne.

      Es hatte ihm nie gefallen, im Büro Notizen und Akten durchzuarbeiten. Stundenlang in geschlossenen Räumen eingesperrt, wurde er mürrisch und kriegte Beklemmungen. Vielleicht hatte er das von seinem Vater geerbt, einem Traveller, aber wer war andererseits schon wirklich gern an seinen Schreibtisch gefesselt?

      Er bat den Kellner, die Bestellung möglichst schnell zu bearbeiten, setzte sich an einen Tisch und trank eine Diät-Cola. Beim Warten verlor er sich in Erinnerungen an die Zeit, als er mit neunzehn gerade die Ausbildung abgeschlossen hatte, doch der Lärm riss ihn immer wieder in die Gegenwart zurück.

      Vor allem die Gruppe der sieben beschäftigte ihn. Jeder an der Schule hatte sie gekannt, und jeder hatte ein bisschen so sein wollen wie sie.

      Zentrum der Clique war Daniel Benham gewesen – damals von allen Benners genannt –, der große Philosoph, die Sorte freidenkender und diskussionsfreudiger Schüler, die von Lehrern entweder geliebt oder gehasst wurde, je nachdem wie bedroht diese sich fühlten. Außerdem war er temperamentvoll, attraktiv, sehr wohlhabend und obendrein ein talentierter Gitarrist und Sänger. Er musste sich nicht anstrengen, um beliebt zu sein.

      Topaz und Benners waren auf der weiterführenden Schule schnell ein Paar geworden, zueinander hingezogen vermutlich durch ihre Attraktivität und ihre Lust, Regeln zu brechen. Die Romanze war ebenso schnell wieder im Sande verlaufen, doch sie waren gute Freunde geblieben. Und Coralie, Topaz’ hübsche, aber ein wenig farblose Freundin, wurde eine willige und treue Mitläuferin all ihrer Aktivitäten.

      Kurz darauf waren, wenig überraschend, Connor und Jojo zu der Clique gestoßen. Connor war mindestens so intelligent wie Benners und noch entschiedener unangepasst. Und auch Jojo hatte ihren eigenen Kopf, eine ebenso rasche Auffassungsgabe wie die beiden und war wahrscheinlich noch ein ganzes Stück wilder.

      Daraus hatte sich eine Fünfergruppe gebildet, die permanent Aufmerksamkeit erregte. Häufig waren sie in Konflikte mit den Autoritäten der Schule verwickelt, gleichzeitig jedoch bei Debattier-, Musik-, Kunst- und Naturwissenschaftswettbewerben die Stars der Schule. Sie pflegten den Nimbus echter Coolness, nicht zuletzt durch legendäre Partys, die nicht unwesentlich von Benners’ und Coralies Eltern finanziert wurden.

      Und dann war da noch ihr Sexleben. Noch bevor Benners fünfzehn wurde, war er mit den attraktivsten Mädchen aus der sechsten Klasse ausgegangen und hatte mit einigen bekanntermaßen eine Nacht verbracht. Jojo hatte mit den Freunden ihres älteren Bruders rumgemacht, und Topaz und Coralie hatten ohnehin in ihrer eigenen Liga gespielt.

      Die beiden waren heiße Ware gewesen, sobald sie die Schule mit hochgerollten schwingenden Röcken durch den Haupteingang betreten hatten. Perfekt verpackt und sich ihrer Macht vollkommen bewusst. Angeblich hatten sie mit ein paar sehr glücklichen Jungen ein paar sehr schmutzige Dinge gemacht.

      Nach dem Verschwinden von Aurora Jackson waren die fünf noch faszinierender geworden. Sie hatten ihren Kreis um Brett erweitert, der mit seinem athletischen Körper und seinem attraktiven Gesicht gut zu ihnen passte. Doch er blieb der einzige Außenstehende, der je akzeptiert wurde. Nach Auroras Verschwinden kapselten sie sich völlig ab. Sie feierten keine Partys mehr und wechselten kaum ein Wort mit jemandem an der Schule. Hatten sie die Aufmerksamkeit zuvor genossen, so mieden sie sie jetzt. Jonah erinnerte sich, sie danach nur noch von weitem gesehen zu haben, die Köpfe zu einer privaten Unterhaltung zusammengesteckt, ihre Körpersprache abweisend.

      Er seufzte. Wenn er Antworten bekommen wollte, würde er sie auseinanderdividieren müssen. Und er hatte den starken Verdacht, dass sie auch dreißig Jahre später noch eine geschlossene Front bilden würden.

      Bei seiner Rückkehr saßen O’Malley und Lightman immer noch an ihren Schreibtischen; Lightmans Akten waren in ordentlichen geraden Stapeln aufgetürmt, während O’Malleys eher aussahen wie abgelehnte Romane, etwa ein Dutzend aufgeschlagen und zur Seite gelegt. Der irische Sergeant hockte, den langsam grau werdenden Kopf gesenkt, mit verlorenem Gesichtsausdruck in der Mitte.

      »Schon irgendwas Bemerkenswertes?«

      O’Malley blickte auf. »Nichts Spezielles«, sagte er. »Nur eine allgemeine Skepsis gegenüber den Aussagen der Jugendlichen. Keine Drogen, keine Sexgeschichten, praktisch kein Bier … da würde ich ja von einer religiösen Versammlung mehr erwarten.«

      »Es ist nicht überzeugend?«

      »Es waren Teenager, die eine Party gefeiert haben«, erwiderte O’Malley. »Was hätten Sie gesagt?«

      Jonah nickte. Es gab viele Gründe dafür, etwas zu verbergen. Einer davon war, dass sie ganz einfach keinen Ärger bekommen wollten und außerdem ein schlechtes Gewissen hatten, weil sie sich amüsiert hatten, während Aurora verschwunden war. Aber vielleicht wussten sie auch ganz genau, was passiert war, und versuchten, es zu vertuschen.

      »Schon irgendwelche Ideen, Ben?«, fragte er seinen anderen Sergeant.

      »Ach, lassen Sie ihm noch ein bisschen Zeit. Der arme Junge muss erst seine Bleistifte ausrichten …«, sagte O’Malley grinsend. Lightman blickte auf, schüttelte mit gespieltem Bedauern den Kopf und setzte seine Lektüre dann fort.

      Jonah grinste. Es stimmte, dass O’Malley schneller war, weil er auf jede Organisation verzichtete und sich stattdessen auf seinen Instinkt und die Gabe verließ, Zusammenhänge schnell zu erkennen. Man konnte sich nur schwer vorstellen, wie er in der Armee überlebt hatte, dieser respektlose, undisziplinierte, hochintelligente Mann, der permanent mit der Versuchung rang, sich mit einem Drink auszulöschen.

      Hanson tauchte mit einem Pappbecher neben ihm auf.

      »Bereit zum Aufbruch, Juliette?«, fragte er lächelnd.

      Hanson nickte und zog ihre Handtasche von der Lehne ihres Stuhls.

      »Haltet die Stellung«, verabschiedete er sich von seinen Sergeants.

      »Zu Befehl.« O’Malley natürlich, voller Sarkasmus.

      »Um zehn können Sie Schluss machen, wenn sich nicht irgendwas Bedeutendes ergibt.«

      »Tom Jackson hat angerufen, während Sie essen waren«, berichtete Hanson ihm im Wagen. »Der Anruf wurde zu mir durchgestellt. Er wollte wissen, ob die Presse bald einbezogen wird. Ich habe gesagt, das müssten Sie beantworten.«

      Jonah nickte. Sie verließen Southampton und fuhren nach Westen in den New Forest. Die Sonne schien ihnen direkt und unangenehm grell ins Gesicht.

      »Außerdem wollte er uns mitteilen, dass seine ältere Tochter aus Edinburgh eingetroffen ist. Zusammen mit Connor Dooley. Sie hat ihn geheiratet, wussten Sie das?«

      Jonah nickte. Er hatte es gewusst. Er hatte die Geschichten von ihnen allen mehr oder weniger verfolgt. Es war unmöglich gewesen, ihren Lebensweg nicht zu beobachten.

      »Macht es uns ein wenig leichter, dass sie herkommen, oder?«

      Jonah lächelte. »Ja, schon. Aber schade, dass wir um eine Dienstreise nach Edinburgh gebracht werden. Ich liebe die beschissenen Hotels, die sie immer für uns finden.«

      Er hatte gehofft, der noch lebenden Tochter der Jacksons die Nachricht persönlich zu überbringen, doch das war von Anfang an optimistisch gewesen. Trotzdem würde er morgen nach der


Скачать книгу