Bis ihr sie findet. Gytha Lodge
Читать онлайн книгу.von Hansons ruhiger Fahrweise und der Dunkelheit. Er wachte orientierungslos mit trockenem Mund auf, als seine DC sagte: »Sir?«
»Sorry.« Ihm fiel wieder ein, wo sie waren. Unterwegs zu Jojo Magos’ hellblauem Haus. Sie fuhren über eine nicht zu erkennende gewundene Straße. Er griff nach hinten, wühlte in seiner Sporttasche, bis er die Wasserflasche gefunden hatte, und trank einen großen Schluck. »Ich hab doch nicht geschnarcht, oder?«
»Nein, alles in Ordnung«, sagte Hanson mit einem Lächeln. »Und wenn Sie gesabbert haben sollten, dann nur aus dem anderen Mundwinkel.«
Jonah schüttelte den Kopf, rieb sich aber zur Sicherheit trotzdem über die Lippen.
»Also, Jojo Magos«, sagte Hanson, und einen beunruhigenden Moment lang dachte Jonah, sie wüsste von dem Abend in Lyndhurst, der Verfolgungsjagd und dem Pullover. Aber natürlich wollte sie bloß Informationen, weil sie die Befragung übernehmen sollte.
»Sie gehörte zum Kern der Gruppe, im Gegensatz zu Brett Parker«, sagte er. »War damals ein ziemlicher Wildfang. Ist sie eigentlich immer noch, soweit ich weiß. Arbeitet als Landschaftsgärtnerin. Haben Sie ihre Daten aufgerufen?«
»Wissen wir, was sie an jenem Abend gemacht hat?«, fragte Hanson. »Ich meine, wir müssen noch die Ergebnisse der Durchsicht von O’Malley und Lightman abwarten, aber …«
»In der Zusammenfassung wurde sie nur knapp erwähnt. Sie ist wie die anderen um kurz vor eins ins Bett gegangen. Das heißt, eigentlich hat sie sich so mehr oder weniger in einen Schlafsack gewickelt und auf dem Boden ausgestreckt. Sie hat ausgesagt, dass Connor sie am nächsten Morgen irgendwann kurz nach fünf wachgerüttelt und gebeten habe, ihm bei der Suche nach Aurora zu helfen, was sie offenbar getan hat.«
Hanson nickte. Sie hatte den Wagen auf Schritttempo verlangsamt, entweder weil sie in Gedanken versunken oder weil sie noch ein paar Minuten haben wollte, um sich zu sortieren. Das Navi erklärte ihnen, dass sie ihr Ziel in anderthalb Kilometer erreicht haben würden.
»Gehörten Sie zu den Beamten, die damals ermittelt haben?«, fragte sie plötzlich.
»Nur ganz am Rande.« Er sah sie an. »Ich hatte kurz zuvor meine Ausbildung abgeschlossen und war uniformierter Police Constable. Wie die übrigen Mitglieder der lokalen Wache wurde ich losgeschickt, um an Türen zu klopfen. Und ich habe bei der Suche unzählige Stunden in dem Wald verbracht. Zwei Tage nach Auroras Verschwinden wurde die Fläche, die wir durchkämmt haben, auf fünfzig Quadratkilometer ausgedehnt. Es war eine außergewöhnlich umfangreiche und intensive Suche. So etwas habe ich danach nie wieder erlebt. Ich glaube, die meisten von uns haben in den ersten paar Wochen kaum geschlafen. Es ist unglaublich, dass wir die Leiche übersehen haben sollen.«
»Ich nehme an, damals hat man all das gemacht, was wir jetzt auch machen? Die Jugendlichen befragt?«
»Endlos«, bestätigte Jonah. »Monatelang. Ich hatte mich schon richtig daran gewöhnt, jede Woche mitzukriegen, wie der ein oder andere von ihnen zur Vernehmung reingebracht wurde. Vor allem Connor Dooley.«
»Wieso er?« Sie hielt an und blickte ihn aufmerksam an. In dem fahlen Licht sahen ihre Augen viel härter aus als sonst.
»Weil sie ihn für einen Assi hielten«, antwortete Jonah. »Und weil er irischer Abstammung ist. Das war während der Hochzeit des Nordirlandkonflikts. Außerdem war er von oben bis unten tätowiert und berüchtigt dafür, in Schlägereien zu geraten. Er war die naheliegende Wahl.«
»Aber man hat nichts gefunden?«
»Nein.« Er sah sich um. Hinter ihnen war ein Paar Scheinwerfer aufgetaucht. Hanson legte den ersten Gang ein und fuhr hastig los. »Nein, soweit ich weiß, nicht. Was natürlich nicht heißt, dass es nichts zu finden gab. Vielleicht hat man nur am falschen Ort gesucht.«
Jojos Haus tauchte vor ihnen auf. In der Dunkelheit sah es eher weiß als taubenblau aus, und die Kletterpflanzen in ihrem Vorgarten, die das halbe Haus überwucherten, wirkten nicht fröhlich, sondern trostlos.
Von der Straße aus kannte Jonah das Haus ziemlich gut. Ein alter Schulfreund hatte es ihm gezeigt, und wenn er seither hier vorbeifuhr, bremste er jedes Mal, um die Farben zu betrachten. Einmal hatte er Jojo sogar in einem ärmellosen T-Shirt im Vorgarten arbeiten sehen, das Gesicht mit Erde verschmiert und vor Schweiß glänzend. Sie hatte nicht aufgeblickt, und er war weitergefahren und hatte sich irgendwie wie ein Voyeur gefühlt.
»Und irgendwann wurden die Ermittlungen eingestellt?«, fragte Hanson, blinkte und bog langsam in die Auffahrt.
»Das Leben ging weiter«, erwiderte Jonah. »Anfang vierundachtzig plante eine Gruppe IRA-Fanatiker, das Rathaus von Southampton in die Luft zu sprengen. Man war äußerst alarmiert darüber, wie nahe sie ihrem Ziel gekommen waren, und wir konzentrierten uns darauf, sie zu ergreifen, anstatt ein vermisstes Mädchen zu finden. Auroras Akte blieb jedoch offen, und gelegentlich flammte das Interesse wieder auf.«
Er fügte nicht hinzu, dass er sich jedes Mal freiwillig für die Sonderkommission gemeldet hatte, wenn die Ermittlungen wieder aufgenommen wurden. Dass er eigentlich nie aufgehört hatte, Aurora zu suchen.
Hanson schaltete mit nachdenklicher Miene den Motor ab. »Und nun liegt alles noch viel weiter zurück«, sagte sie. »Aber jetzt haben wir eine Leiche. Und eine klar umrissene Liste von Verdächtigen, nehme ich an.«
»Wir werden sehen, was uns das bringt«, sagte er und stieg aus.
Für einen Besuch war es spät. Nach zehn. Eine unhöfliche Zeit. Er hoffte, dass Jojo nicht schon zu Bett gegangen war. Sonst müssten sie unverrichteter Dinge wieder abziehen und es morgen noch einmal versuchen. Andererseits wäre er dann vielleicht nicht mehr so benommen und könnte besser unterscheiden zwischen dem Menschen, der er heute war, und dem, der er damals gewesen war.
Er drückte sich an dem ramponierten dunkelroten Jeep Wrangler mit dem heruntergeklappten Verdeck vorbei. Auf der Ladefläche standen Bambuspflanzen. Die Einfahrt war von fast wild wirkenden Pflanzen gesäumt, doch der Weg zur Haustür war makellos gepflastert – sauberer Mörtel zwischen cremefarbenen Fliesen.
Sie mussten sich unter einer Clematis ducken, die üppig an einem Spalier wucherte. Die Haustür war bereits einen Spaltbreit offen. Dahinter wartete eine schlanke gebräunte Gestalt in einer Pluderhose aus Baumwolle und einem ärmellosen T-Shirt.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Ihre ganze Erscheinung drückte Vorsicht aus. Jonah sah die angespannten Muskeln ihres Oberarms, die fest gegen die Tür gedrückten Finger, bereit, sie sofort zuzustoßen. Die Haltung erinnerte ihn so frappierend an die an jenem Abend in Totton in die Enge getriebene Gestalt, dass es verwirrend war.
»Wir sind von der Polizei Southampton«, sagte Hanson. »Ich bin DC Hanson, und das ist DCI Sheens. Dürfen wir reinkommen?«
Jonah war sich sicher, dass er sich ihre Reaktion bei der Erwähnung seines Namens nicht nur einbildete. Sie entspannte sich ein wenig und lächelte vorsichtig. Im Gegensatz zu ihren Freunden hatte Jojo ihn erkannt.
»Okay«, sagte sie und fügte dann ein wenig kokett hinzu: »Wenn Sie versprechen, dass ich keinen Ärger bekomme.«
Hanson lächelte, Jonah zuckte knapp die Schultern. Jojos Lächeln verblasste ein wenig, doch sie trat von der Tür zurück, um sie hereinzulassen.
Hanson machte Jonah ein Zeichen vorzugehen, und er folgte Jojo. Sie ging immer noch wie jemand, der die meiste Zeit in Bewegung war, mit lockeren, federnden, raumgreifenden Schritten.
Das Haus war ordentlicher und geräumiger, als er erwartet hatte. Von außen wirkte es wie ein Puppenhäuschen, doch der Flur öffnete sich zu einer großen Küche, die auf der einen Seite um einen Wintergarten, auf der anderen um ein Wohnzimmer erweitert worden war. Blau- und Gelbtöne sowie gebleichtes Holz dominierten, frische, fröhliche Küstenfarben. Auf einem kleinen Beistelltisch aus Eiche stand ein blauweißer Teebecher, daneben lag ein umgedrehtes aufgeschlagenes Buch. Keine Anzeichen dafür, dass außer ihr sonst noch jemand hier wohnte, was er auch nicht erwartet hatte. Soweit Jonah dank des örtlichen Klatschs im Bilde war, hatte