Private Ermittler - 2000 Seiten, 16 Krimis in einer Sammlung. Alfred Bekker

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Private Ermittler - 2000 Seiten, 16 Krimis in einer Sammlung - Alfred Bekker


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sah er den Unbekannten noch einmal ausholen.

      Das Ruderholz traf ihn voller Wucht an der Stirn.

      Mit einem platschenden Geräusch fiel Sluiter in das unter Wasser stehende Gras.

      Dort blieb er reglos und in einer eigenartig verrenkten Haltung liegen. In seinen starr gewordenen Augen spiegelte sich das Mondlicht.

      Der Mörder legte das Ruderholz auf den sumpfigen Boden. Die Tasche, die ihm über der Schulter hing, schob er zurück. Dann fasste er Gretus Sluiter bei den Armen und zog ihn über die Liegewiese. Einmal setzte er zwischendurch ab, ehe er sich den Rest der Strecke vornahm. Schließlich erreichte er die Stelle, an der Sluiters Boot lag.

      Die Leiche legte er auf der etwa einen Meter fünfzig breiten befestigten Zone direkt am Ufer ab. Seine Tasche ebenfalls. Er löste die Vertäuung des Bootes, um es näher ans Ufer heranzuziehen. Er machte es erneut fest. Die Außenhaut schabte jetzt an der scharfen Uferkante. Aber wenn er die Leiche an Bord bringen wollte, konnte er keinen weiten Spagat-Schritt auf das Boot machen.

      Der Mörder lud sich Sluiter über den Rücken und stieß ihn dann mit aller Kraft ins Boot hinein. Hart schlug Sluiters Kopf auf dem Boden auf. Blut sickerte heraus, lief über den Polyester-Boden. Ein Fuß hatte sich im Netz der Reling verfangen.

      Der Mörder atmete tief durch.

      Etwas fehlt noch!, dachte er.

      Er wandte sich seiner Tasche zu, holte eine Boßel-Kugel aus Hartholz daraus hervor und warf sie Sluiter hinterher. Sie rollte durch die entstandene Blutlache.

      Dann löste der Mörder die Taue und gab dem Jollenkreuzer einen Stoß mit dem Fuß.

      ––––––––

      2.

      Lorant tickte mit den Fingern auf dem Lenkrad seines Mitsubishi Carisma herum und folgte dabei dem Takt der swingenden Jazzmusik, die aus den Lautsprechern der Stereoanlage kam. 'Cantaloupe Island' von Herbie Hancock. Nicht in der Rap-Fassung aus den Neunzigern, die lange als Titelmelodie einer Talkshow gedient hatte, sondern das Original des Meisters selbst. Lorant kannte das Stück in- und auswendig. Seine Finger bewegten sich wie auf einem Piano. In Gedanken spielte er es mit. Der Jazz war Lorants große Leidenschaft. Er liebte diese freieste aller Musikformen, die zum Großteil aus der Spontaneität des Augenblicks heraus entstand. Kein Jazz-Stück wurde jemals zweimal auf dieselbe Art und Weise gespielt. Lorant hatte selbst einmal davon geträumt, als Jazzmusiker Karriere zu machen. Immerhin war er ein passabler Pianist geworden. Der Höhepunkt seiner Karriere war ein Auftritt in Kölner 'Subway' gewesen. Auf zwei CDs, die unter einem kleinen Label herausgekommen waren, hatte Lorant mitgespielt. Aber zum Glück hatte Lorant früh genug erkannt, dass sein Talent wohl nicht dazu ausreichte, um in die Fußstapfen von Miles Davis, John Coltrane oder Thelonius Monk zu treten und Jazzgeschichte zu schreiben. Es reichte allenfalls, um sich hin und wieder als Barpianist etwas dazu zu verdienen. Und so war Lorant den sicheren Weg gegangen.

      Den vermeintlich sicheren Weg.

      Zwanzig Jahre Polizeidienst hatte er hinter sich.

      Schließlich hatte er frustriert den Dienst quittiert. Immer wieder hatte er mit ansehen müssen, wie leichtfertig in Mordfällen ermittelt wurde. Er hatte das auf die Dauer nicht ertragen können. Und als schließlich seine Frau unter mysteriösen Umständen verschwunden war, Umständen, die ein Tötungsdelikt sehr nahe legten, hatte dies das Fass zum Überlaufen gebracht. Er hatte den Dienst quittiert, sich als Barpianist durchgeschlagen und sich schließlich als Privatdetektiv selbstständig gemacht. Sein Spezialgebiet waren Tötungsdelikte, bei denen die Justiz längst aufgegeben hatte. Oder solche, die zunächst gar nicht als das erkannt wurden, was sie in Wahrheit waren: Morde.

      Was damals mit seiner Frau geschehen war, hatte Lorant trotz aller Bemühungen niemals vollständig herausfinden können. Ein ungelöster Fall, der an seiner Seele nagte, wann immer er daran dachte. Die Bilder würden sich wohl niemals aus seinem Gedächtnis löschen lassen. Das sonnendurchflutete Hotelzimmer, die Blutflecken auf dem Boden.

      Für einen kurzen Moment kniff Lorant die Augen zu.

      Es hat keinen Sinn!, ging es ihm durch den Kopf. Es hat einfach keinen Sinn!

      Das Zusammenkneifen der Augen war eine Art Ritual, um diese Bilder aus seinem Bewusstsein zu verbannen. Zumindest zeitweise. Tagsüber klappte das auch ganz gut. In der Nacht war das etwas anderes. Vor Albträumen gab es keinen Schutz. Das hatte Lorant in den letzten Jahren oft genug erfahren müssen.

      Zwar waren sie in den letzten Jahren weniger geworden, aber sie hatten nie ganz aufgehört.

      Lorant nahm die Autobahnabfahrt Emden-Nord. Sechs Stunden Fahrt lagen hinter ihm, eine davon hatte er im Stau verbracht, gleich nachdem er Köln verlassen hatte.

      Jetzt musste er nur noch die Adresse seiner Auftraggeberin finden, die in Forlitz-Blaukirchen, einem kleinen Dorf in Südbrookmerland, wohnte.

      Lorant nahm die B270 Richtung Aurich.

      Das Land war so platt, wie man es immer behauptete. Man konnte bis zum Horizont sehen. Die Wolken türmten sich zu eigenartigen Gebilden auf. Lorant hatte den Eindruck von Weite. Fast so, als ob man sich an der Küste befand und auf das offene Meer blickte.

      Auf der rechten Seite befanden sich in regelmäßigen Abständen martialisch anmutende Warnschilder.

      Eines zeigte einen Sensenmann mit grinsendem Totenschädel.

      "Ich fahre mit!", stand darunter.

      Ein anderes zeigte eine Reihe von nebeneinandersitzenden Geistern. Darunter stand: Tempo 140 - wir warten schon!

      Offenbar wurde auf dieser, von Bäumen umsäumten Allee viel zu schnell gefahren. Hier und da machten verwitterte Holzkreuze auf die Opfer der letzten Jahre aufmerksam. Lorant fuhr vorschriftsmäßig siebzig. Ein BMW A4 drängelte von hinten, betätigte die Lichthupe und setzte schließlich ohne Rücksicht auf einen aus Auricher Richtung heranbrausenden Truck zum Überholmanöver an.

      Lorants Adrenalinspiegel stieg. Er bremste ab. Der A4 scherte vor ihm ein. Der Truck donnerte vorbei, betätigte dabei seine Hupe, die den Klang einer Fußballtröte hatte. "Ich heiße Manni", stand vorne auf der Truckhaube. Damit war wohl der Fahrer und nicht der Motor gemeint. Aber offenbar hatten weder Manni noch der BMW-Fahrer sich je die Plakate mit Verstand angesehen. Und das, obwohl sie vermutlich häufiger hier vorbeifuhren, denn beide hatten Auricher Kennzeichen.

      Lorant seufzte hörbar.

      Shock in the morning before breakfast!, erinnerte er sich an den Ausspruchs seines Englischlehrers, der das immer gesagt hatte, wenn er jemand ohne Hausaufgaben erwischte. Lorant hatte das ziemlich oft zu hören bekommen.

      Immerhin waren jetzt seine grüblerischen Gedanken wirkungsvoll davongejagt. Lorant war wieder ganz im Hier und Jetzt. Trotzdem nahm er die Baseballkappe vom Kopf, weil er anfing zu schwitzen. Seit die Haare weniger wurden, ging er ohne das Ding nicht mehr in die Sonne.

      Auf der linken Seite fiel Lorant eine Kirche auf.

      Kurz nach dem Ortsschild Suurhusen.

      Lorant stutzte.

      Der Kirchturm hatte eine so beträchtliche Neigung, dass man eigentlich erwarten konnte, ihn innerhalb weniger Augenblicke niederstürzen zu sehen.

      Lorant fuhr etwas langsamer.

      Er verengte die Augen, nahm die Sonnenbrille ab.

      So was gibt's doch nicht!, dachte er. Der Turm stellte ein Gebilde dar, das allen bekannten Gesetzen der Schwerkraft irgendwie völlig zu widersprechen schien. Und doch stand er. Wie der schiefe Turm von Pisa.

      Lorant schüttelte leicht den Kopf.

      War sicher kein besonders angenehmes Gefühl, in unmittelbarer Umgebung dieser Kirche zu wohnen, immer in der


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