Private Ermittler - 2000 Seiten, 16 Krimis in einer Sammlung. Alfred Bekker
Читать онлайн книгу.kennen uns flüchtig.“
„W-was wollen Sie?“
„Dasselbe könnte ich Sie fragen. Oder wollen Sie mir jetzt erzählen, dass Sie zur zufällig genau dort waren, wo ich mein Hausboot vertäut habe?“ Till Gerath wirkte nervös. „Wollen Sie hereinkommen?“
„Gern.“
Berringer folgte dem jungen Mann in die Wohnung, die bei Tag wegen der großen Fensterflächen vermutlich lichtdurchflutet war.
Berringer ließ den Blick über das selbst für ihn erschreckende Maß des Chaos schweifen, das sich ihm darbot. Dagegen wirkte ja sogar sein Schiffchen wie die Wohnung eines Zwangskranken, der seine Büroklammern abzählte und die Bleistifte nach Länge sortierte.
Das Atelier und die Wohnung waren eins. Ein halb fertiges Gemälde ruhte auf einer Staffelei. Es fiel Berringer auf, dass überall nur rote Farbe verwendet wurde. Mehrere volle Eimer standen im Raum. Man musste aufpassen, nicht in einen der Kleckse auf dem Fußboden zu treten.
Eine junge Frau saß an einem niedrigen Wohnzimmertisch aus Glas. Sie trug nur ein Hemd, das nicht zugeknöpft war. Sie schien Berringer gar nicht zu bemerken, war voll und ganz darauf konzentriert, ein kleines Häufchen Kokain in ihre rote entzündete Nase zu saugen. Aber sie war schon zu weggetreten dafür. Vielleicht hatte sie vorher auch noch getrunken. Jedenfalls war sie nicht in der Lage, die Hand mit dem abgeschnittenen Strohhalm ruhig zu halten. Außerdem fing sie im entscheidenden Moment immer an zu kichern. Den Großteil des Kokainhäufchens blies sie sich dann in einer ziemlich unbedachten Aktion selbst weg.
Sie fluchte, kehrte den kärglichen Rest des Kokains mit einem kleinen Stück Karton zusammen und versuchte es noch mal. Als sie es endlich geschafft hatte, stieß sie ein wohliges Brummen aus, stand taumelnd auf und kicherte wieder.
Plötzlich erstarrte sie.
Ihre Augen wurden so groß, dass sie aus den Höhlen zu fallen drohten. Sie starrte Berringer an wie ein Gespenst und schrie. Ein Schrei, so schrill und durchdringend, wie man ihn aus den Edgar-Wallace-Verfilmungen der Sechziger kannte. Ein Fanal des ultimativen Schreckens, aber so überdreht, dass man die zur Schau gestellte Furcht nicht glauben konnte und eher für Hysterie hielt. Sie raffte vorn ihr Hemd zusammen und lief über die Wendeltreppe hinauf ins Obergeschoss.
„Sie ist ein bisschen schreckhaft, sonst aber ganz in Ordnung“, meinte Till Gerath.
Berringer grinste. „Ihr Modell?“
„Nein.“
„Malen Sie keine Frauen?“
„Doch. Aber ich hätte nicht genug Kokain, um sie dazu zu bringen, lange genug still zu sitzen.“
Er räumte ein paar Zeitungen von einem Ledersessel und setzte sich. Daran, seinem Gast einen Platz anzubieten, dachte er nicht. Berringer trat in eine Farblache. Sie war noch feucht. War ein Fehler, herzukommen, dachte er.
„Wer finanziert Ihnen das alles, Herr Gerath?“
„Wie spießig das klingt.“
„Und wenn schon! Warum beantworten Sie nicht einfach die Frage?“
„Es gibt noch wahres Mäzenatentum.“
„Ihre Mutter?“
„Richtig geraten. Sie versteht nicht, was ich hier tue. Das ist nicht verwunderlich, schließlich verstehe ich es selbst kaum. Aber sie findet es gut und erkennt meinen Weg an. Ganz im Gegensatz zu meinem Vater, der ...“ Till Gerath verstummte und nahm einen Schluck Kognak aus der Flasche, rülpste ungeniert und musterte Berringer von oben bis unten. „Schon komisch, dass Sie jetzt hier sind.“
„Wieso?“
„Nur so.“
„Sie haben mir immer noch nicht gesagt, was Sie im Hafen bei meinem Hausboot wollten.“
„Nichts Besonderes. Ich wollte einfach nur mal sehen, was das für ein Typ ist, den mein Vater da angeheuert hat. Hat mich eben interessiert.“
„Hat Ihre Mutter Ihnen von mir erzählt?“
„Ist das so wichtig?“
„Sie scheinen einen intensiven Kontakt zu ihr zu pflegen.“ Er lachte auf. „Sie ist meine Mutter.“
„Ich brauche ihre neue Adresse.“
„Sie hat sich im Haus Oberkassel einquartiert. Kennen Sie das? Eine zum Hotel umfunktionierte Jugendstilvilla, drüben auf der anderen Rheinseite. Da will sie erst mal bleiben, bis sich die Verhältnisse zu Hause geklärt haben. So oder so ...“
„Was meinen Sie damit?“
„Na ja, ist es ausgeschlossen, dass der Bekloppte, der die Pferde abgemurkst hat, vielleicht nicht doch noch mal richtig trifft?“
„Sie würden das nicht wirklich bedauern, oder?“
„Soll ich jetzt heucheln, wie sehr ich meinen Vater liebe? Er erkennt einfach nicht an, was ich tue. Wer nicht ganz so gestrickt ist wie er, der zählt nicht. Ist doch kein Zufall, dass seine Kinder der Reihe nach aus dem Haus geflüchtet sind, sobald es möglich war.“
„Ich kann mir vorstellen, dass es für Ihren Vater ganz schön deprimierend ist, dass keiner sein Lebenswerk fortsetzen will.“
Er lachte erneut. Heiser, rau und freudlos. Dann nahm er wieder einen Schluck aus der Flasche, bevor er gehässig hervorstieß: „Kein Mensch ist an dieser Scheißfirma interessiert. Wenn Papa abnippelt, wird die sofort verkauft, und alle Erben bekommen einen schönen Batzen Geld.“
Berringer trat an einen Tisch, auf dem eine Reihe abstrakter Skizzen lagen.
Kritzeleien in Rot, bei denen zwar keine Form erkennbar war, die aber dafür mit Titel versehen waren:
„Vatermord“ hieß eines.
„Pferdetod“ ein anderes.
Berringer betrachtete die Skizzen aufmerksam. Ein wirres Durcheinander aus Strichen und Schraffierungen mit Rötelstift. Vielleicht verstand er einfach nur nicht genug davon, dachte er. „Sie verarbeiten in Ihren Werken offenbar aktuelle Geschehnisse in Ihrer Familie“, stellte er fest, nachdem einige Augenblicke lang Schweigen geherrscht hatte.
„Ich höre schon, wie es in Ihrem Kopf zu rattern beginnt“, sagte Till Gerath. „Sie fragen sich jetzt, ob ich vielleicht auch ein Gewehr besitze. Bitte, sehen Sie sich um.
Mich amüsiert das. Wussten Sie, dass ich im letzten Herbst eine Kunstaktion durchgeführt habe, bei der ich vor Publikum das Blut eines Kanarienvogels auf eine Leinwand gespritzt habe und wegen Tierquälerei angezeigt wurde? Das passt doch, oder? Wer grob zu Kanarienvögeln ist, der bringt doch auch Pferde um, oder?“
„Oder Menschen“, sagte Berringer. Er hatte auf einer Couch, die mit Kleidungsstücken übersät war, die Jacke eines Kampfanzugs entdeckt, wie man sie bei Karate und anderen asiatischen Kampfsportarten trug. „Trainieren Sie?“
„Aikido - bis vor zwei Jahren.“
„Wie Ihre Mutter.“
„Ich habe sie darauf gebracht. Man sollte sich schließlich wehren können.“
„Sie wissen, wer Frank Severin ist?“
„Natürlich. Seit der Kindheit. Er war oft bei uns zu Hause und war einer der wenigen Menschen, vor denen mein Vater Respekt hatte. Ein unangenehmer Typ.“
„Ihre Mutter dachte anders.“
„Ich hab sie oft genug vor dem Arsch gewarnt. Bei dem kam einem ja schon der Brechreiz, wenn man ihm nur ins Gesicht sah. Falsche Zähne, falsches Lächeln, und wahrscheinlich waren noch ein paar andere Dinge falsch an ihm. Na ja, das hat sich ja nun auch geregelt.“
„Durch den Schlag eines Kampfsportlers, wie die Gerichtsmedizin vermutet.“ Er zuckte die Achseln. „Manchmal