„So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“. Richard A. Huthmacher
Читать онлайн книгу.christlichen Glauben mit weltlichem Handeln zu vereinen, um eine gerechte Gesellschaft zu schaffen: „Von Anfang an kam Zwingli von der politischen Frage her zur Glaubenserkenntnis, um dann vom Glauben aus wieder Politik zu treiben.“
M.E., Liebster, waren es nicht die unterschiedlichen Denkschulen Luthers (via moderna, neuere scholastische Richtung) bzw. Zwinglis (via antiqua sowie Humanismus), welche, wie immer wieder behauptet, die beiden Reformatoren trennten; vielmehr waren beide als Person derart unterschiedlich, dass sie nie und nimmer zusammenkommen konnten: „In sehr vielen Punkten zögerte der Wittenberger, die bestehenden Traditionen sofort zu ändern, behielt sie vielmehr bei und versuchte dies auch zu rechtfertigen [euphemistische Umschreibung für den Umstand, dass Luther die Interessen seiner Oberen bediente, insofern auch nicht das geringste Interesse hatte, dass die himmelschreiend ungerechten gesellschaftlich-sozialen Verhältnissen, dass die strukturellen Gewalt gegen die Masse des Volkes abgemildert oder gar aufgehoben wurden], während Zwingli meistens darauf drängte, sobald als möglich die bestehenden, der christlichen Lehre widersprechenden Verhältnisse zu ändern und zu einer biblischen Lehre und Praxis zurückzukehren.“
Indes: Auch Zwingli war alles andere als ein Heiliger: Er veranlasste, die (Wieder-) Täufer, auch Anabaptisten genannt (deren bekannteste heute die Mennoniten, die Amische und die Hutterer sind), aus Zürich zu vertreiben; manche der Täufer wurden gefoltert und im Limmat ertränkt. Erster Märtyrer der Wiedertäufer war Felix Manz, vormals Vertrauter Zwinglis, später mit diesem (dem er u.a. die Verschleppung des Reformationsprozesses vorwarf) im Dissens; zum endgültigen Bruch zwischen beiden kam es im Streit um Gläubigen- (Manz) vs. obligatorische Kindertaufe (Zwingli). Manz erhielt Predigtverbot, landete im Gefängnis, predigte und taufte nach seiner Entlassung weiter; Anfang 1527 wurde er zum Tod durch Ertränken verurteilt.
Das Täufertum war sicherlich der radikalste Teil der Reformation; es berief sich auf die Nachfolge Christi und die Kirche als Bruderschaft; Gewaltlosigkeit war ihr Credo, und ihr Wachstum war immens, insofern eine „Bedrohung“ für alle anderen reformatorischen Bewegungen. Die Wiedertäufer forderten weiterhin die Trennung von Kirche und Staat, mithin ein absolutes No-go für die herrschende Klasse, sowie die Gütergemeinschaft, waren insofern auch eine Art urkommunistischer Gemeinde. Die Verfolgung ihrer Gedanken dauerte über Jahrhunderte an, viele Täufer flohen nach Übersee, aber, beispielsweise, auch nach Russland: „Schon im 16. Jahrhundert wurden die sogenannten Anabaptisten verfolgt und hingerichtet – befeuert von theologischen Argumenten der Reformatoren Martin Luther und Philipp Melanchthon.“
Die anabaptistischen Urgemeinden grenzten sich durch ihre Besitz-, Eigentums-, Macht- und Herrschaftsvorstellungen von der/den ungleich größeren, stärkeren und mächtigeren Amtskirche(n) ab; sie repräsentierten sozusagen den kritischen Maßstab für das Verhältnis der Großkirche(n) zu Armut und Reichtum, zu Demut und Macht, zu brüderlicher Gemeinschaft vs. autoritärer Unterdrückung und postulierten ihrerseits ein gleichberechtigtes Zusammenleben in gegenseitiger Solidarität und ohne Ausbeutung des Menschen durch den Menschen – als Zeugnis für das (kommende) Reich Gottes.
Zu diesen (im Kern eher revolutionären als reformatorischen) Strömungen, die auf Gemeineigentum beharrten, gehörten die Taboriten in Nachfolge von Johannes Hus. Zu den Vertretern der urchristliche Gütergemeinschaften gehörte auch Hans Böhm, der Pauker von Niklashausen: „Die Mutter Gottes von Niklashausen habe ihm verkündet, predigte er, daß fortan kein Kaiser noch Fürst, noch Papst, noch andere geistliche oder weltliche Obrigkeit mehr sein sollte; ein jeder solle des andern Bruder sein, sein Brot mit seiner Hände Arbeit gewinnen und keiner mehr haben als der andere. Alle Zinsen, Gülten, Fronden, Zoll, Steuer und andre Abgaben und Leistungen sollten für ewig ab, und Wald, Wasser und Weide überall frei sein …“
„Im Sommer 1519 empfahl Luther Thomas Müntzer als Prediger für Zwickau. Dessen Auftreten und Wirken … polarisierte zwar, gab aber der Reformbewegung einen Schub. Bereits 1521 gestaltete der Pfarrer der Marienkirche, Nikolaus Hausmann, den Gottesdienst nach Lutherischen Vorstellungen. Allerdings griffen immer mehr radikale Ideen in Zwickau um sich und fanden ihre Anhänger. Einer der Wortführer war der Tuchweber Nikolaus Storch. Er hatte ´Visionen´ und nannte sie ´Inneres Wort´ … Auch der Tuchmacher Thomas Drechsel kannte diese Eingebungen. Der dritte im Bunde der ´Propheten´ war der ehemalige Wittenberger Student Markus Stübner. Er galt als der Gelehrte neben den Tuchmachern. Diese [Zwickauer] ´Propheten´ verbreiteten, die Sakramente seien sinnlos, vor allem die Kindertaufe sofort nach der Geburt und das Priestertum überhaupt entsprächen nicht dem Willen Gottes und seien unbegründet. Vielmehr gelte es, dem urchristlichen Ideal wieder zu folgen. Jeder Mensch trage ein ´inneres Licht´ im Herzen. Die Zeit der Gottlosigkeit und Verirrung gehe jedoch zu Ende, und das Reich des Friedens, von dem die Propheten aller Zeiten gesprochen hatten, stehe bevor …
Luther … setzte sein ganzes Gewicht ein, um die Zwickauer Bewegung zur Raison zu bringen [in wessen Sinne und zu wessen Nutzen erlaube ich mir fragend anzumerken]. Immer wieder predigte er, allerdings vom Balkon des Rathauses aus [ist sicherer, erlaube ich mir, Liebster, anzumerken, als sich unter des Pöbels Masse zu begeben], und ging die Urchristen und ihre Propheten an. Nicht ohne Erfolg. Die Bewegung geriet in einen Richtungsstreit und fiel auseinander. [Zweifelsohne war Luther ein großer Spalter vor Gott dem Herrn: Divide et impera ist bekanntlich ein überaus probates Mittel zur Erhaltung der Macht.] Was aus Storch geworden ist, ist nicht bekannt. Etliche aus seinen Kreisen haben sich vermutlich den Bauernprotesten angeschlossen, die mit der Schlacht bei Frankenhausen 1525 dramatisch und tragisch endeten.“
Im Nachhinein könnte man die Verfolgung der „Zwickauer Propheten“ als den Auftakt der Hatz auf alle Anders-(als-Luther-)Denkende, auf diejenigen, die mit der neuen Lehre nicht konform gingen, bezeichnen; nach den Ereignissen des Jahres 1522 (also gerade einmal 5 Jahre nach „Proklamation“ der so genannten Reformation) lässt sich jedenfalls festhalten: „Sein [Luthers] Ansehen und seine Macht sind nicht mehr anzutasten.“
Zu denen, die unter Berufung auf die Bibel eine Neuordnung der Eigentumsverhältnisse und die Gütergemeinschaft aller forderten, gehörte auch der Kreis um Felix Manz, Konrad Grebel und Wilhelm Reublin, letzterer ebenfalls führende Gestalt der Schweizer Täuferbewegung und der erste eidgenössische Priester, der öffentlich den Zölibat brach.
In Tirol versuchte Michael Gaismair, jedoch ohne Erfolg, eine neue Eigentumsordnung zu etablieren.
Mehr Erfolg war Jakob Hutter beschieden: Seine Bruderhöfe, 1533 in Tirol als agrarische Wohnsiedlungen mit eigenen Schulen gegründet, dann aufgrund ihrer Verfolgung nach Mähren, später nach Ungarn, schließlich (im 19. Jhd.) auch in die USA verlagert, resp. die daraus entstandene Bewegung der Hutterer (die nach Vorbild der Jerusalemer Urgemeinde seit ihren Anfängen in Gütergemeinschaft leben und heute weltweit knapp 50.000 Angehörige zählen) existiert bis heute.
Mit Ausnahme der Täufer (zu denen die Hutterer und die Mennoniten zählen) hat neben der lutherischen und neben der calvinistischen Bekenntnisform keine einzige der religiös-ideologisch gesellschaftlich-politischen Bewegungen, welche die Reformation hervorbrachte, überlebt – zu schwer lastete das Gewicht von Luther (und Calvin) resp. das ihrer, letzterer, Hintermänner und Drahtzieher auf jedem Versuch einer gesellschaftlichen Veränderung, zu tödlich – im wahrsten Sinne des Wortes – war das Verdikt „staatsfeindlicher Umtriebe“: Calvin trägt – jedenfalls politisch, mit größter Wahrscheinlichkeit aber sehr konkret und praktisch – die Verantwortung für die Hinrichtung von 38 „Hexen“, die als Andersgläubige zwischen 1542 und 1546 in Genf exekutiert wurden. Wobei Calvin auch persönliche Animositäten auf diesem Wege zu lösen wusste.
Die Gütergemeinschaft, so Luther, sei keineswegs als verbindlich aus der Bibel abzuleiten, vielmehr höchst freiwillig: „Direkt hat das Evangelium mit der Sozialordnung nichts zu tun. Es ´nimmt sich weltlicher Sachen gar nichts an´, sondern ist der Schlüssel zum Himmelreich und der Weg zur Seligkeit … Und scharf argumentiert Luther von daher gegen die Berufung der Bauern auf das Evangelium. Wenn die Bauern unter Hinweis auf die christliche Freiheit die Leibeigenschaft aufgehoben haben wollen, so heißt das für Luther[,] die christliche Freiheit ´ganz fleischlich´ machen … Die christliche Freiheit … ist unabhängig davon, ob ich frei oder leibeigen … bin.“
So