„So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“. Richard A. Huthmacher

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„So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“ - Richard A. Huthmacher


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Wohle – gestalten; der einfache Mann finde Trost und Zuflucht im Glauben. Und sei gegenüber der Obrigkeit willfährig, auch dermaleinst im Himmel. Welch menschenverachtende Herrschafts-Ideologie, als Religion getarnt: „Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes“, so bekanntlich Marx.

      Ergo: Irgendwie hängt alles mit allem zusammen. Und wenn man den Lauf der Geschichte in den letzten 500 Jahren verstehen will, muss man sich mit jenen Ereignissen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts auseinandersetzen, die man heute „die Reformation“ nennt.

      Wie alle geschichtlichen Vorkommnisse kam diese nicht von ungefähr, spiegelt vielmehr die gesellschaftlich-politischen wie ideengeschichtliche Verwerfungen am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit wieder und zeigt zum andern, wie einzelne Personen, trotz aller Vorbestimmtheit durch konkrete (Macht- und Herrschafts-)Strukturen, dem historischen Verlauf ihren prägenden Stempel aufzudrücken vermögen.

      Auch hier gab es nicht die Guten und die Bösen, die Protagonisten der Reformation lassen sich nicht (nur) als schwarz oder weiß rubrizieren; zudem tat – über die Jahrhunderte hinweg – die (ideengeschichtlich und gesellschaftlich-politisch eben so gewollte wie gleichermaßen bewusst gestaltete) Rezeption der jeweiligen Vorkämpfer und Leitfiguren ein Übriges, um deren Wahrnehmung zu verwischen, zu verzerren oder ins Gegenteil zu verkehren.

      Ganz gewiss jedoch lässt sich behaupten, dass Luther (s. zuvor und hernach) alles andere als ein Freund der Menschen, allenfalls ein Getreuer der Herrschenden, jedenfalls ein selbst abgrundtief Verzweifelter war, der diese seine Verzweiflung durch seinen (institutionalisierten) Glauben an andere weitergab und letztlich ein zutiefst pessimistisches Bild des Menschen, dem er nicht einmal einen freien Willen zugestand, vermittelte.

      Die in höchstem Maße fatalistische Sicht Luthers, die den Menschen nicht nur zum Spielball Gottes (sola gratia!), sondern auch zum willenlosen Objekt seiner Oberen degradiert, war (und ist) weltweit der Steigbügelhalter repressiver Herrschafts-Ideologien und in der Praxis bestens zur Fundierung kapitalistischer (heutzutage neoliberaler) Herrschaftsstrukturen geeignet.

      ZUR GESELLSCHAFTLICHEN, SOZIALEN UND POLITISCHEN SITUATION ANFANG DES 16. JHD. ZUR ROLLE DER STÄDTE WÄHREND DER REFORMATION

      Liebste,

      lass mich wie folgt festhalten: „´The reformation was an urban event.´ Ein Grund dafür ist das Prinzip sola scriptura: Die Lehre wird von der Predigt getragen und als gedrucktes Wort durch Flugblätter, Bibelübersetzungen und das Gemeindelied verbreitet; dies kommt dem vielfach lesefähigen Stadtbürgertum entgegen. Ein weiterer Grund liegt in der Neigung der Städte, ´sich als Corpus Christianum im Kleinen zu verstehen´ … Schon in seinem Gutachten von 1523 für die sächsische Kleinstadt Leisnig betont Luther, dass die Kirchengemeinde selbst über ihre Ordnung zu bestimmen habe. Und die Kirchengemeinde ist im Selbstverständnis des Stadtbürgertums identisch mit der Bürgergemeinde …

      Zwischen 1520 und 1540 bekennen sich fast alle Reichs- und Hansestädte zur Reformation, nur Köln entzieht sich der Bewegung. Der religiöse Aufbruch verbindet sich mit der Rückkehr zu den genossenschaftlichen Verfassungstraditionen. Darin zeigt sich die Zielrichtung der reformatio.“

      Insofern war die Re-formation in den Städten tatsächlich der Versuch, alte soziale Strukturen wiederherzustellen. Wohingegen das Aufbegehren der Bauern und der Landbevölkerung als Re-volution (re-volvere: um-drehen, auf den Kopf stellen), als Versuch, strukturelle Gewalt zu überwinden und gesellschaftliche Fesseln abzustreifen, zu werten ist.

      Gleichwohl: Die einen wie die anderen beriefen sich auf Luther. Weil dieser (fast) allen Ständen und Gruppen (je nach Auslegung) ideologisches Rüstzeug lieferte (sich indes – letztlich – nur einer Gruppe verpflichtet fühlte: derjenigen der Fürsten; s. zuvor und hernach).

      Zur gesellschaftlichen, sozialen, politischen und demographischen Situation zur Zeit der Reformation gilt wie folgt festzuhalten:

      In Deutschland lebten zu dieser Zeit ca. 10 Millionen Menschen, europaweit ca. (60-)80 Millionen. Erst Mitte des 16. Jahrhunderts wurde in Deutschland wieder eine Einwohnerzahl wie zu Beginn des 14. Jahrhunderts erreicht; zwischenzeitlich hatte der „Schwarze Tod“ europaweit für eine Bevölkerungsreduktion um 30-50 Prozent gesorgt. Auch im 16. Jhd. gab es noch Pestepidemien; allein in Augsburg wurden in der ersten fünf Dezennien 38.000 Pesttote (in 8 Pestjahren) gezählt.

      Indes war nicht nur der Schwarze Tod für einen drastischen Rückgang der Bevölkerung verantwortlich: Seit „der großen Hungersnot der Jahre 1313-1317 … [traten] die zyklischen Wechselbeziehungen zwischen Mißernten, Hungersnöten und Seuchen immer stärker in Erscheinung …“

      Die Säuglings- und Kindersterblichkeit war groß; namentlich aufgrund dieser lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei gerade einmal 25 bis 35 Jahren. „Über die Sterblichkeit von Jugendlichen und Erwachsenen aus den lutherischen Mittel- und Oberschichten lassen sich anhand der Angaben in Leichenpredigten relativ zuverlässige Aussagen gewinnen: … [So] hatten Knaben mit fünfzehn Jahren die Aussicht, im Durchschnitt 57jährig zu werden, wogegen gleichaltrige Mädchen infolge der hohen Kindersterblichkeit und der physischen Überbeanspruchung nur ein Alter von 38 Jahren erreichten.“

      In Deutschland lebten zur Zeit der Reformation weniger als 20 Prozent der Menschen in Städten (ca. 3.000 an der Zahl); 94,5 Prozent dieser Städte hatten – wie Wittenberg – nicht mehr als 2.000 Einwohner. Rund 5 Prozent (beispielsweise auch Basel und Konstanz) waren mittelgroße Städte mit 2.000 – 10.000 Einwohnern, und nur 0.5 Prozent der Städte zählten mehr als 10.000 Einwohner. Die meisten deutschen Städte wurden zwischen 1150 und 1450 gegründet; bis zum 19.Jhd. (Industrialisierung!) ging die Zahl der Neugründungen (drastisch) zurück.

      Durch die Urbanisierung im Spätmittelalter veränderten sich die Wirtschafts- und Sozialstrukturen tiefgreifend; Handel und Gewerbe nahmen an Umfang und Bedeutung zu, mit ihnen gewann das (städtische) Bürgertum an Gewicht und wurde zum Movens wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Veränderungen.

      Unter der Landbevölkerung waren zur Zeit der Reformation nur sehr wenige Bauern freie Bauern (d.h. persönlich frei und Eigentümer ihrer Höfe). Die Mehrzahl war feudaler Grundherrschaft unterworfen; lehensfähig (also potentielle Feudalherren) waren neben dem Adel die Kirche (mitsamt Klöstern) sowie seit dem 13. Jahrhundert auch das Patriziat, also die Herrschaftsschicht der Städte. Lehensgegenstand waren Grund und Boden nebst Erträgen, die Abgaben und Steuern der Unfreien sowie sämtliche Herrschafts- und Besitzrechte über diese und das von ihnen verwaltete Gut (einschließlich Polizeirechten und Gerichtsbarkeit).

      Während den Grundherren das Recht am Boden (dominium directum) zustand, erhielten die unfreien Bauern nur ein wirtschaftliches Nutzungsrecht (dominium utile) und waren zu Abgaben (zum Zehnten) und zu Frondiensten verpflichtet; tatsächlich dürfte ihnen allenfalls die Hälfte der Ertrage verblieben sein.

      Es gab indes auch selbstverwaltete Dörfer und Dorfgemeinden (die beispielsweise in der Schweizer Eidgenossenschaft – zusammen mit einigen Städten – als genossenschaftlicher Territorialbund ein Staatengebilde formten, das indes nach dem Schwäbischen Krieg 1499 de facto aus dem deutschen Reichsverband ausschied).

      Wie immer dann, wenn Macht gegen Ohnmacht und Reichtum gegen Armut steht, waren die Methoden der Lehnsherren, ihre Lehen zu begründen oder zu erweitern, nicht gerade zimperlich:

      Fälschungen in Art der Konstantinischen Schenkung (Falsifikat, das auf einer um 800 n. Chr. datierenden Urkunde basiert, wonach Konstantin I. im Jahre 315 Papst Silvester und all seinen Nachfolgern Rom, sämtliche Provinzen Italiens und die gesamte Westhälfte des Römischen Reiches übertragen habe) waren nicht die Ausnahme, vielmehr ein durchaus gängiges Mittel zum Erwerb von Besitztümern: Wollten Bischöfe und Äbte ihren Grundbesitz mehren, ließen sie oft eine Fälschung erstellen, die dann im Archiv „gefunden“ wurde und das angeblich rechtmäßige Eigentum an Ländereien bewies. Mönche


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