Der Geheimbund der 45. Bernhard Wucherer

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Der Geheimbund der 45 - Bernhard Wucherer


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Geister des Weins verzogen haben! Und jetzt verschwinde!«

      Dass das Gespräch von dem Fremden beobachtet worden war, hatten die beiden Männer nicht bemerkt. Dennoch erschien es dem Ortsvorsteher zu viel Verantwortung zu sein, die ihm der Graf aufgebürdet hatte. Als er die Gelegenheit nutzte, um sich die Vorderseite des Amuletts zu betrachten, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Er suchte den Pfarrer, um das gute Teil, und somit auch die Zuständigkeit, an ihn weitergeben zu können. Aber er fand ihn einfach nicht.

      Durch das Hin und Her des Mairs verlor ihn der Unbekannte kurzzeitig aus den Augen.

      »Verdammt; wo hat sich unser Pfaffe nur verkrochen?«, fragte sich Gerold Eberz selbst, während er zur Kirche schlurfte, um dort nachzusehen. Und tatsächlich; der Priester hatte wohl so viel getrunken, dass er auf einer der Kirchenbänke seinen Rausch ausschlafen musste. Weil es keinen Zweck hatte, ihn zu wecken, steckte ihm der Ortsvorsteher kurzerhand das Amulett in eine seiner Jackentaschen. »Ich hole es mir morgen früh wieder!«, sagte er mehr zu sich selbst als zum laut schnarchenden Pfarrer, der vermutlich selig davon träumte, wie er seinen ersten eigenen Gottesdienst in der neuen Kirche gestalten konnte.

      Zufrieden mit sich und seinem Gedanken, das Amulett aus genau demselben Grund weitergegeben und somit geschützt zu haben wie der Graf, ging der Mair zielstrebig zum Festplatz zurück, um sich noch ein Bier zu gönnen oder auch zwei.

      Am nächsten Morgen fand man Gerold Eberz mit durchgeschnittener Kehle und einer Eins in die Stirn geritzt kopfüber an einem Baum hängen.

      »Wo ist mein Amulett?«, interessierte den Grafen offensichtlich mehr als der unnatürliche Tod seines Mairs.

      *

      Anstatt mit Freuden an all das zurückzudenken, was sie gemeinsam geschafft hatten, und sich der gelungenen Feierlichkeiten zu erinnern, befand sich die Bevölkerung von villa Ysinensi noch Wochen später in einer lähmenden Starre. Weil niemand etwas vom wahren Mörder ahnen konnte, verdächtigten sich die Männer so lange gegenseitig des Mordes an ihrem Standesgenossen, bis einer auf den Gedanken gekommen war, dass es der Fremde gewesen sein musste, auf dessen Kutte die gleiche Eins zu sehen gewesen war, wie sie der Mörder in die Stirn des bedauernswerten Mordopfers eingeritzt hatte. Der Grund für die Unruhe im Dorf lag aber auch darin, dass der Graf – allerdings erst, nachdem die Konstanzer Delegation abgereist war – alle Behausungen nach dem Amulett hatte durchsuchen lassen, das fortan mit dem Mord in Verbindung gebracht wurde. Bei der Leibesdurchsuchung war dann einer seiner Wachsoldaten fündig geworden. Der Pfarrer hatte zu diesem Zeitpunkt derart mit seinen Kopfschmerzen zu tun gehabt, dass er nicht darauf gekommen war, die Taschen seiner Jacke selbst abzutasten, bevor dies einer der Soldaten des Grafen tun würde. Somit hatte er immer noch nicht bemerkt, dass er das Amulett bei sich trug.

      Seit dem Tod des Dorfvorstehers war in villa Ysinensi nichts mehr wie es gewesen war. Dennoch musste das Leben weitergehen. Dass Gerolds Witwe mit einer aus ihrer Sicht großzügigen Entschädigung für den Tod ihres Gatten bedacht worden war, rechnete sie dem Grafen hoch an, obwohl das Geld ihren Mann nicht zurückbringen würde. Ihr Sohn Michael schwor aus diesem Anlass heraus dem Grafen ewige Treue.

      *

      Aus der ehedem offenen Siedlung war zwar ein mit einem Zaun umfriedetes Dorf mit eigener Kirche entwachsen, weswegen die Bewohner stolz in eine bessere Zukunft gehen konnten. Die Gedanken aber an das »tragische« Amulett, das ausgerechnet hier in villa Ysinensi ein Opfer gefordert hatte, ließ sie nicht mehr los und würde sie wohl auch noch über Generationen hinweg begleiten. Denn dass es nur das tödliche Zahlenwerk und der bekrönte Leichnam auf dem Amulett gewesen sein konnten, weswegen man den Ortsführer ermordet hatte, war für alle eine klare Sache.

      »Das nächste Mal gibt es sicher zwei Tote!«, mutmaßte Michael Eberz seiner Mutter gegenüber, als sie eines Abends zur letzten Mahlzeit des Tages zusammensaßen und die Mutter gerade das Tischgebet gesprochen hatte.

      »Versündige dich nicht!«, schimpfte die Mutter und bekreuzigte sich.

      »Wie meinst du das?«, mochte hingegen Hulda, eine der Schwestern des neuen Familienoberhauptes wissen.

      »Na ja«, antwortete ihr ältester Bruder. »Drei, vier, fünf … fünfzehn!«

      »Ich habe dir gerade gesagt, dass du dich nicht versündigen sollst!«, schrie ihn die Mutter an und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige, bevor sie erneut das Kreuz schlug und aufstand, um vor dem kleinen Hausaltar für das Seelenheil ihres Sohnes und für die anderen Familienmitglieder zu beten.

      Trauer in der Burg derer von Veringen

      Altshausen – Anno Domini 1065

      Die magische Zahl II

      Kapitel 3

      Das Amulett war im Besitz des Grafen Wolfrad von Altshausen verblieben. Bis zum unseligen Jahr 1065 war es zu einigen familiären Problemen und äußerst merkwürdigen Unglücken gekommen, die im überraschenden Tod des bis dahin vermeintlich kerngesunden Grafen gegipfelt hatten. Zuvor hatte es aber auch noch andere unerklärliche Geschehnisse gegeben. So war bis zum Tod des Grafen gleich mehrmals in der Burg Altshausen eingebrochen und alles durchwühlt worden. Dabei hatte ein Leibdiener des Grafen den Tod gefunden. Weil man ihn mit durchgeschnittener Kehle im Schlafzimmer seines Herrn aufgefunden hatte, waren alle davon ausgegangen, dass er den Grafen hatte schützen wollen und sich todesmutig vor den Einbrecher gestellt hatte.

      Bei seinen Einbrüchen war der Täter raffiniert vorgegangen und hatte immer dann zugeschlagen, wenn der nunmehr allein lebende Graf verreist war. Dies hatte vermuten lassen, dass der Einbrecher Kenntnis über die Reisepläne des Adeligen gehabt hatte. Es musste im engsten Umfeld des Grafen einen Verräter geben oder der Einbrecher war einige Zeit am Hof gewesen und hatte das Verhalten des Hausherrn studiert.

      Aber auch dies war lediglich reine Spekulation gewesen. Sicher war nur, dass irgendjemand irgendetwas gesucht … und augenscheinlich nicht gefunden hatte. Denn bei sorgfältiger Überprüfung nach jedem Einbruch war stets festgestellt worden, dass rein gar nichts gefehlt hatte; weder das Tafelsilber noch der Schmuck der bereits vor dreizehn Jahren verstorbenen Gräfin, geschweige denn wertvolles Interieur, Kunstwerke oder sonst etwas. Und um die schwere Geldschatulle des Grafen wegzuschleppen, hätte es mehrerer Männer bedurft. Außerdem war diese so gut versteckt, dass sie von niemandem hatte gefunden werden können.

      Was also in Herrgotts Namen war für den Einbrecher so wichtig gewesen, dass er einen wehrlosen alten Diener umgebracht und immer wieder das Risiko auf sich genommen hatte, auf frischer Tat ertappt zu werden? Was dies für ihn bedeutet hätte, wäre allen Untertanen des Grafen klar gewesen. Deswegen lag die Vermutung fern, dass es einer der ihren gewesen war. Umso mehr hatte den Burgherrn interessiert, wer die unheimliche Gestalt war, die offensichtlich keinen Respekt vor den hiesigen Gesetzen hatte. Aus diesem Grund, und um den Tod seines Leibdieners zu sühnen, hatte er alles in Bewegung gesetzt, um den Einbrecher auf frischer Tat zu erwischen. Aber trotz der Verdoppelung seiner Wachen und etlicher anderer Vorsichtsmaßnahmen war ihm dies bis zu seinem eigenen Tod nicht gelungen.

      *

      Wegen dieser Vorfälle war die Familie des toten Grafen Wolfrad lange Zeit vor einem Rätsel gestanden. Aber Manegold I., das neue Familienoberhaupt derer von Altshausen, hatte andere Sorgen gehabt; die Beerdigung seines verstorbenen Bruders hatte ebenso vorbereitet werden müssen wie die Neuregelungen der Grafschaft Altshausen-Veringen und der Herrschaft Trauchburg. Bevor Manegold das Erbe seines Bruders ordentlich hatte übernehmen können, hatte Wolfrad sieben Tage lang aufgebahrt werden müssen, was in der Kälte des Winters problemlos ohne allzu große Geruchsentfaltung machbar gewesen war. Während dieser Zeit hatten diejenigen, die ihm am offenen Sarg die letzte Ehre erwiesen hatten, die Gelegenheit gehabt, Einwände gegen die von Wolfrad gewünschte Erbfolge vorzubringen – immerhin war der Erbe kein leiblicher Sohn des Grafen, sondern nur dessen leiblicher Bruder. Da konnten Begehrlichkeiten von Seiten anderer Familienmitglieder aufkommen.

      Obwohl solch familiäre Dinge bisher immer friedlich hatten geklärt werden können, war Vorsicht geboten. In der Burg Altshausen war das »Vetorecht« am offenen Sarg eines


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