Der Geheimbund der 45. Bernhard Wucherer

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Der Geheimbund der 45 - Bernhard Wucherer


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begründete dies damit, dass die Bauern ihren Äckern in diesen kargen Zeiten trotz des guten Bodens zu wenig abzuringen vermochten, um auch noch ordentlich Abgaben zahlen zu können. Den Handwerkern und Kaufleuten hingegen ginge es verhältnismäßig gut.

      »Dafür können Wir doch nichts! Das ist von Gott so gewollt«, entgegnete der Vater fast trotzig.

      »Aber Ihr seid der Grundherr, mein Gemahl!«, mischte sich nun Hiltrud ins Gespräch, während sie an Hermanns Gewandung herumzupfte. Obwohl sie wissen sollte, dass Frauen zu schweigen hatten, wenn sich Männer unterhielten, wagte sie es ungeniert, sich am Gespräch zu beteiligen. Wegen ihres Sohnes, der in einem eigens für ihn angefertigten Spezialstuhl saß, hatte der Graf es ihr gestattet, bei diesem Gespräch mit dabei zu sein, damit sie sich um ihn kümmern konnte.

      »Mutter hat recht!«, pflichtete Hermann ihr bei. »Es liegt allein an Euch, etwas dagegen zu tun!«

      Der Graf stöhnte auf. »Aber was? Das ist hier die Frage.«

      »Welche Bauern sind denn am aufmüpfigsten?«, interessierte indessen den Priester, während er sich zum dritten Mal Wein in den Becher schütten ließ.

      Der Graf brauchte nicht lange zu überlegen, um zu antworten, dass es die ständig nörgelnde Bevölkerung von villa Ysinensi sei, die ihm arg zu schaffen mache. »… aber gleichzeitig sind die Menschen dort auch die gottesfürchtigsten!«

      »Das ist gut!«, sprudelte es aus Hermann heraus, während sich auch schon ein breites Grinsen über sein schmales und blasses Gesicht zog.

      »Selbstverständlich ist das gut!«, wunderte sich der Altshausener Geistliche über die Feststellung seines klösterlichen Gesinnungsbruders.

      Hermann schwieg ein Weilchen, dann bemühte er sich um Worte, die allerdings nur schwerlich über seine Lippen kamen: »Ich wüsste da schon etwas!« Dabei rang er hörbar um einen triumphierend klingenden Tonfall.

      Alle horchten auf, selbst der Priester hielt mit seiner ständigen Kauerei inne. Sämtliche Blicke waren auf den weisen Kleriker vom Mare Brigantium gerichtet, der es offenbar genoss, seinem ansonsten »allwissenden« Vater einen guten Rat erteilen zu dürfen.

      »Spendiert Euren dortigen Untertanen einfach ein Gotteshaus, das wird ihnen die Münder stopfen und sie aus Dankbarkeit Euch gegenüber wieder gefügiger machen!«

      »Eine Kirche?«, wunderte sich Manegold, während sich Wolfrad bereits Sorgen darüber machte, was dies kosten würde.

      »Ja!«, antwortete Hermann und ließ auch schon seine weiteren Gedanken hierzu laut werden: »Und wir weihen sie dem heiligen Apostel Jakobus dem Älteren und dem heiligen Märtyrer Georg! Es muss ja nichts Großes sein!« Mühsam sprach er weiter: »Eine kleine Hütte aus gestrickten Balken vielleicht. Wenn Ihr Euch ganz besonders großzügig zeigen wollt, sogar mit einem kleinen Turm, der gleichzeitig als Warnturm dienen könnte. Die Glocke dazu kann ich stiften, weil ich weiß, dass in einem Schopf meines Klosters eine herumliegt, die nicht mehr gebraucht wird, … glaube ich zumindest.«

      *

      Hermanns Rechnung war aufgegangen: Als sein Vater Wochen später nach mehreren Besichtigungen und Planungsgesprächen mit seinem Baumeister, den Priestern der Umgebung und dem Ortsvorsteher von villa Ysinensi die dortige Bevölkerung zusammenrief, um sie von seinem Vorhaben in Kenntnis zu setzen, war die Freude übergroß. Um an den Kirchenbau gehen zu können, waren allerdings nicht nur Handlanger, sondern auch fachkundige Arbeiter nötig. Aber die waren in dem kleinen Dorf Mangelware.

      »Auf keinen Fall setze ich hier meinen Hofbaumeister und die teuren Handwerker aus Altshausen oder aus Trauchburg ein!«, gab der Graf dem Mair die klare Marschrichtung vor und sollte – wie konnte es anders sein – damit durchkommen.

      Weil es in villa Ysinensi keinen einzigen Bauarbeiter gab, der dieses Handwerk richtig gelernt hatte, wurde der Sargtischler Gerold Eberz kurzerhand zum Vorarbeiter über diejenigen Männer gemacht, mit denen er schon den Dorfzaun errichtet und mit zwei Toren versehen hatte.

      »Stellt diesem Tischler irgendetwas in Aussicht! Dann wird er schon spuren«, empfahl der Graf seinem Geldverwalter, von dem alle wussten, dass ihm Eigennutz vor Gemeinwohl ging.

      Dass der Graf ausgerechnet diesen hinterlistigen Denunzianten auf seine Geldschatulle gesetzt hatte, war kein Zufall gewesen. »Altshausen ist weit weg von villa Ysinensi«, hatte er ihm bereits vor dessen Amtseinführung in verschwörerischem Tonfall gesagt und ergänzt, dass er jemanden bräuchte, der ständig Informationen für ihn einholen würde. Auch wenn der Graf den kleinen dicken Mann nicht mochte, drückte er ihm zu dessen Freude ein paar Münzen in die verschwitzten Hände. Dass Eberz und seine Helfer keinen Pfennig davon zu sehen bekommen würden und sich der Geldverwalter dieses Geld mit dem ebenfalls hinterlistigen Mair von villa Ysinensi teilen würde, war ihm dabei klar. Hauptsache, der Kirchenbau würde so gut vorangehen, dass er das Bistum Konstanz bald über die Fertigstellung informieren konnte.

      Es stellte sich rasch heraus, dass die Wahl des Grafen richtig gewesen war; denn Gerold Eberz verstand es offensichtlich nicht nur, meisterlich mit Holz umzugehen, sondern auch Menschen zu führen. Ohne einen Plan lesen zu können, gab er seinen Männern klare Anweisungen in Bezug auf das Fällen und Bearbeiten der von ihm und vom gräflichen Revierförster sorgsam ausgewählten Bäume, die er an den vier Ecken der Kirche so verzapfte, dass das Gebäude mit zunehmender Balkenhöhe stabiler wurde.

      Die Arbeit ging gut voran, es hatte keine unangenehmen Vorkommnisse und keinen einzigen nennenswerten Unfall gegeben. Alles lief wie geplant. Es schien fast so, als wenn dieser Kirchenbau unter einem guten Stern stehen würde. Als sich aber eines Tages Rabenvögel auf den umliegenden Bäumen niederließen, um das Geschehen zu beobachten, kam Eberz wieder das »Dutzend des Teufels« in den Sinn. »Heilige Maria Mutter Gottes, erbarm dich unser«, flüsterte er von den anderen unbemerkt in sich hinein, während er hastig das Kreuz schlug. Danach ging ihm die Arbeit wieder ein wenig leichter von der Hand.

      Als sie eine gewisse Höhe erreicht hatten, trat Eberz mit seinem Sohn Michael und einem anderen seiner Arbeiter in die Raummitte, streckte beide Arme von sich und sagte: »An diese Stellen hier kommt je ein Fenster, zwei Ellen im Quadrat groß. Dann trat er in den Altarraum vor, den er wie die Apsis einer »richtigen« Kirche etwas schmäler gehalten hatte als den Kirchenraum, der immerhin dreißig Fuß in der Breite maß, während die Länge des Hauptraumes stolze fünfzig Fuß betrug. Das hieß, dass sich zu beiden Seiten eines Mittelgangs jeweils sieben Sitzreihen mit je sieben Plätzen würden einbauen lassen. Dass es genau sieben sein mussten, hatte sich Hermannus Contractus gewünscht, weil dies die heilige Zahl schlechthin war.

      »Diesen Teil hier …«, Eberz zeigte auf den festgestampften Lehmboden des Chorraumes, »… erhöhen wir um zwei Treppenstufen! Dann schaut das Ganze imposanter aus und der Pfaffe, der hoffentlich bald kommen wird, kann sich über uns erheben.« Spott schwang in seiner Stimme mit, obwohl er es mit seiner Arbeit im Dienste des Herrn sehr ernst und genau nahm.

      Dafür, dass sie das ganze Frühjahr und über den Sommer hinweg bis in den Herbst hinein an der Kirche gefront hatten, waren sie von ihrem Grundherrn außerordentlich gut mit Lebensmitteln für sich selbst und für ihre Familien versorgt worden. Ansonsten hatte der Graf lediglich das Holz für den Kirchenbau gestiftet und sich zwischendurch persönlich nach dem Fortgang der Arbeiten erkundigt. Alles andere war in den Händen von Gerold Eberz und seinen Männern gelegen. Weil sie wussten, dass am Schluss allein der »wohledle« Spender, der Mair und der neue Pfarrer gut dastehen, sie selbst aber keines Lobes gewürdigt würden, gab es immer wieder Situationen, in denen der eine oder andere die Arbeit niederlegen wollte. Aber dem von allen respektierten Vorarbeiter war es immer wieder gelungen, seine maulenden Arbeiter zur Vernunft zu bringen. »Ihr und eure Familien habt doch noch nie so viel zu fressen bekommen wie jetzt, oder?«, hatte er dabei nicht nur einmal als Argument ins Feld geführt und die Männer damit zu Höchstleistungen angetrieben. Geholfen hatte ihm dabei, dass er die Familienväter unter ihnen heimlich auch Holz für ihre eigenen Behausungen hatte schlagen lassen, während er selbst mit dem Abfallholz zufrieden gewesen war. Dabei hatten alle gewusst, dass Eberz damit sein eigenes Todesurteil unterschreiben würde, falls sie denunziert oder beim Holzdiebstahl


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