H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

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H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


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ich mir, kön­ne es ja gar nicht ge­ben.

      Ich bin viel­leicht ein Mann von ganz be­son­de­ren Stim­mun­gen. Ich weiß nicht, wie weit mei­ne Er­fah­run­gen all­ge­mei­ner Na­tur sind. Ich habe Zei­ten, in de­nen ich von den selt­sams­ten Emp­fin­dun­gen heim­ge­sucht wer­de, als sei ich gleich­sam von mir selbst und mei­ner Um­ge­bung los­ge­löst. Mir ist, als be­ob­ach­te­te ich al­les von au­ßen her, aus ei­ner un­fass­lich großen Ent­fer­nung, au­ßer­halb der Zeit, au­ßer­halb des Rau­mes, jen­seits von al­lem, was be­drückt und trau­rig macht. Die­se Emp­fin­dung war in je­ner Nacht sehr stark. Das war ein an­de­rer Teil mei­nes Trau­mes.

      Aber was mich ver­wirr­te, war der schrei­en­de Wi­der­spruch zwi­schen der Hei­ter­keit, die mei­ne Au­gen sa­hen und dem pfeil­schnel­len Tod, der dort drü­ben, nicht zwei Mei­len ent­fernt, um­her­ras­te. Von den Gas­wer­ken her scholl ge­schäf­ti­ger Lärm, und die elek­tri­schen Lam­pen strahl­ten hell. Als ich zu der plau­dern­den Men­schen­grup­pe kam, mach­te ich Halt.

      »Was gibts Neu­es auf der Wei­de?«, frag­te ich.

      Zwei Män­ner und eine Frau stan­den beim Tor.

      »Was?«, rief ei­ner der Män­ner, sich mir zu­wen­dend.

      »Was es Neu­es auf der Wei­de gibt?«, wie­der­hol­te ich.

      »Ja, sind Sie denn nicht ge­ra­de dort ge­we­sen?«, frag­ten die Män­ner.

      »Die Leu­te schei­nen ja ganz ver­rückt zu sein we­gen der Wei­de«, ließ sich jetzt die Frau vom Flur her ver­neh­men. »Was ist denn ei­gent­lich los?«

      »Ha­ben Sie denn nichts von den Mars­leu­ten ge­hört?«, frag­te ich. »Von den Ge­schöp­fen vom Stern Mars?«

      »Mehr als ge­nug«, sag­te die Frau. »Dan­ke«, und alle drei lach­ten.

      Ich fühl­te mich be­schämt und ver­är­gert. Ich ver­such­te, ih­nen mit­zu­tei­len, was ich ge­se­hen hat­te und konn­te es nicht. Sie lach­ten im­mer nur über mei­ne ge­bro­che­nen Sät­ze.

      »Ihr wer­det noch mehr da­von hö­ren«, sag­te ich und ging fort, mei­nem Haus zu.

      Schon im Haus­flur er­schreck­te ich mei­ne Frau durch mei­ne ein­ge­fal­le­nen Züge. Ich ging in das Spei­se­zim­mer, setz­te mich, trank et­was Wein, und so wie ich mich et­was ge­sam­melt hat­te, er­zähl­te ich ihr von den Din­gen, die ich ge­se­hen hat­te. Das Es­sen, das aus kal­ten Ge­rich­ten be­stand, war schon auf­ge­tra­gen, blieb aber un­be­rührt auf dem Ti­sche, wäh­rend ich al­les er­zähl­te.

      »In ei­nem kann ich Dich be­ru­hi­gen«, sag­te ich, um die Furcht, die ich ge­weckt hat­te, wie­der ab­zu­schwä­chen. »Es sind die plumps­ten Ge­schöp­fe, die ich je krie­chen sah. Sie mö­gen die Gru­be be­setzt hal­ten und alle Leu­te, die ih­nen nahe kom­men, um­brin­gen; aber sie kön­nen nicht aus ihr her­aus … Aber scheuß­lich sind sie!«

      »Bit­te, nicht!«,sag­te mei­ne Frau. Sie zog ihre Brau­en zu­sam­men und leg­te ihre Hand auf die mei­ne.

      »Der arme Ogil­vy!«,sag­te ich. »Zu den­ken, dass er da drau­ßen tot liegt!«

      Mei­ne Frau we­nigs­tens fand mei­ne Er­leb­nis­se nicht un­glaub­wür­dig. Als ich sah, wie To­ten­bläs­se ihr Ge­sicht be­deck­te, brach ich plötz­lich ab.

      »Sie mö­gen auch hier­her kom­men«, sag­te sie ein ums an­de­re Mal.

      Ich bat sie Wein zu trin­ken, und be­müh­te mich, sie zu be­ru­hi­gen.

      »Sie kön­nen sich ja kaum be­we­gen«, sag­te ich.

      Ich be­gann nun, sie und mich selbst da­durch zu trös­ten, dass ich al­les das wie­der­hol­te, was Ogil­vy mir über die Un­mög­lich­keit ei­nes dau­ern­den Auf­ent­hal­tes der Mars­be­woh­ner auf der Erde ge­sagt hat­te. Be­son­de­res Ge­wicht leg­te ich auf die Schwie­rig­kei­ten der Gra­vi­ta­ti­on. Auf der Ober­flä­che der Erde ist die Kraft der Schwe­re drei­mal so groß, wie auf der des Mars. Ein Mars­be­woh­ner wür­de da­her hier drei­mal so viel wie­gen wie auf dem Mars, sei­ne Mus­kel­kraft aber wür­de gleich blei­ben. Sein ei­ge­ner Kör­per wür­de ihn da­her drücken wie ein Blei­ge­wicht. Wirk­lich war das die all­ge­mei­ne An­sicht. So­wohl die »Ti­mes« wie der »Dai­ly Te­le­graph« un­ter an­de­ren Blät­tern wie­sen am nächs­ten Mor­gen nach­drück­lich dar­auf hin. Bei­de aber über­sa­hen, ge­nau so wie ich, zwei die­se Tat­sa­chen of­fen­bar um­sto­ßen­de Er­schei­nun­gen.

      Wie wir jetzt wis­sen, ent­hält die At­mo­sphä­re der Erde weit mehr Sau­er­stoff oder, an­ders aus­ge­drückt, weit we­ni­ger Ar­gon als die des Mars. Die kräf­ti­gen­den Ein­flüs­se die­ses Über­ma­ßes von Sau­er­stoff auf die Mars­be­woh­ner tru­gen un­streit­bar viel dazu bei, der er­höh­ten Schwe­re ih­rer Kör­per das Gleich­ge­wicht zu hal­ten. Und in zwei­ter Li­nie über­sa­hen wir die Tat­sa­che, dass so be­trächt­li­che In­tel­li­gen­zen, wie die Mars­leu­te sie be­sa­ßen, voll­kom­men be­fä­higt wa­ren, im Not­fall sich ohne je­den Mus­ke­l­auf­wand zu be­hel­fen.

      Zu je­ner Zeit aber er­wog ich die­se Punk­te nicht; und schei­ter­ten mei­ne Be­rech­nun­gen völ­lig an den Fä­hig­kei­ten je­ner Ein­dring­lin­ge. Durch die Trös­tun­gen mei­ner ei­ge­nen Ta­fel, durch Wein und Spei­se, durch die Not­wen­dig­keit, mei­ne Frau zu be­ru­hi­gen, wur­de ich selbst nach und nach be­herz­ter und sorg­lo­ser.

      »Sie ha­ben eine große Dumm­heit be­gan­gen« sag­te ich, mein Wein­glas er­grei­fend, »sie sind ge­fähr­lich, weil sie selbst aus Furcht ganz toll ge­wor­den sind. Vi­el­leicht er­war­te­ten sie nicht, hier le­ben­de We­sen zu fin­den, ge­wiss aber nicht in­tel­li­gen­te Le­be­we­sen. Im schlimms­ten Fall wirft man eine Bom­be in die Gru­be. Die wird sie alle tö­ten.«

      Die un­ge­heue­re Auf­re­gung über die letz­ten Er­eig­nis­se hat­te mei­ne Auf­fas­sungs­kraft ohne Zwei­fel in einen Zu­stand großer Reiz­bar­keit ver­setzt. Ich er­in­ne­re mich je­ner Mahl­zeit noch jetzt mit großer Deut­lich­keit. Das lieb­li­che und ängst­li­che Ge­sicht mei­ner Frau, wie es un­ter dem ro­sa­far­be­nen Lam­pen­schirm nach mir blick­te, das wei­ße Tisch­tuch mit den sil­ber­nen und glä­ser­nen Gerät­schaf­ten — denn in je­nen Ta­gen er­laub­ten sich selbst phi­lo­so­phi­sche Schrift­stel­ler manch klei­nen Lu­xus — der pur­pur­ro­te Wein in mei­nem Glas, das al­les lebt in fo­to­gra­fi­scher Treue in mir. Am Ende des Ti­sches saß ich selbst, spiel­te mit mei­ner Zi­ga­ret­te, be­klag­te Ogil­vys Übe­rei­fer, und ver­wünsch­te die kurz­sich­ti­ge Furcht­sam­keit der Mars­leu­te.

      VIII. Freitag Nacht

      Von al­len den son­der­ba­ren und er­staun­li­chen Din­gen, die sich an je­nem Frei­tag zu­tru­gen, war für mei­ne Be­grif­fe das merk­wür­digs­te die Ver­qui­ckung der All­tags­ge­wohn­hei­ten un­se­rer ge­sell­schaft­li­chen Ord­nung mit den ers­ten An­zei­chen je­ner Rei­he voll Er­eig­nis­sen, wel­che die­se ge­sell­schaft­li­che Ord­nung über den Hau­fen wer­fen soll­ten. Hät­te man am Frei­tag Nacht mit ei­nem Zir­kel einen Kreis von fünf Mei­len im Halb­mes­ser rund um die Sand­gru­ben in Wo­king ge­zo­gen, so hät­te man — da­von bin ich über­zeugt — au­ßer etwa den An­ge­hö­ri­gen Mr. Stents oder der paar Rad­fah­rer, oder der Lon­do­ner, die tot auf der Wei­de la­gen, kein mensch­li­ches We­sen au­ßer­halb die­ses Krei­ses


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