H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells
Читать онлайн книгу.Luft wieder warm wird, und dann wird dies Glas klar werden. Bis dahin können wir nichts tun. Hier ist jetzt Nacht; wir müssen warten, bis der Tag uns einholt. Unterdes – spüren Sie keinen Hunger?«
Eine Zeit lang antwortete ich ihm nicht, sondern saß da und wütete. Ich wandte mich nur widerstrebend von der verschmierten Glasstelle ab und starrte ihm ins Gesicht. »Ja«, sagte ich, »ich bin hungrig. Ich fühle mich irgendwie ungeheuer enttäuscht. Ich hatte erwartet – ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber dies nicht.«
Ich nahm meine Philosophie zusammen, schlang meine Decke von neuem um mich, setzte mich wieder auf den Ballen und begann meine erste Mahlzeit auf dem Mond. Ich glaube nicht, dass ich sie vollendet habe – ich weiß nicht mehr. Alsbald kam, erst stellenweise, dann rasch in weitere Flächen auseinanderlaufend, die Klärung des Glases, kam die Aufhebung des Nebelschleiers, der unsern Augen die Mondwelt verborgen hatte.
Wir spähten auf die Landschaft des Mondes hinaus.
7 – Sonnenaufgang auf dem Mond
Wie wir sie zuerst erblickten, war es die wildeste und trostloseste Szene. Wir lagen in einem ungeheuren Amphitheater, auf einer weiten, kreisrunden Ebene, dem Boden des Riesenkraters. Seine klippenartigen Wände schlossen uns auf allen Seiten ein. Von der westlichen her fiel das Licht der unsichtbaren Sonne darauf und reichte bis hinab zum Fuße der Klippe; sie zeigte einen wirren Hang schmutzig grauen Felsens, der hier und dort mit Bänken und Rissen voll Schnee gespickt war. Das war vielleicht ein Dutzend Meilen entfernt, aber anfangs verminderte keine dazwischenliegende Atmosphäre den bis ins kleinste Detail gehenden Glanz, mit dem uns diese Dinge anstarrten. Sie standen klar und blendend vor einem Hintergrunde gestirnter Schwärze, die unsern irdischen Augen eher wie ein glorreich flitterbesäter Samtvorhang erschien, als wie die Weite des Himmels.
Die östliche Klippe war zunächst nur ein sternenloser Saum zur steinigen Kuppel. Kein rosiges Licht, keine kriechende Blässe verkündete den beginnenden Tag. Nur die Corona, das Zodiakallicht, ein riesiger, kegelförmiger, leuchtender Nebel, der zum Glanz des Morgensterns emporzeigte, sprach uns von der unmittelbaren Nähe der Sonne.
Was an Licht um uns war, wurde von den westlichen Klippen reflektiert. Es zeigte eine riesige gewellte Ebene, kalt und grau, ein Grau, das sich nach Osten hin in das absolute Rabenschwarz des Klippenschattens vertiefte. Unzählige gerundete, graue Gipfel, geisterhafte Kegel, Wogen schneeiger Masse, die Kamm hinter Kamm in die ferne Finsternis erstreckten, gaben uns den ersten Wink über die Entfernung der Kraterwand. Diese Kegel sahen aus wie Schnee. Zur Zeit dachte ich, es sei Schnee. Aber das waren sie nicht – es waren Hügel und Massen gefrorener Luft!
So war es erst, und dann kam, plötzlich, rasch und verblüffend, der Mondtag.
Das Sonnenlicht war die Klippe hinabgekrochen, es berührte die hingewehten Massen an ihrer Basis und kam alsbald mit Siebenmeilenstiefeln auf uns zugeschritten. Die ferne Klippe schien zu schwanken und zu beben, und bei der Berührung mit dem Sonnenaufgang strömte ein Qualm grauen Dunstes vom Kraterboden empor, Wirbel und Wolken und treibende Gespenster eines Grau, immer dichter und breiter und enger, bis zuletzt die ganze westliche Ebene wie ein nasses Tuch dampfte, das man vors Feuer hält, und bis die westlichen Klippen nur noch ein gebrochener Glanz dahinter waren.
»Das ist Luft«, sagte Cavor. »Es muss Luft sein – sonst würde es nicht so aufsteigen – bei der bloßen Berührung mit einem Sonnenstrahl. Und mit dieser Geschwindigkeit …«
Er blickte nach oben. »Sehen Sie!«, sagte er.
»Was?«, fragte ich.
»Am Himmel. Schon. Auf der Schwärze – ein leichter Hauch von Blau. Sehen Sie! Die Sterne scheinen größer. Und die kleinen und all die dunklen Nebelmassen, die wir im leeren Raum sahen – das ist verborgen!«
Schnell und stetig nahte uns der Tag. Ein grauer Hügel nach dem anderen wurde von der Glut erfasst und in eine rauchende, weiße Dichtigkeit verwandelt. Schließlich war westlich von uns nichts mehr vorhanden als eine Bank aufsteigenden Nebels, der nahende Aufruhr und Aufstieg wolkigen Dunstes. Die ferne Klippe wich weiter und weiter zurück, hatte durch den Wirbel geragt und sich verändert, und war zuletzt in seinem Wirrwarr untergegangen und verschwunden.
Näher kam diese dampfende Wand, näher und näher, und sie kam so schnell wie der Schatten einer Wolke vor dem südwestlichen Winde. Um uns erhob sich ein dünner, vorgreifender Nebel.
Cavor packte meinen Arm.
»Was?«, sagte ich.
»Sehen Sie! Der Sonnenaufgang! Die Sonne!«
Er drehte mich um und zeigte auf die Braue der östlichen Klippe, die über dem Nebel um uns aufragte, kaum heller als das Dunkel des Himmels. Aber jetzt war ihre Linie durch seltsame rötliche Gestalten markiert, Zungen scharlachner Flammen, die sich wanden und tanzten. Ich meinte, es müssten Dunstspiralen sein, die vom Licht gefasst waren und diesen Kamm feuriger Zungen gegen den Himmel bildeten, aber in Wirklichkeit waren es die Sonnenauswüchse, die ich sah, eine Feuerkrone um die Sonne, die irdischen Augen durch unsern atmosphärischen Schleier auf ewig verborgen ist.
Und dann – die Sonne!
Stetig, unvermeidlich kam eine glänzende Linie, kam ein dünner Rand unerträglicher Glut, der runde Gestalt annahm, ein Bogen wurde, ein blendendes Szepter wurde, und einen Hitzstrahl auf uns entsandte, als wäre es ein Speer.
Und mit diesem Glühen kam ein Schall, der erste Schall, der uns von draußen erreichte, seit wir die Erde verlassen hatten, ein Zischen und Rascheln, das stürmische Schleifen des Luftgewandes im vorwärtseilenden Tage. Und mit dem Schall und dem Licht zugleich legte sich die Sphäre um, und blind und geblendet taumelten wir hilflos gegeneinander. Sie legte sich wieder um, und das Zischen wurde lauter. Ich hatte die Augen gewaltsam geschlossen und machte plumpe Anstrengungen, mir den Kopf mit meiner Decke zu verhüllen, und dieser zweite Stoß warf mich hilflos von den Beinen. Ich fiel gegen den Ballen, und als ich die Augen öffnete, sah ich einen Moment die Luft gerade außerhalb unseres Glases. Sie schmolz – es war ein Kochen – wie Schnee, in den man eine rotglühende Stange wirft. Was feste Luft gewesen war, wurde plötzlich bei der Berührung mit der Sonne ein Brei, ein Schlamm, eine schmutzige Flüssigkeit, die zu Gas verzischte und kochte.
Es folgte ein noch gewaltsamerer Wirbel der Atmosphäre, und wir hatten einander gepackt. Im nächsten Moment wurden wir wieder herumgeschleudert. Wir gingen kopfüber