H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells
Читать онлайн книгу.Einer nach dem anderen, den ganzen, sonnenbeleuchteten Hang hinunter barsten und spalteten sich diese kleinen braunen Körper wie Samenschoten, wie Fruchthülsen; öffneten gierige Münder, die das Licht und die Wärme eintranken, die von der neu erstandenen Sonne in einer Kaskade niederströmten.
Mit jedem Moment sprangen mehr von diesen Samenmänteln, und während sie das noch taten, überfluteten die schwellenden Pioniere ihre durch den Riss erweiterten Samenhülsen und traten in das zweite Wachstumstadium über. Mit stetiger Sicherheit, rascher Überlegung entsandten diese erstaunlichen Samen eine kleine Wurzel in die Erde hinab, und eine wunderliche, bündelartige kleine Knospe brach in die Luft empor. In kurzer Zeit war der ganze Hang mit winzigen Pflänzchen bedeckt, die in der Sonnenglut auf Wache standen.
Sie blieben nicht lange stehen. Die bündelartigen Knospen schwellten und spannten sich und öffneten sich mit einem Ruck und warfen eine Krone kleiner, scharfer Spitzen aus, entfalteten einen Quirl winziger, spitziger, bräunlicher Blätter, die rapid länger wurden, sichtlich länger wurden, wie wir sie beobachteten. Die Bewegung war langsamer als die irgendeines Tiers, schneller als die irgendeiner Pflanze, die ich je zuvor gesehen habe. Wie kann ich es klar machen – wie dieses Wachstum vor sich ging? Die Blattspitzen wuchsen so, dass sie sich vorwärts bewegten, während wir sie noch anblickten. Die braune Samenhülse welkte und wurde mit gleicher Geschwindigkeit absorbiert. Haben Sie je an einem kalten Tage ein Thermometer in die Hand genommen und den dünnen Quecksilberfaden im Rohr hochkriechen sehen? So wuchsen diese Mondpflanzen.
In ein paar Minuten, wie es schien, waren die Knospen der entwickeltsten dieser Pflanzen zu einem Stiel geworden und entfalteten sogar schon einen zweiten Blätterquirl, und der ganze Hang, der noch eben als eine leblose Strecke der Streu erschienen war, war jetzt dunkel von dem olivgrünen Laub behaarter Spitzen, die unter der Wucht ihres Wachstums schwankten.
Ich drehte mich um, und siehe! am oberen Rand eines östlichen Felsens entlang schwankte und beugte sich, dunkel gegen den blendenden Schimmer der Sonne ein ähnlicher Saum in kaum weniger entwickeltem Zustand. Und hinter diesem Saum stand die Silhouette einer Pflanzenmasse, die sich plump wie ein Kaktus verästelte und sichtlich schwoll, schwoll wie eine Blase, die sich mit Luft füllt.
Dann entdeckte ich auch westlich, dass sich eine zweite solche erweiterte Gestalt über dem Buschwerk erhob. Aber hier fiel das Licht auf die glatten Flächen, und ich konnte sehen, dass ihre Farbe ein lebhaftes Orange war. Sie stieg, während man sie beobachtete; wenn man eine Minute fort und dann wieder hinblickte, hatte ihr Umriss sich verändert; sie entsandte stumpfe, stämmige Äste, bis sie in kurzer Zeit wie ein Korallenwuchs von vielen Fuß Höhe dastand. Mit solchem Wachstum verglichen, wäre der irdische Staubpilz, der bisweilen in einer einzigen Nacht einen Fuß an Durchmesser gewinnt, ein hoffnungsloser Faulpelz. Aber der Staubpilz wächst auch gegen einen Gravitationszug, der sechsmal so stark ist wie der des Mondes. Dahinter strebte aus Rinnen und Flächen, die uns verborgen gewesen waren, aber nicht der lebenden Sonne, ein stachliger Bart spitziger und fleischiger Vegetation über Riffe und Bänke glänzenden Felsens in unser Gesichtsfeld empor und eilte im Aufruhr, den kurzen Tag auszunutzen, in dem sie blühen und Frucht tragen und säen und wieder sterben muss. Es war wie ein Wunder, dies Wachstum. So, muss man sich vorstellen, erstanden die Bäume und Pflanzen bei der Schöpfung und bedeckten die Öde der neugeschaffenen Erde.
Man stelle sich das vor! Man stelle sich diesen Sonnenaufgang vor! Die Auferstehung der gefrorenen Luft, das Sich-Regen und Beleben des Bodens, und dann dieses stille Aufstehen der Vegetation, dieses unirdische Emporschießen der Fleischigkeit und der Stacheln. Man denke sich das alles von einem Glanz erhellt, der das intensivste Sonnenlicht der Erde würde wässerig und schwach erscheinen lassen. Und doch zögerten noch um diesen bewegten Dschungel, wo nur Schatten lag, Bänke bläulichen Schnees. Und um das Bild unseres Eindrucks vollständig zu haben, muss man berücksichtigen, dass wir das alles durch ein dickes, gebogenes Glas erblickten, verzerrt, wie die Dinge durch Linsen verzerrt werden, scharf nur in der Mitte des Bildes, und da sehr hell, und nach den Rändern zu vergrößert und unwirklich.
9 – Das Kundschaftern beginnt
Wir hörten auf zu spähen. Wir wandten uns einander zu, denselben Gedanken, dieselbe Frage in den Augen. Damit diese Pflanzen wachsen konnten, musste Luft da sein, wenn auch noch so verdünnte Luft, die auch wir würden atmen können.
»Das Einsteigeloch?«, sagte ich.
»Ja!«, sagte Cavor, »wenn es Luft ist, was wir sehen!«
»In kurzem«, sagte ich, »werden diese Pflanzen so hoch sein wie wir. Wenn nun – wenn nun schließlich aber – – Ist es sicher? Woher wissen Sie, dass das Zeug Luft ist? Es kann Stickstoff sein – es kann sogar Kohlensäure sein!«
»Das ist leicht«, sagte er und machte Anstalt, es zu beweisen. Er zog ein großes Stück zerknüllten Papiers aus dem Ballen, entzündete es und warf es rasch durch die Ventilklappe hinaus. Ich neigte mich vor und spähte durch das dicke Glas, dass sie draußen erschiene, diese kleine Flamme, von deren Zeugnis soviel abhing.
Ich sah das Papier fallen und leicht auf dem Schnee liegen. Die rosige Flamme des Brennens verschwand. Einen Moment schien sie erloschen zu sein. Und dann sah ich eine kleine blaue Zunge am Rand des Papiers, die zitterte und kroch und sich verbreitete!
Ruhig verkohlte und verschrumpfte der ganze Bogen, außer, wo er in unmittelbarer Berührung mit dem Schnee lag, und er sandte einen zitternden Rauchfaden empor. Mir blieb kein Zweifel; die Atmosphäre des Mondes war entweder reiner Sauerstoff oder Luft und also imstande – wenn nicht die Dichtigkeit zu gering war – unser fremdes Leben zu erhalten. Wir konnten auftauchen – und leben!
Ich setzte mich hin, die Beine auf beiden Seiten des Einsteigeloches, und machte Anstalt, es aufzuschrauben, aber Cavor unterbrach mich. Er machte darauf aufmerksam, wenn draußen auch sicherlich eine sauerstoffhaltige Atmosphäre vorhanden sei, so könne sie doch noch so dünn sein, dass sie uns schwer schädigen müsste. Er erinnerte mich an die Bergkrankheit und an die Blutung, die die Luftschiffer oft befällt, wenn sie zu schnell gestiegen sind, und er brachte einige Zeit damit zu, dass er ein ekelhaft schmeckendes Getränk bereitete, und er bestand darauf, dass ich davon nahm. Ich fühlte mich nachher ein wenig taub, sonst aber hatte es keine Wirkung auf mich. Dann erlaubte er mir, mit dem Aufschrauben zu beginnen.
Bald war der Glasverschluss des Einsteigelochs