H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

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H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


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wel­cher Rich­tung sol­len wir ge­hen?«

      Er zö­ger­te. Eine in­ten­si­ve Über­zeu­gung von der Ge­gen­wart von We­sen, von un­sicht­ba­ren Din­gen um uns und in un­se­rer Nähe be­herrsch­te un­se­ren Geist. Was konn­te es sein? Wo moch­ten wir sein? War die­se dür­re Ein­öde, die wech­selnd ge­fro­ren und ver­sengt wur­de, nur die äu­ße­re Rin­de und Mas­ke ei­ner un­ter­ir­di­schen Welt? Und wenn, wel­cher Art von Welt? Wel­che Art Be­woh­ner konn­te sie nicht plötz­lich auf uns aus­spei­en!

      Und dann stach in die schmer­zen­de Stil­le hin­ein, leb­haft und plötz­lich wie ein un­er­war­te­ter Don­ner­schlag, ein Ge­klirr und ein Ras­seln hin­ein, als wä­ren plötz­lich große me­tal­le­ne Tore auf­ge­sto­ßen.

      Das un­ter­brach un­se­re Schrit­te. Wir stan­den still und starr­ten hilf­los. Dann stahl Ca­vor sich auf mich zu.

      »Ich ver­ste­he das nicht!«, flüs­ter­te er mir nah am Ge­sicht. Er schwenk­te die Hand un­be­stimmt nach dem Him­mel hin – die un­be­stimm­te An­deu­tung noch un­be­stimm­te­rer Ge­dan­ken.

      »Ein Ver­steck! Wenn ir­gend et­was käme …«

      Ich blick­te um uns. Ich nick­te ihm zu­stim­mend mit dem Kop­fe zu.

      Wir bra­chen wie­der auf und be­weg­ten uns ver­stoh­len mit den über­trie­be­nen Vor­sichts­maß­re­geln ge­gen ein Geräusch. Wir gin­gen auf ein Ge­strüpp­dickicht zu. Ein Geras­sel, wie wenn man Häm­mer um einen Kes­sel schlägt, be­schleu­nig­te un­se­re Schrit­te. »Wir müs­sen krie­chen«, flüs­ter­te Ca­vor.

      Die un­te­ren Blät­ter der Ba­jo­nett­pflan­zen, die schon von den jün­ge­ren dar­über be­schat­tet wur­den, be­gan­nen zu wel­ken und zu ver­schrump­fen, so­dass wir uns zwi­schen den di­cker wer­den­den Stäm­men ohne erns­ten Scha­den durch­ar­bei­ten konn­ten. Auf einen Stich ins Ge­sicht oder in den Arm ach­te­ten wir nicht. Im Her­zen des Dickichts mach­te ich Halt und starr­te Ca­vor keu­chend ins Ge­sicht.

      »Un­ter­ir­disch«, flüs­ter­te er. »Da un­ten.«

      »Sie kön­nen her­aus­kom­men.«

      »Wir müs­sen die Sphä­re fin­den!«

      »Ja«, sag­te ich, »aber wie?«

      »Wenn wir aber nicht zu ihr kom­men.«

      »Krie­chen, bis wir zu ihr kom­men.«

      »Ver­bor­gen blei­ben. Se­hen, wie sie sind.«

      »Wir wol­len zu­sam­men­blei­ben«, sag­te ich.

      Er dach­te nach. »Wo­hin sol­len wir ge­hen?«

      »Wir müs­sen un­ser Glück ver­su­chen.«

      Wir späh­ten hier­hin und dort­hin. Dann be­gan­nen wir sehr um­sich­tig durch den un­te­ren Dschun­gel zu krie­chen, in dem wir, so gut wir es be­ur­tei­len konn­ten, einen Kreis schlu­gen und jetzt bei je­dem schwan­ken­den Schwamm­ge­wächs, bei je­dem Schall in­ne­hiel­ten, nur auf die Sphä­re be­dacht, aus der wir so tö­rich­ter­wei­se auf­ge­taucht wa­ren. Von Zeit zu Zeit dran­gen aus der Erde un­ter uns im­mer wie­der Er­schüt­te­run­gen her­auf, Schlä­ge, un­heim­li­che, un­er­klär­li­che, me­cha­ni­sche Töne: und ein­mal, und dann noch­mals hör­ten wir et­was, ein schwa­ches Ras­seln und einen Tu­mult, durch die Luft her zu uns ge­tra­gen. Aber furcht­sam, wie wir wa­ren, wag­ten wir kei­nen er­höh­ten Punkt auf­zu­su­chen, um den Kra­ter zu über­bli­cken. Lan­ge sa­hen wir nichts von den We­sen, de­ren Geräusche so reich­lich und be­harr­lich wa­ren. Wäre nicht die Mat­tig­keit un­se­res Hun­gers und die Tro­cken­heit un­se­rer Keh­len ge­we­sen, so hät­te dies Krie­chen et­was von ei­nem sehr leb­haf­ten Traum ge­habt. Es war so ab­so­lut un­re­al. Das ein­zi­ge Ele­ment, das einen Hauch von Rea­li­tät hat­te, wa­ren die­se Töne.

      Man stel­le es sich vor! Um uns der traum­haf­te Dschun­gel mit den stil­len Ba­jo­nett­blät­tern, die über uns strahl­ten, und die stil­len, leb­haf­ten, son­ne­ge­spren­kel­ten Flech­ten un­ter un­se­ren Hän­den und Kni­en, die vor der Ge­walt ih­res Wachs­tums wog­ten, wie ein Tep­pich wogt, wenn der Wind dar­un­ter fasst. Hin und wie­der sperr­te uns eine neue Ge­stalt in leb­haf­ter Far­be den Weg. Die Zel­len, die die­se Pflan­zen auf­bau­ten, wa­ren schon so groß wie mein Dau­men; sie gli­chen Per­len aus ge­färb­tem Glas. Und all die­se Din­ge wa­ren im un­ge­mil­der­ten Glanz der Son­ne ge­sät­tigt, wur­den ge­gen einen Him­mel ge­se­hen, der bläu­lich schwarz und trotz des Son­nen­scheins noch mit ein paar über­le­ben­den Ster­nen über­sät war. Fremd­ar­tig! so­gar die For­men und die Tex­tur der Stei­ne wa­ren fremd­ar­tig. Al­les war fremd­ar­tig, das Ge­fühl des Kör­pers war un­er­hört und jede neue Be­we­gung en­de­te in ei­ner Über­ra­schung. Der Atem ström­te dünn durch den Hals ein, das Blut floss ei­nem in ei­ner po­chen­den Flut durch die Ohren – bum, bum, bum, bum, bum …

      Und im­mer ka­men uns von Zeit zu Zeit Schau­er des Aufruhrs, Häm­mern, das Ras­seln und Schla­gen von Ma­schi­nen zu Ohren, und dann – das Brül­len großer Tie­re!

      11 – Die Mondkalbweiden

      So kro­chen wir bei­den ar­men ir­di­schen Ver­bann­ten, ver­lo­ren in die­sem wild wach­sen­den Mondd­schun­gel, in Angst vor den Tö­nen, die uns er­reicht hat­ten, da­hin. Wir kro­chen, wie es schi­en, lan­ge Zeit, ehe wir so­wohl den Se­le­ni­ten wie das Mond­kalb sa­hen, ob­gleich wir das Brül­len und die grun­zen­den Geräusche die­ser letz­te­ren be­stän­dig nä­her kom­men hör­ten. Wir kro­chen durch stei­ni­ge Schluch­ten über Schnee­hän­ge hin, zwi­schen Schwamm­pil­zen durch, die bei un­se­rer Berüh­rung wie dün­ne Bla­sen auf­ris­sen und eine wäs­se­ri­ge Flüs­sig­keit von sich ga­ben, über ein voll­stän­di­ges Pflas­ter von staub­pil­z­ähn­li­chen Din­gen, und un­ter end­lo­sen Ge­strüpp­dickich­ten hin. Und im­mer hoff­nungs­lo­ser such­ten un­se­re Au­gen nach un­se­rer ver­las­se­nen Sphä­re. Der Lärm der Mond­käl­ber war zu­zei­ten ein brei­ter, fla­cher, kal­bar­ti­ger Ton, zu­zei­ten er­hob er sich zu ei­nem ent­setz­ten und wü­ten­den Brül­len, und dann wie­der wur­de er zu ei­nem ge­hemm­ten Tier­laut, als such­ten die­se un­sicht­ba­ren Ge­schöp­fe zu glei­cher Zeit zu fres­sen und zu brül­len.

      Als wir sie zum ers­ten Mal zu se­hen be­ka­men, war es nur ein un­ge­nü­gen­der, flüch­ti­ger Blick, der aber nicht min­der be­un­ru­hi­gend, weil un­voll­stän­dig war. Ca­vor kroch zur­zeit vor und er be­merk­te ihre Nähe zu­erst. Er mach­te Halt und ge­bot es mir mit ei­ner ein­zi­gen Be­we­gung.

      Ein Kra­chen und Bers­ten des Ge­strüpps schi­en ge­ra­de auf uns zu zu lau­fen, und dann, als wir uns nahe zu­sam­men­hock­ten und über die Nähe und Rich­tung die­ses Lär­mes ein Ur­teil zu ge­win­nen ver­such­ten, er­dröhn­te hin­ter uns ein furcht­ba­res Ge­brüll, so nah und hef­tig, dass sich die Spit­zen des Ba­jo­nett­strauchs dar­un­ter bo­gen und man sei­nen Atem heiß und feucht fühl­te. Und als wir uns um­dreh­ten, sa­hen wir durch einen Wald schwan­ken­der Stäm­me hin­durch die leuch­ten­den Sei­ten des Mond­kalbs, und die lan­ge Li­nie sei­nes Rückens rag­te ge­gen den Him­mel em­por.

      Na­tür­lich ist es schwer für mich, jetzt zu sa­gen, wie viel ich bei die­ser Ge­le­gen­heit sah, da mei­ne Ein­drücke durch spä­te­re Beo­b­ach­tung kor­ri­giert wur­den. Der ers­te Ein­druck war der von sei­ner un­ge­heu­ren


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