H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

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H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


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nie­der und be­vor je­mand be­griff, in wel­cher Ab­sicht, la­gen Schu­he, So­cken und Bein­klei­der un­ter dem Tisch. Dann sprang sie wie­der auf und warf ih­ren Rock ab.

      »Halt da!«, rief Jaf­fers, der plötz­lich be­griff, was vor sich ging. Er pack­te die Wes­te, sie wehr­te sich, das Hemd schlüpf­te her­aus und die ers­te­re blieb ihm leer in der Hand zu­rück. »Hal­tet ihn!«, schrie Jaf­fers, »so­bald er die Sa­chen ab­wirft – – –«

      »Hal­tet ihn!«, schri­en alle und stürz­ten sich auf das flat­tern­de wei­ße Hemd, das ein­zi­ge von der gan­zen Ge­stalt, das noch sicht­bar ge­blie­ben war.

      Der Hem­d­är­mel ver­setz­te Mr. Hall einen wohl­ge­ziel­ten Schlag in das Ge­sicht, der des­sen An­nä­he­rungs­ver­su­chen ein Ende mach­te und ihn ge­gen den al­ten Tooth­so­me, den Dorf­küs­ter, schleu­der­te. Im nächs­ten Au­gen­blick wur­de das Hemd em­por­ge­ho­ben und bausch­te sich in der Luft. Jaf­fers griff da­nach, half aber nur es aus­zie­hen. Ein Schlag aus der Luft traf ihn auf den Mund; ohne sich zu be­sin­nen, er­hob er sei­nen Knüt­tel und schlug Ted­dy Hen­frey hef­tig mit­ten auf den Kopf.

      »Auf­ge­passt!«, rief man, aufs Ge­ra­te­wohl zu­schla­gend, ohne et­was zu tref­fen. »Hal­tet ihn!«, »Schließt die Tür!«, »Lasst ihn nicht durch!«, »Ich habe et­was!«, »Hier ist er!«. Ein voll­kom­me­nes Ba­bel ent­stand, auf alle ha­gel­te es Schlä­ge, als San­dy Wad­gers, klug wie im­mer – sein Ver­stand war durch einen hef­ti­gen Schlag auf die Nase noch ge­schärft wor­den – die Tür öff­ne­te und das Si­gnal zur Flucht gab. Die an­de­ren, die ihm in wil­dem Durchein­an­der folg­ten, wur­den einen Au­gen­blick zwi­schen den Tür­pfos­ten ein­ge­keilt, wo­bei das Sto­ßen und Schla­gen fort­dau­er­te, Phipps, dem Uni­ta­ri­er, wur­de ein Vor­der­zahn aus­ge­schla­gen, und Hen­frey an der Ohr­mu­schel ver­letzt, Jaf­fers be­kam einen Schlag auf die Kinn­ba­cken, und als er sich um­wen­de­te, er­wi­sch­te er et­was, was sich bei dem Kamp­fe zwi­schen ihn und Hux­ter stell­te und sie von­ein­an­der trenn­te. Er fühl­te eine mus­ku­lö­se Brust, und im nächs­ten Au­gen­blick stürz­te sich die gan­ze Mas­se kämp­fen­der, er­reg­ter Män­ner in die dicht­ge­dräng­te Vor­hal­le.

      »Ich hab’ ihn!«, schrie Jaf­fers halb er­stickt und tau­melnd, mit pur­pur­ro­tem Ge­sicht und schwel­len­den Adern ge­gen sei­nen un­sicht­ba­ren Feind an­kämp­fend.

      Die Leu­te wi­chen rechts und links aus, als sich der selt­sa­me Kampf schnell ge­gen die Haus­tür be­weg­te und auf den we­ni­gen Stu­fen, die zur Stra­ße hin­ab­führ­ten, sich fort­spann. Jaf­fers schrie, als ob er ge­würgt wür­de, hielt aber nichts­de­sto­we­ni­ger fest und ließ sein Knie spie­len. End­lich über­stürz­te er sich und fiel kopf­über zu Bo­den. Erst dann ver­lo­ren sei­ne Fin­ger ih­ren Halt.

      Man hör­te auf­ge­reg­tes Stim­men­ge­wirr. »Hal­tet ihn!«, »Der Un­sicht­ba­re!«, usw., und ein jun­ger Bur­sche, ein Orts­frem­der, des­sen Name nicht fest­ge­stellt wer­den konn­te, dräng­te sich vor, er­griff et­was, ließ es fah­ren und stürz­te über den Kör­per des am Bo­den lie­gen­den Gen­darmen. Mit­ten auf der Stra­ße kreisch­te eine Frau auf, als ein Et­was sie bei­sei­te stieß. Ein Hund, der au­gen­schein­lich einen Fuß­tritt be­kom­men hat­te, kläff­te und rann­te bel­lend in Hux­ters Hof, und da­mit war die Flucht des Un­sicht­ba­ren ge­lun­gen. Eine Zeit lang blie­ben die Leu­te ver­blüfft und leb­haft ges­ti­ku­lie­rend ste­hen, dann kam die Furcht über sie und zer­streu­te sie durchs Dorf, wie ein Wind­stoß, der die wel­ken Blät­ter her­um­wir­belt. Aber Jaf­fers lag still mit auf­wärts ge­rich­te­tem Ant­litz und ge­bo­ge­nen Kni­en am Fuße der Stu­fen, die zum Wirts­haus führ­ten.

      8. Kapitel – Auf dem Wege

      Das ach­te Ka­pi­tel ist au­ßer­or­dent­lich kurz und er­zählt, dass Gib­bins, der in der gan­zen Ge­gend be­kann­te Na­tur­for­scher, wel­cher auf der wei­ten, of­fe­nen Düne lag – wie er glaub­te, der ein­zi­ge Mensch auf Mei­len im Um­kreis – und bei­na­he ein­ge­schlum­mert war, ganz nahe bei sich einen Men­schen hus­ten, nie­sen und dann wild flu­chen hör­te. Er sah auf, ohne et­was zu er­bli­cken. Und doch war die Stim­me un­be­streit­bar da. Sie fuhr fort, mit je­ner Aus­dau­er und Reich­hal­tig­keit der Aus­drücke zu flu­chen, wel­che den ge­bil­de­ten Men­schen aus­zeich­net. Die Stim­me kam zu ei­nem Hö­he­punkt, wur­de schwä­cher und erstarb end­lich in der Ent­fer­nung, wie es schi­en, in der Rich­tung ge­gen Ad­der­de­an zu. Noch ein­mal er­hob sich das Geräusch zu ei­nem Hus­ten­an­fall, dann en­de­te es. Gib­bins hat­te nichts von den Er­eig­nis­sen des Mor­gens ge­hört, aber je­nes Phä­no­men war so merk­wür­dig und be­un­ru­hi­gend, dass sei­ne phi­lo­so­phi­sche Ruhe schwand. Er stand has­tig auf und eil­te, so schnell er konn­te, den stei­len Hü­gel hin­un­ter, dem Dor­fe zu.

      9. Kapitel – Mr. Thomas Marvel

      Man muss sich Mr. Tho­mas Mar­vel als einen Men­schen mit be­weg­li­chen, leicht ver­än­der­li­chen Ge­sichts­zü­gen, vor­sprin­gen­der, ge­bo­ge­ner Nase, gie­ri­gem, brei­tem Trief­maul und un­ge­heu­rem, strup­pi­gem Bart vor­stel­len. Sei­ne Ge­stalt neig­te zur Wohl­be­leibt­heit, und sei­ne kur­z­en Bei­ne lie­ßen die­se An­la­ge noch mehr her­vor­tre­ten. Er trug einen ab­ge­nutz­ten Zy­lin­der­hut, und die häu­fi­ge Ver­wen­dung von Bind­fä­den und Schuhrie­men, an­statt von Knöp­fen, an be­son­ders in die Au­gen fal­len­den Stel­len sei­nes An­zugs ließ leicht den Jung­ge­sel­len er­ra­ten.

      Mr. Tho­mas Mar­vel saß, die Füße im Stra­ßen­gra­ben, auf der Land­stra­ße, die über die Dü­nen nach Ad­der­de­an führt, un­ge­fähr eine und eine hal­be Mei­le von Iping ent­fernt. Bis auf zer­ris­se­ne So­cken wa­ren sei­ne Füße un­be­klei­det; sei­ne großen Ze­hen wa­ren breit und in ste­ter, gleich­sam wach­sa­mer Be­we­gung. In ge­müt­li­chem Tem­po – er tat al­les lang­sam und ge­müt­lich – schick­te er sich eben an, ein Paar Stie­fel an­zu­pro­bie­ren. Sie wa­ren die fes­tes­ten, die er seit lan­ger Zeit be­ses­sen hat­te, aber et­was zu groß; wo­ge­gen jene, die er ab­ge­legt hat­te, bei tro­ckenem Wet­ter sehr an­ge­nehm, für feuch­tes Wet­ter aber zu dünn ge­sohlt wa­ren. Mr. Tho­mas Mar­vel hass­te zu wei­te Schu­he, aber er hass­te auch die Näs­se. Er war sich nie­mals klar dar­über ge­wor­den, was von den bei­den Din­gen ihm wi­der­wär­ti­ger war, und da es ein schö­ner Tag war und er nichts Bes­se­res zu tun hat­te, so stell­te er die vier Stie­fel zier­lich grup­piert auf die Erde und blick­te sie an. Und wie er sie da auf dem Gra­se zwi­schen den em­por­schie­ßen­den Früh­lings­blu­men ste­hen sah, fiel ihm plötz­lich auf, wie ganz be­son­ders häss­lich bei­de Paa­re wa­ren. Er war da­her auch gar nicht er­staunt, eine Stim­me hin­ter sich sa­gen zu hö­ren:

      »Stie­fel sind es doch im­mer­hin.«

      »Ja­wohl – ge­schenk­te Stie­fel«, ent­geg­ne­te Mr. Tho­mas Mar­vel, den Kopf auf die Sei­te nei­gend und sie ver­ach­tungs­voll an­bli­ckend, »und ich will ver­dammt sein, wenn ich weiß, wel­ches von bei­den im gan­zen ge­seg­ne­ten Wel­tall das häss­lichs­te Paar ist!«

      »Hm«, sag­te die Stim­me.

      »Ich habe schon schlech­te­re ge­tra­gen – un­ter uns ge­spro­chen – bis­wei­len auch gar kei­ne; aber nie­mals noch so ver­dammt häss­li­che – wenn Sie mir die­sen Aus­druck ge­fäl­ligst ge­stat­ten. Ich bin ta­ge­lang um Stie­fel bet­teln ge­gan­gen – spe­zi­ell um Stie­fel –


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