H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

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H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


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mein­te Mr. Cuss, »un­glaub­lich. Aber Tat­sa­che ist, dass ich in sei­nen Är­mel hin­einsah. Ganz tief hin­ein –«

      »Aber sind Sie Ih­rer Sa­che auch ganz si­cher? … Neh­men wir zum Bei­spiel einen Spie­gel an … Sin­ne­stäu­schun­gen las­sen sich so leicht her­vor­brin­gen. Ich weiß nicht, ob Sie je­mals einen wirk­lich gu­ten Ta­schen­spie­ler ge­se­hen ha­ben –«

      »Ich will nicht wi­der­strei­ten«, sag­te Mr. Cuss. »Über die­sen Punkt ha­ben wir mehr als ge­nug dis­pu­tiert, däch­te ich. Aber hier ha­ben wir jetzt die Bü­cher … Ah! dies zum Bei­spiel hal­te ich für Grie­chisch! We­nigs­tens sind es grie­chi­sche Buch­sta­ben.«

      Er deu­te­te auf die Mit­te der Sei­te. Mr. Bun­ting er­rö­te­te leicht, beug­te sich nie­der und mach­te sich schein­bar an sei­ner Bril­le zu schaf­fen. Mit dem Grie­chisch des klei­nen Man­nes war es nicht weit her, und doch war er fest über­zeugt, dass je­des Mit­glied der Ge­mein­de an sei­ne Kennt­nis grie­chi­scher und he­bräi­scher Ur­tex­te glaub­te. Und jetzt – soll­te er beich­ten? Soll­te er flun­kern? Plötz­lich fühl­te er et­was Frem­des an sei­nem Hal­se. Er such­te den Kopf zu be­we­gen und traf ein star­res Hin­der­nis.

      Er emp­fand einen ei­gen­tüm­li­chen Schmerz – den Griff ei­ner schwe­ren, mus­ku­lö­sen Hand, wel­che sein Kinn mit un­wi­der­steh­li­cher Ge­walt auf den Tisch nie­der­drück­te. »Rührt euch nicht, ihr klei­nen Ker­le«, flüs­ter­te eine Stim­me, »sonst schla­ge ich euch bei­den die Schä­del ein!«

      Er blick­te Mr. Cuss an, des­sen Ge­sicht sich dicht ne­ben dem sei­ni­gen be­fand, und sah in des­sen Mie­nen den Wi­der­schein sei­ner ei­ge­nen angst­vol­len Be­stür­zung.

      »Es tut mir leid, dass ich so grob mit Ih­nen um­sprin­gen muss«, sag­te die Stim­me. »Aber es geht nicht an­ders.«

      »Seit wann ist es er­laubt, in den pri­va­ten Auf­zeich­nun­gen ei­nes For­schers her­um­zu­stö­bern?«, fuhr die Stim­me fort und zwei Köp­fe be­rühr­ten gleich­zei­tig die Tisch­plat­te und vier Rei­hen Zäh­ne schlu­gen laut an­ein­an­der.

      »Seit wann dringt man in die Pri­vat­zim­mer ei­nes un­glück­li­chen Men­schen ein?« Und der Stoß wie­der­hol­te sich.

      »Wo hat man mei­ne Klei­der hin­ge­tan?«

      »Hö­ren Sie«, fuhr die Stim­me wei­ter fort, »die Fens­ter sind ge­schlos­sen und den Schlüs­sel habe ich von der Tür ab­ge­zo­gen. Ich bin ein ziem­lich star­ker Mensch und habe die Feu­er­zan­ge bei der Hand – über­dies bin ich un­sicht­bar. Es ist zwei­fel­los, dass ich Sie bei­de er­schla­gen und selbst ganz leicht ent­wi­schen könn­te, wenn das mei­ne Ab­sicht wäre – be­grei­fen Sie das? Gut! Wenn ich Sie ver­scho­ne, wol­len Sie mir ver­spre­chen, kei­ne Dumm­hei­ten zu ma­chen und zu tun, was ich ver­lan­ge?«

      Der Pfar­rer und der Dok­tor sa­hen ein­an­der an, und der letz­te­re ver­zog das Ge­sicht. »Ja«, sag­te Mr. Bun­ting, und der Dok­tor wie­der­hol­te: »ja«. Dann ließ der Druck auf ih­ren Na­cken nach, der Dok­tor und der Pfar­rer rich­te­ten sich mit hoch­ro­ten Ge­sich­tern auf und schüt­tel­ten die Köp­fe.

      »Bit­te, blei­ben Sie sit­zen«, sag­te der Un­sicht­ba­re. »Se­hen Sie, hier ist die Feu­er­zan­ge.«

      »Als ich in die­ses Zim­mer kam«, fuhr er fort, nach­dem er sei­nen bei­den Gäs­ten die Feu­er­zan­ge un­ter die Nase ge­hal­ten hat­te, »war ich nicht dar­auf ge­fasst, je­man­den dar­in zu fin­den. Hin­ge­gen er­war­te­te ich, au­ßer mei­nen Auf­zeich­nun­gen auch mei­ne Klei­der zu se­hen. Wo sind sie? Nein – ste­hen Sie nicht auf. Ich sehe, dass sie fort sind. Nun sind die Tage zwar warm ge­nug, dass ein un­sicht­ba­rer Mensch nackt her­um­ge­hen kann, die Näch­te je­doch sind ziem­lich kühl. Ich brau­che Klei­der – und an­de­re not­wen­di­ge Din­ge. Auch die­se drei Bü­cher muss ich wie­der ha­ben.«

      12. Kapitel – Der Unsichtbare verliert die Geduld

      Um ei­nes sehr pein­li­chen Grun­des wil­len, der sehr bald er­klärt wer­den soll, muss die Er­zäh­lung bei die­sem Punkt ab­bre­chen. Wäh­rend sich all das im Gast­zim­mer be­gab und Mr. Hux­ter be­ob­ach­te­te, wie Mr. Mar­vel ans Tor ge­lehnt sei­ne Pfei­fe schmauch­te, be­spra­chen ein Dut­zend Schrit­te ent­fernt Hall und Ted­dy Hen­frey in ver­wor­ren be­stürz­ter Wei­se das große Er­eig­nis von Iping.

      Plötz­lich kam ein hef­ti­ger Schlag ge­gen die Gast­zim­mer­tür, ein gel­len­der Schrei, und dann – tie­fe Stil­le.

      »Hal­lo!«, rief Ted­dy Hen­frey.

      »Hal­lo!«, tön­te es zu­rück.

      Es dau­er­te stets lan­ge, be­vor Hall et­was be­griff, dann aber war er stets sei­ner Sa­che ge­wiss. »Da ist was nicht in Ord­nung«, sag­te er, kam hin­ter dem Schank­tisch her­vor und nä­her­te sich der Gast­zim­mer­tür.

      Ge­spannt hor­chend ta­ten er und Ted­dy ei­ni­ge Schrit­te vor­wärts. Sie lie­ßen die Au­gen her­um­schwei­fen. »Da ist was nicht in Ord­nung«, wie­der­hol­te Hall, und Hen­frey nick­te bei­stim­mend. Sie spür­ten einen un­an­ge­neh­men Che­mi­ka­li­en­ge­ruch in der Luft und ver­nah­men das Ge­mur­mel ei­nes ei­lig und mit un­ter­drück­ter Stim­me ge­führ­ten Ge­sprächs.

      »Fehlt Ih­nen et­was?«, frag­te Hall, an die Tür klop­fend.

      Das Geräusch ver­stumm­te plötz­lich, einen Au­gen­blick blieb al­les still, dann wur­de das Ge­spräch im Flüs­ter­ton wie­der auf­ge­nom­men; dann hör­te man den Aus­ruf: »Nein, nein, nur das nicht!« Eine plötz­li­che Be­we­gung folg­te, das Um­stür­zen ei­nes Stuh­les und ein kur­z­er Kampf. Dann wie­der tie­fe Stil­le.

      »Was zum Hen­ker!«, sag­te Hen­frey halb­laut.

      »Fehlt – Ih­nen – et­was?«, frag­te Hall mit lau­ter Stim­me.

      »Ga–ar nichts. Bit­te – stö–ren Sie uns nicht!«, ka­men die Wor­te des Pfar­rers merk­wür­dig stoß­wei­se zu­rück.

      »Ko­misch!«, sag­te Mr. Hen­frey.

      »Ko­misch!«, wie­der­hol­te Mr. Hall.

      »›Stö­ren Sie uns nicht‹ rief er doch«, sag­te Hen­frey.

      »Ja, das hör­te ich auch«, ver­setz­te Hall.

      Sie lausch­ten wei­ter. Das Ge­spräch wur­de schnell und halb­laut fort­ge­führt. »Ich kann nicht!«, rief Mr. Bun­ting mit er­ho­be­ner Stim­me. »Ich sage Ih­nen, Herr, ich will nicht!«

      »Was war das?«, frag­te Hen­frey.

      »Er will nicht, sag­te er«, ver­setz­te Hall. »Er hat doch nicht zu uns ge­spro­chen, was?«

      »Schänd­lich!«, sag­te Mr. Bun­ting drin­nen.

      »Schänd­lich!«, sag­te Mr. Hen­frey. »Ich hör­te es ganz deut­lich.«

      »Wer spricht jetzt?«, frag­te der an­de­re.

      »Mr. Cuss, glau­be ich«, er­wi­der­te Hall. »Hörst du et­was?«

      Die bei­den schwie­gen. Von drin­nen er­tön­ten un­be­stimm­te und ver­wor­re­ne Töne.

      »Das klingt, wie wenn man das Tisch­tuch her­um­wer­fen wür­de«, sag­te Hall.

      Mrs. Hall er­schi­en hin­ter dem Schank­tisch.


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