H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

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H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


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Men­schen gibt, die Leu­te hier wis­sen es alle – so gut wie wir selbst – und die­ser Un­sicht­ba­re, Kemp, muss jetzt ein Schre­ckens­re­gi­ment füh­ren. Ja – es ist un­ge­wöhn­lich, ge­wiss, aber ich mei­ne es im Ernst. Ein Schre­ckens­re­gi­ment. Er muss ir­gend­ei­ne Stadt ein­neh­men, wie Ihr Bur­dock zum Bei­spiel, und sie durch Schre­cken be­herr­schen. Er muss sei­ne Be­feh­le her­aus­ge­ben. Er kann dies auf tau­send Ar­ten tun – Pa­pier­strei­fen, wel­che durch die Tü­ren ge­scho­ben wer­den, wür­den ge­nü­gen. Und alle, wel­che sei­ne Be­feh­le miss­ach­ten, muss er tö­ten und alle die, wel­che den Un­ge­hor­sa­men zu Hil­fe kom­men.«

      »Hm!«, sag­te Kemp, der nicht län­ger auf Grif­fin hör­te, son­dern auf das Öff­nen und Schlie­ßen der Haus­tür lausch­te.

      »Es scheint mir, Grif­fin«, sag­te er, um sei­ne Unauf­merk­sam­keit zu ver­ber­gen, »dass Ihr Ver­bün­de­ter in eine schwie­ri­ge Lage käme.«

      »Nie­mand wüss­te, dass er mein Ver­bün­de­ter wäre«, er­klär­te der Un­sicht­ba­re eif­rig. Und dann plötz­lich: »Pst! Was ist das un­ten?«

      »Nichts«, er­wi­der­te Kemp und be­gann laut und schnell zu spre­chen. »Ich bil­li­ge dies nicht, Grif­fin«, sag­te er. »Ver­ste­hen Sie mich wohl, ich bil­li­ge dies nicht. Wa­rum wol­len Sie sich in einen so feind­li­chen Ge­gen­satz zu Ihren Mit­menschen stel­len? Wie kön­nen Sie hof­fen, glück­lich zu wer­den? Ge­ben Sie Ihrem Wun­sche nach Ein­sam­keit doch nicht nach. Ver­öf­fent­li­chen Sie Ihre Ent­de­ckun­gen – zie­hen Sie die Welt – oder doch die Na­ti­on in Ihr Ver­trau­en. Stel­len Sie sich vor, was Sie mit ei­ner Mil­li­on eif­ri­ger Mit­ar­bei­ter be­wir­ken könn­ten – – –«

      Der Un­sicht­ba­re un­ter­brach ihn, den Arm aus­stre­ckend. »Ich höre Schrit­te die Trep­pe her­auf­kom­men«, sag­te er.

      »Un­sinn!«, mein­te Kemp.

      »Las­sen Sie mich se­hen«, sag­te der Un­sicht­ba­re und nä­her­te sich mit aus­ge­streck­tem Arm der Tür.

      Und dann jag­ten sich die Er­eig­nis­se mit un­glaub­li­cher Schnel­lig­keit. Kemp zö­ger­te einen Au­gen­blick, dann stell­te er sich ihm in den Weg. Der Un­sicht­ba­re fuhr zu­sam­men und stand still. »Ver­rä­ter!«, schrie die Stim­me, und plötz­lich öff­ne­te sich der Schlaf­rock und der Un­sicht­ba­re be­gann sich zu ent­klei­den. Kemp er­reich­te mit drei Schrit­ten die Tür, als der Un­sicht­ba­re mit ei­nem lau­ten Aus­ruf auf­sprang. Kemp riss die Tür auf.

      Zu­gleich hör­te man das Geräusch eilends sich nä­hern­der Schrit­te und Stim­men­ge­wirr von un­ten.

      Mit ei­ner schnel­len Be­we­gung warf Kemp den Un­sicht­ba­ren zu­rück, sprang bei­sei­te und schlug die Tür hin­ter sich zu. Den Schlüs­sel hat­te er schon frü­her von au­ßen ins Schloss ge­steckt. Im nächs­ten Au­gen­blick wäre Grif­fin im Stu­dier­zim­mer ge­fan­gen ge­we­sen – hät­te sich nicht ein ge­ring­fü­gi­ger Um­stand er­eig­net. Der Schlüs­sel war am Mor­gen has­tig hin­ein­ge­scho­ben wor­den. Als Kemp die Tür zu­schlug, fiel er auf den Tep­pich.

      Kemp wur­de krei­de­weiß. Mit bei­den Hän­den um­klam­mer­te er die Tür­klin­ke. Ei­nen Au­gen­blick hielt er sie fest zu. Dann gab sie sechs Zoll weit nach. Aber es ge­lang ihm, sie wie­der zu schlie­ßen. Das zwei­te Mal öff­ne­te sie sich einen Fuß weit und der Schlaf­rock zwäng­te sich in die Öff­nung. Un­sicht­ba­re Fin­ger um­klam­mer­ten sei­nen Hals, so­dass er die Tür­klin­ke los­las­sen muss­te, um sich zu ver­tei­di­gen. Er wur­de zu­rück­ge­drängt und mit Ge­walt in einen Win­kel des Gan­ges ge­schleu­dert. Der Schlaf­rock flog über ihn hin­weg. In der Mit­te der Trep­pe stand der Emp­fän­ger von Kemps Brief, Oberst Adye, Chef der Po­li­zei in Bur­dock. Ver­blüfft starr­te er auf das plötz­li­che Er­schei­nen Kemps und den au­ßer­ge­wöhn­li­chen An­blick von leer durch die Luft flie­gen­den Klei­dern. Er sah, wie Kemp nie­der­ge­wor­fen wur­de und sich wie­der zu er­he­ben such­te. Er sah ihn vor­wärts ei­len und dann wuch­tig zu­sam­men­stür­zen.

      Dann er­hielt er plötz­lich selbst einen hef­ti­gen Stoß. Durch ein Nichts! Es schi­en, als ob ein schwe­res Ge­wicht sich auf ihn lege und er wur­de kopf­über die Trep­pe hin­un­ter­be­för­dert. Ein un­sicht­ba­rer Fuß trat auf sei­nen Rücken, geis­ter­haf­te Fuß­trit­te gin­gen die Trep­pe hin­ab, er hör­te die bei­den Schutz­män­ner in der Hal­le laut schrei­en und die Haus­tür hef­tig zu­schla­gen. Ganz ver­wirrt setz­te er sich auf. Er sah, wie Kemp mit blu­ten­den Lip­pen und ge­schwol­le­nem Ge­sicht, einen ro­ten Schlaf­rock im Arme, die Trep­pe her­un­ter­wank­te.

      »Mein Gott!«, rief Kemp, »das Spiel ist aus! Er ist fort!«

      25. Kapitel – Die Verfolgung des Unsichtbaren

      Es dau­er­te ge­rau­me Zeit, ehe es Kemp ge­lang, Adye den Ver­lauf der Er­eig­nis­se der letz­ten Mi­nu­ten zu er­klä­ren. Sie stan­den auf dem Gan­ge und Kemp sprach schnell und has­tig. End­lich be­gann Adye die Lage zu be­grei­fen.

      »Er ist wahn­sin­nig!«, sag­te Kemp. »Er ist der ver­kör­per­te Ego­is­mus, ohne eine Spur mensch­li­chen Füh­lens. Er denkt an nichts, als an sei­nen ei­ge­nen Vor­teil, sei­ne ei­ge­ne Si­cher­heit. Ich habe heu­te Mor­gen eine Ge­schich­te solch bru­ta­ler Selbst­sucht mit an­ge­hört … Er hat Men­schen ver­wun­det. Er wird mor­den, wenn wir ihn nicht dar­an hin­dern kön­nen. Er wird eine Pa­nik ver­brei­ten. Nichts kann ihn auf­hal­ten. Jetzt geht er los – wü­tend!«

      »Wir müs­sen ihn fan­gen«, sag­te Adye, »das ist ge­wiss.«

      »Aber wie?«, rief Kemp und ent­wi­ckel­te einen plötz­li­chen Ide­en­reich­tum. »Sie müs­sen so­fort be­gin­nen, Sie müs­sen je­den ver­füg­ba­ren Mann dazu ver­wen­den und ihn hin­dern, die Ge­gend zu ver­las­sen. So­bald er ein­mal fort ist, wird er mor­dend und ver­wun­dend durch das Land zie­hen. Er träumt von ei­ner Schre­ckens­herr­schaft. Ei­ner Schre­ckens­herr­schaft, sage ich Ih­nen. Sie müs­sen die Bahn­li­ni­en, die Stra­ßen und die aus­lau­fen­den Schif­fe be­wa­chen las­sen. Die Gar­ni­son muss hel­fen. Sie müs­sen um Hil­fe te­le­gra­fie­ren. Das ein­zi­ge, was ihn viel­leicht hier hal­ten kann ist die fixe Idee, wie­der in Be­sitz ei­ni­ger No­tiz­bü­cher zu ge­lan­gen, die er für wert­voll hält. Ich wer­de Ih­nen das spä­ter er­zäh­len. Auf der Po­li­zei­sta­ti­on be­fin­det sich ein Mann, na­mens Mar­vel.«

      »Ich weiß es«, sag­te Adye. »Die­se Bü­cher – ja. Aber der Land­strei­cher …«

      »Sagt, er habe sie nicht. Aber er glaubt doch, dass sie der Land­strei­cher hat. Und man muss ihn am Es­sen und Schla­fen hin­dern. – Tag und Nacht muss die Ge­gend nach ihm durch­sucht wer­den. Alle Le­bens­mit­tel müs­sen ein­ge­sperrt und in Si­cher­heit ge­bracht wer­den, über­haupt jede Nah­rung, so­dass er Ge­walt an­wen­den muss, um dazu zu ge­lan­gen. Die Häu­ser müs­sen ver­ram­melt wer­den. Der Him­mel sen­de uns kal­te Näch­te und Re­gen! Das gan­ze Land muss die Jagd auf­neh­men. Ich sage Ih­nen, Adye, er ist eine Ge­fahr, ein Un­glück – be­vor er ge­fan­gen und in Si­cher­heit ge­bracht ist, kann man nur mit Schre­cken an die Din­ge den­ken, die ge­sche­hen kön­nen.«

      »Was könn­ten wir sonst noch tun?«, sag­te Adye. »Ich muss die Or­ga­ni­sa­ti­on so­fort in die Hand neh­men. Aber wol­len Sie nicht mit­kom­men? Ja – kom­men Sie doch auch! Kom­men Sie, wir müs­sen eine Art Kriegs­rat hal­ten – an


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