CLOWNFLEISCH. Tim Curran

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CLOWNFLEISCH - Tim Curran


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      »Ist da irgendjemand?«, ruft er nervös.

      Doch die einzige Antwort, die er bekommt, ist dieses klappernde Geräusch. Jetzt reicht's ihm. Irgendjemand will ihn hier offenbar verarschen. Obwohl ein Teil von ihm nichts lieber tun möchte, als diese Person ausfindig zu machen und ihr gehörig die Meinung zu geigen, beschließt er, dass er besser abhauen sollte.

      Doch dann hört er plötzlich noch ein anderes Geräusch.

      Kein Klappern, sondern ein dumpfes Schlagen. Bumm-bumm-bumm. Es kommt aus dem Auto. Es ist unmöglich, dass es irgendwo anders herkommt. Jetzt hat Rip richtig Angst. Ihm läuft ein Schauer nach dem anderen den Rücken hinunter und er weiß nicht mal genau, wieso. Da ist das Schlaggeräusch wieder, nur ist es dieses Mal lauter und klingt irgendwie nachdrücklicher.

      Steig in den Wagen, du Idiot, sagt er sich. Nichts wie weg hier!

       Aber was, wenn noch jemand in dem Auto ist? Wenn jemand seine Hilfe braucht?

      Das ist absolut lächerlich. Wenn jemand da drin wäre, hätte der Sheriff das doch schon bemerkt. Rip geht langsam rückwärts zu seinem Abschleppwagen. Doch dann erklingt das Geräusch wieder, dieses Bumm-bumm-bumm. Also läuft er langsam zu dem Toyota, der dick mit Schnee überzogen ist. Er ist sich jetzt sicher, dass jemand unter dieser weißen Decke von innen gegen die Fahrerscheibe schlägt – jemand, der da drin gefangen ist.

      Er nähert sich dem Wagen vorsichtig.

      Falls wirklich jemand da drin ist, will er eigentlich gar nicht wissen, wer. Rip ist ein großer Kerl, der sein ganzes Leben lang hart gearbeitet hat. Er hat eigentlich vor nichts Angst. Aber jetzt, genau in diesem Moment, zieht sich alles in ihm zusammen und er fühlt sich wieder wie ein kleiner Junge, der nachts gruselige Geräusche hört. Am liebsten würde er wegrennen, weil er insgeheim befürchtet, dass er etwas in diesem Auto finden könnte, das ihn den Verstand kosten wird.

      Doch trotz allem steht er jetzt vor der Fahrertür und streckt die Hand aus, um den Schnee von der Scheibe zu wischen. Sein Körper scheint das irgendwie aus eigenem Antrieb zu machen, ohne sein willentliches Zutun.

      Da ist definitiv jemand in dem Auto.

      Kapitel 22

      Rip sieht schemenhaft eine Gestalt. Wer auch immer es ist, Rip muss dringend Erste Hilfe leisten. Er schluckt trocken und stellt fest, dass ihm irgendetwas in die Magenwände sticht – das muss vom Adrenalin kommen, das die Angst die ganze Zeit in ihm freisetzt. Er schnappt sich den Türgriff und zieht sie langsam nach außen. Das Licht im Fahrerraum geht an und Rip schreit auf.

      Denn am Steuer sitzt keine Person, sondern eine Leiche. Die Leiche einer Frau. Sie hat einen pastellrosafarbenen Parka an, auf dem überall getrocknetes Blut klebt. Ihr Kopf ist zurückgeworfen, der Mund zu einem Schmerzensschrei eingefroren. Dort, wo eigentlich ihre Augen sein sollten, ist nur noch getrocknetes Blut. In ihrer Kehle fehlt ein riesiges Stück Fleisch. Aber so schlimm das auch alles ist, am entsetzlichsten ist die Tatsache, dass sie von der Brust bis zum Bauchnabel aufgeschlitzt ist und dort jetzt ein riesiges Loch klafft. Der Kegel von Rips Taschenlampe wandert über die Innenseiten ihrer Rippen und verliert sich dann in den schwarzen Schatten eines riesigen Hohlraumes. Rip muss seinen Blick abwenden.

      Er hat die Leiche maximal drei Sekunden angestarrt und trotzdem reicht dies schon aus, um diesen Anblick nie wieder vergessen zu können. Schon bei dem Gedanken daran wird ihm übel. Aber er darf jetzt nicht schlappmachen, er muss in den Wagen steigen und den Sheriff anfunken, auch wenn ihm absolut schleierhaft ist, wie Teague die Leiche im Auto übersehen haben konnte.

      Dann denkt er: Vielleicht war sie da noch gar nicht im Wagen. Vielleicht hat sie jemand erst hinterher dort platziert!

      Also, das ist wirklich nicht die Art von Gedanken, die er jetzt gerade denken sollte. Nicht hier … nicht in so einer Nacht.

      Als er sich auf den Weg zur Fahrerkabine macht, hört er plötzlich das seltsame Rasseln wieder. Er schüttelt den Kopf, eine klassische Übersprunghandlung als Reaktion auf die Angst, die Frustration … und die Verwirrung. Hier ist nicht nur irgendetwas falsch, es ist außerdem verdammt krank und beschissen pervers!

      Exakt diese Worte rasen ihm durch den Kopf und er hat das ungute Gefühl, dass er in dem Moment, als er seinen Abschleppwagen verlassen hat, auch die Realitätsebene verlassen hat, die er sein gesamtes Leben lang gekannt hat. Nun befindet er sich in einer anderen Welt, wo die Dinge viel finsterer und auf die schlimmstmögliche Art und Weise abartig sind.

      So gut es geht, versucht er diese Gedanken beiseitezuschieben und kommt endlich an der Fahrertür an, wo ihm etwas auffällt, das ihn unwillkürlich auflachen lässt, obwohl er viel lieber panisch schreien würde. Jemand hat einen schwarzen, glänzenden Luftballon an den Außenspiegel gebunden, der wie wild im Wind tanzt.

      Jetzt hat Rip noch mehr Angst davor, einzusteigen.

      Die Unsicherheit lässt ihn komplett erstarren. Er hört das Geklapper wieder und dreht sich um … und vor ihm steht ein Clown! Ein gottverdammter Clown. Er ist mit einem dünnen, schwarzen Overall bekleidet, auf dem vorn eine Reihe roter Puschel prangt.

      Unbewusst blinzelt Rip betont langsam, wie man das aus Filmen kennt, wenn die Darsteller etwas sehen, das eigentlich nicht da sein kann. Einen Moment lang scheint das Bild des Clowns zu verschwimmen, wie in einem Hitzeflimmern. Es wabert kurz, wird dann aber wieder scharf. Das Gesicht des Clowns ist so weiß wie ein Fisch und mit dünnen, schwarzen Rissen übersät, wie eine antike Vase. Sein grinsender Mund glänzt knallrot und feucht, so als würde er bluten. Die Augen sind wie rote Edelsteine, die in schwarze Ovale eingepasst worden sind. Einzelne Locken wachsen aus den Seiten seines Schädels. Sie wackeln sanft im Wind.

      Rip fängt an zu schwitzen und die Tropfen fühlen sich zuerst kalt und dann unerträglich heiß an. Die Flüssigkeit läuft ihm den Rücken hinunter. Sie verdampft von seiner Stirn.

      Der Clown macht jetzt einen Schritt auf ihn zu, und während er das tut, dreht sich sein Kopf auf seinen Schultern im Kreis … immer weiter und weiter … Umdrehung für Umdrehung, und dabei macht er weiterhin das rasselnde Geräusch, das Rip die ganze Zeit gehört hatte.

      Rip spürt, wie sich ein gewaltiger Schrei in seiner Kehle aufbaut. Er bläst sich auf wie ein Gasballon und wird größer und größer. Wenn er endlich aus seinem Mund hinausschießt, wird er garantiert unglaublich laut sein. Es wird der Schrei eines wahnsinnig Gewordenen sein. Er wird ihm sämtliche Luft aus den Lungen ziehen und dann wird Rip in purem Entsetzen auf die Knie sinken und anschließend endgültig den Verstand verlieren. Sein Hirn wird aufplatzen wie eine eitrige Blase und seine Vernunft wird einfach hinauslaufen und sich im Schnee verlieren.

      Lauf weg, befiehlt ihm eine Stimme in seinem Inneren. Renn! Versteck dich! Mach schon! Gib Gas! Bitte, bitte, tu doch irgendwas! Er kommt immer näher …

      Und so ist es. Der Clown kommt wirklich immer näher. Er macht zwei oder drei Schritte vorwärts, dann bleibt er stehen und sein Kopf wirbelt rasselnd herum. Als er wieder nach vorn schaut, ist sein Gesicht genauso verwischt wie sein Fleisch. Der rote Mund und die roten Augen zerlaufen und vermischen sich mit dem grauenhaft hellen Weiß seiner Haut, so als bestünde er nur aus ekelhaftem, mit Spucke vermischtem, pinken Kaugummi, das lang gezogen und außer Form ist.

      Rip macht jetzt ein Geräusch, das nicht mehr viel mit dem Schrei gemein hat, den er sich vorgestellt hat. Es ist eher das erschreckte Aufjaulen eines verletzten Tieres. Er stolpert panisch rückwärts und der Blizzard lässt den Clown verschwinden, als würde er ihn aus dieser Welt radieren.

      Der Schnee scheint jetzt aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen. Er peitscht und prasselt von überall her auf ihn ein, Rip kann es kaum noch aushalten. Er wird umgeworfen und geht zu Boden. Inzwischen kann er nicht einmal mehr den Abschleppwagen sehen. Er ist verschwunden, und Rip ist allein, gestrandet in dem Chaos eines arktischen Sturmes.

      Als die Sicht wieder etwas besser wird, muss er leider feststellen, dass er ganz und gar nicht allein ist.

      Eine


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