CLOWNFLEISCH. Tim Curran

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CLOWNFLEISCH - Tim Curran


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sitzt, auch wenn in so einer Nacht wohl kaum Rufe eingehen werden. Sie lackiert sich die Fingernägel und quittiert Stans Sätze nur mit einem stoischen Hmmm.

      »Ausgerechnet ein Clown«, sagt er, wobei er das Wort besonders stark betont, für den Fall, dass sie es immer noch nicht mitbekommen haben sollte. »Das war das Wort, was sie benutzt hat. Beebe hat gesagt, ein Clown hat Ritchie erledigt. Er soll aus dem Sturm gekommen sein und ihn geradewegs von seinem Schneemobil gezerrt haben, und dann hat er ihm angeblich die Kehle rausgerissen!«

      »Komische Sache«, stimmt ihm Flo zu, während sie auf ihre Nägel pustet, damit sie schneller trocknen. Sie hat Taxi-A-Go-Go von ihrem Ehemann Mortimer übernommen, als dieser vor sechs Jahren wegen eines Herzinfarkts ins Gras gebissen hat, und das waren sechs reichlich karge Jahre. Sie schafft es kaum, den Betrieb am Laufen zu halten, und wenn es nicht die Freitag- und Samstagabende geben würde, hätte sie schon längst dichtmachen müssen. Es gab mal eine Zeit, als Mortimer noch die Zügel in der Hand hatte, da waren tagsüber vier Fahrzeuge im Einsatz gewesen und nachts drei. Doch das war damals, bevor das Furnierwerk dichtgemacht hatte, wodurch auf einen Schlag sechshundert Arbeitsplätze weggefallen waren. Das hat Craw Falls einen guten Teil seiner Einwohner gekostet, und die, die jetzt noch da waren, ließ der Ort mehr oder weniger am ausgestreckten Arm verhungern.

      »Es ist sogar noch komischer als komisch«, erzählt Stan weiter. »Falls das wirklich stimmen sollte, was sie sagt, dann haben wir hier einen irren Killer, der in einem Clownskostüm unterwegs ist. Einen echten Psychopathen, der den Leuten die Kehle herausreißt.«

      Flo hört weiter zu und nickt interessiert, obwohl es offensichtlich ist, dass sie Stan kein Wort glaubt. Das ist nicht etwa ein vorschnelles Urteil, sondern das Ergebnis davon, viele lange Jahre seinen absurden Geschichten zugehört zu haben, bei denen er jedes Detail eines wahren Ereignisses so lange dehnt, verdreht und auf die Spitze treibt, bis es schließlich mit der Realität rein gar nichts mehr zu tun hat. Lügengeschichten sind nun mal genau Stans Ding. Während andere auf Alkohol, Drogen oder Pornos stehen, ist er süchtig nach urbanen Legenden und anderen Lügengebilden. Sie machen ihn glücklich und irgendwie high. Er kann die banalsten Dinge zu den kompliziertesten Verschwörungstheorien aufblasen, und interessanterweise kann er sogar andere dazu bringen, ihm zu glauben. Eigentlich ist er der geborene Politiker, hört Flo Mortimers Stimme in ihren Gedanken. Stan hat einfach ein Talent zum Scheiße labern. Er fährt allerdings inzwischen seit dreißig Jahren für Taxi-A-Go-Go und scheint offenbar nur wenig Ambitionen zu haben, etwas anderes zu tun – im Gegensatz zu allen anderen Fahrern, die regelmäßig kommen und gehen. Stan tut ihr sogar irgendwie leid, weil seine Lust am Lügen auf eine unglaublich traurige Wahrheit hindeutet, die er ganz tief in seinem Inneren zu begraben versucht.

      Er gehört zu den Leuten, die immer irgendeinen riesigen Deal in Vorbereitung haben, der jeden Moment zum ganz großen Wurf werden soll. Natürlich wird das nie passieren, doch er selbst scheint daran zu glauben, zumindest legt er alles daran, andere davon zu überzeugen, dass unter seiner erfolglosen Oberfläche ein wichtiger, bedeutender Mann steckt, der nur darauf wartet, herauszukommen.

      Da Flo einfach ein zu großes Herz hat, hört sie ihm wie immer zu und nickt eifrig, so wie sie es schon unzählige Male zuvor getan hat.

      »Das ist echt ein Ding, oder?«, fährt Stan aufgeregt fort. »Wenn man mal so darüber nachdenkt, ist das doch wie in so einer alten Fernsehsendung mit Alfred Hitchcock. Eine kleine Ortschaft fest in der Gewalt eines brutalen Blizzards, und mitten in dem ganzen Chaos ist dann auch noch ein irrer Killer hinter seinen nichts ahnenden Opfern her.«

      Flo ist sich nicht sicher, was Hitchcock damit zu tun hat. Für sie klingt das eher wie der Klappentext eines Groschenromans. Von denen hat sie im Büro eine ganze Kiste voll, um die vielen langen, einsamen Nächte herumkriegen zu können. Ihre Nichte sagt immer, sie solle sich einen E-Book-Reader zulegen, aber Flo kann ja schon ihren DVD-Player kaum bedienen.

      »Vielleicht wird das ja sogar landesweites Interesse hervorrufen. Die großen Fernsehsender und Zeitungen warten doch nur auf so was«, ereifert er sich und fuchtelt dann mit seinem Zeigefinger wild in der Luft herum. »So eine Story könnte ein Kaff wie Craw Falls ganz groß rausbringen und berühmt machen. Und Aufmerksamkeit bedeutet zugleich bares Geld. Warte nur ab, wenn die Journalisten erst mal hier anrollen, geht es Schlag auf Schlag, Flo!«

      Sie seufzt und klingt dabei fast wie der Wind, der um das Gebäude pfeift. »Jetzt mach aber mal halblang, Stan. Willst du das wirklich? Willst du, dass Craw Falls als Psychopathen-Paradies bekannt wird?«

      »Man muss halt mit dem arbeiten, was man kriegen kann.«

      »Ich weiß nicht … Geld könnte ich natürlich gebrauchen, aber wenn ich die Wahl zwischen Geld und so einem Ruf hätte, würde ich lieber pleite bleiben. Es ist doch unanständig, aus dem Leiden anderer Leute Profit zu schlagen.«

      »Verdammt«, erwidert er.

      Jetzt geht ein Funkruf ein und beendet ihr Gespräch. Es sind Lyle Stubbs und seine Frau Luanne. Sie sind im Whistle Stop und wollen nach Hause gefahren werden.

      »Die beiden haben mächtig einen im Tee«, erklärt Flo. »Und sie haben sich wie immer gestritten. Bist du sicher, dass du bei diesem Sturm fahren kannst?«

      »Mein alter Jeep kann immer und überall fahren, Flo.«

      Er zwinkert ihr zu und eilt dann zur Tür hinaus, wobei eine eisige Windböe hereinkommt, die es ihr kalt den Rücken hinunterlaufen lässt. Fünf Minuten später spürt sie diese fiese, Gänsehaut erzeugende Kälte immer noch, und das, obwohl ihre Ölheizung mit voller Kraft läuft. Sie macht jetzt schon seit vielen Jahren diese Nachtschichten, und normalerweise gefallen ihr die Einsamkeit und Ruhe, aber heute Nacht macht sie das Ganze irgendwie fertig. Sie ertappt sich dabei, wie sie sich unruhig umschaut und die Schatten und den Sturm auf der Straße nicht aus den Augen lässt. Der Wind fängt jetzt richtig an zu jaulen, und zum ersten Mal seit langer Zeit hat sie Angst.

      Kapitel 20

      Ein Clown! Wir jagen einen Clown! Patti Wayland sitzt vor dem Funkgerät im Büro des Sheriffs, welches sich im selben Gebäude wie das Schatzamt, das Gesundheitsamt und das Büro des Stadtrates befindet, und denkt darüber nach, was Peanut gerufen hat, als er mit dem Sheriff zusammen hinausgestürmt ist.

      »Ein Clown«, stößt sie leise hervor, »wir jagen einen Clown.«

      Es klingt wie ein total bescheuerter Spruch – einer, den sie eher anderen Hilfssheriffs wie Rich Wegley zutrauen würde. Denn dieser kleine Idiot labert gern Scheiße. Wenn der so etwas gesagt hätte, hätte sie einfach nur den Kopf geschüttelt und es nicht ernst genommen. Aber Peanut? Peanut macht nicht einfach grundlos so dumme, sarkastische Kommentare.

      Als Patti so dasitzt, denkt sie an diesen seltsamen Mister Clegg, den sie eingesperrt haben, und hört dabei den jaulenden Sturm. Das alles macht ihr irgendwie Angst.

      Diese Schreie, denkt sie, als sie mit zitternder Hand nach ihren Kaffee greift. Dieses grauenhafte Gekreische, wegen dem Peanut und der Sheriff nach draußen gestürmt sind. Was zur Hölle war das? »Ein Clown«, hatte Peanut geantwortet. »Wir jagen einen Clown.«

      Nur hatte er es nicht gesagt, als wäre es ein lustiger Spaß, sondern als ginge es um die schrecklichste Bedrohung, die man sich nur vorstellen kann.

      Und jetzt sitzt Patti nur ratlos herum und hofft, dass die beiden bald wiederkommen, damit sie Peanut fragen kann, was das Ganze sollte. Sie macht diesen Job nun schon seit sechs Jahren und hat dabei die verrücktesten Sachen gesehen (und gehört), die man sich nur vorstellen kann, doch das war von allem vielleicht das Krasseste.

      Es ist nicht viel los auf der Polizeifrequenz, und aus Gründen, die sie selbst nicht ganz versteht, findet sie auch das extrem beunruhigend. Der Sturm hat den ganzen Landkreis zwar mehr oder weniger stillgelegt, doch trotzdem hat diese Stille etwas Unnatürliches an sich, das ihr an die Nieren geht.

      Sie nippt weiter an ihrem Kaffee und liest in ihrer Lieblingszeitschrift Women's World, die sie sich jede Woche kauft.


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