Die schlechteste Hausfrau der Welt. Jacinta Nandi
Читать онлайн книгу.weiß nicht, ob diese Beziehung für dich das Beste ist.«
»Beziehungen mit Kindern sind immer scheiße, oder?«, sage ich. Baby Leo kommt zu mir und setzt sich auf meinen Schoß.
»Wahrscheinlich schon«, sagt sie.
Ich vernichte alle Beweisstücke und lege Kleidung und zwei Spielzeuge von Baby Leo über die schwarzen Flecken. Ich muss hart bleiben und die nicht aufheben, bevor mein Freund es tut. Dann sieht er die Flecken und denkt vielleicht, dass ich nicht schuld bin, oder nur indirekt.
Als Leo und ich in der S-Bahn sind, sagt eine alte deutsche Oma zu mir: »Ihr Kinderwagen ist so cleeeeeeeeeean. Das finde ich wirklich nett.« So wie ein Hipster redet sie, alles deutsch, aber clean auf Englisch, komisch. »Ach ja?«, frage ich begeistert. Vielleicht werde ich irgendwann mal gut genug für dieses Land sein, denke ich. »Ich habe so eine Mischung gemacht«, sage ich. »Eine Mischung?«, fragt sie. »Ein Rezept. Mit Essig und Backpulver, das auf Deutsch Natron heißt.«
Ein deutscher Mann lacht und redet mit mir Englisch.
»She means small«, sagt er auf Englisch. »Kleen. She has a typical Berlin accent.«
Er redet über sie, als ob sie ihn nicht hört, weil sie kein Englisch kann, der Arsch. Aber ich bin auch eine Idiotin, gedacht zu haben, sie wäre begeistert von der Sauberkeit meines Kinderwagens. So sauber er auch ist – und er ist jetzt super sauber –, aber das ist eigentlich das Mindeste, keine Sonderleistung.
»In England haben alle billige Kinderwagen«, sage ich ihr.
»Hier haben die deutschen Frauen entweder sehr teure Kinderwagen oder gar keine und tragen das Kind rum, als ob sie betteln gehen wollen.«
Ich lache, obwohl ich eigentlich denke, dass ich das Baby gerne getragen hätte, wenn ich keinen Kaiserschnitt gehabt hätte. Aber wenn deutsche Omis über deutsche Mamas lästern wollen, mache ich immer ganz unsolidarisch mit, nur um Small Talk zu machen. Jacinta, du falsche Schlange. Wir steigen aus der S-Bahn aus, der deutsche Mann sagt »Bye bye« zu uns und Baby Leo schreit »BAY BAY« und ich zeige der Oma, wo der Fahrstuhl ist. Ich hoffe, dass, wenn ich alt bin, die jungen deutschen Frauen auch so heuchlerisch nett zu mir sind wie ich gerade zu dieser Oma.
Als ich nach Hause komme, schläft Baby Leo noch, also google ich die Etymologie von clean und klein – ja doch, sie sind verwandt. Komisch, dass ich so lange gebraucht habe, um das zu merken. Normalerweise bin ich echt gut in so was. Habe sogar mal geträumt, dass morgen von morrow kommt, und hide (der Balg vom Tier) von Haut. Ich merke voll viel bei Wörtern, denke ich, ich merke immer die Gruppen von Wörtern, die zusammenpassen – alles mit st am Anfang bleibt still: stable, steady, still, stagnant, alles mit sl am Anfang ist locker und entspannt: sloppy, slovenly, slimy, slinky, slippery, slither, slow, sleepy. Immer wenn ich eine neue Verbindung zwischen einem deutschen Wort und einem englischen Wort merke, kriege ich so ein schönes Gefühl im Kopf – das Gegenteil von Kopfschmerzen. Ich denke, die Leute, die gut im Putzen sind, bemerken Flecken, wie ich Laute merke, und sortieren gerne Wäsche, so wie ich gerne Wörter sortiere.
Baby Leo fängt an zu weinen, ich hole ihn raus aus dem Kinderwagen und küsse ihn auf seine zarten Wangen.
»Du bist so cleeeeeeeean«, flüstere ich ihm auf Deutsch zu, und er lacht.
»Telly«, sagt er. »Piss?«
Wenn er piss sagt, meint er please. Diese Wörter sind gar nicht verwandt, er spricht nur schlecht. Trotzdem ist es ziemlich wahrscheinlich, dass er was kriegt, wenn er piss sagt.
»Telly?«, sage ich.
»Piss!«, sagt er.
Ich lache. Irgendwie ist es komisch, dass ich gleichzeitig so glücklich und so traurig sein kann.
59 Minuten
Ich würde nie sagen, dass das Leben mit einem Baby langweilig ist, aber manchmal ist das Interessanteste am Tag die Reise zu Kaufland. Und heute hat die Reise zu Kaufland 59 Minuten gedauert.
Das Baby ist jetzt 14 Monate alt. Als der Teenager 14 Monate alt war, war er kein Baby mehr für mich, aber wahrscheinlich bleibt das Baby wegen des Teenagers in meinen Augen für immer ein Baby. Oder? Der Teenager wird morgen 14 Jahre alt. VIERZEHN JAHRE ALT! VIERZEHN!! Eigentlich erwachsen, in Schottland und in Game of Thrones darf er heiraten. Ich weiß leider gar nicht, was er jetzt machen darf nach dem deutschen Gesetz. Weil ich so schlecht integriert bin. Wahrscheinlich Pornos mit toten Tieren drin gucken und bei Kommunalwahlen abstimmen. In England dürfte er im Restaurant Wein zum Essen bekommen. Darf er das hier? Keine Ahnung. Habe dem Teenager mal versprochen, dass er mit 14, also direkt an seinem 14. Geburtstag, Reservoir Dogs gucken darf, aber jetzt sagt er, Tarantino-Filme sind sowieso Schnee von gestern außer Django Unchained, den er schon gesehen hat.
Das Baby, das jetzt kein Baby mehr ist, war damals, als es noch ein echtes Baby war, ein Stillverweigerer. Jetzt ist es ein Kinderwagenverweigerer. Obwohl der Wagen jetzt so sauber ist! Der Rücken hart wie Eisen und krumm vor Widerstand. Keine Chance. Wenn der Teenager und mein Freund beide da sind, können wir ihn in den Kinderwagen zwingen, aber dann bleiben Omas stehen, um zu kontrollieren, ob sie nicht das Jugendamt anrufen sollen, weil es so gewalttätig aussieht. Wenn ich alleine mit dem Baby bin, habe ich die Kinderwagenbenutzung aufgegeben, und wir laufen.
Wir laufen. Wir laufen langsam. Wir laufen und laufen. Wir laufen von der Bäckerei zum Kaufland. Mit Kinderwagen dauert das 6 Minuten, vielleicht 7. Wir laufen. Wir laufen jetzt. Minuten und Minuten und Minuten und Minuten vergehen. Sie vergehen so langsam wie wir laufen. Das Problem ist nicht, dass das Baby besonders langsam läuft. Eigentlich läuft es gut. Eigentlich rennt es toll. Das Problem ist, dass es stehen bleibt.
Das Baby bleibt stehen, um Hunde anzugucken. Ooooh, oooh, sagt er. Ich gucke ihn an, ich kann das verstehen, denke ich. Stell dir vor, du bist ein Baby, neu auf der Welt, alles ist neu, du bist wie ein Alien, der gerade gelandet ist, und du siehst plötzlich einen Hund. Ist das ein kleiner haariger Mensch, denkst du, oder ist das ein laufender Teddybär? Oder halb Mensch, halb Bär? Ooooh, oooh, sagt das Baby. Ich gucke auf mein Handy, ganz kurz. 20 Minuten laufen wir schon.
Das Baby bleibt stehen, um einen Baum anzufassen.
Ooooh, oooh, sagt es. Ich gucke ihn an, ich kann das doch verstehen, denke ich. Stell dir vor, du bist ein Baby und du siehst einen Baum. Keine Ahnung, was er dabei denkt, aber er will das anfassen. Der Baum fühlt sich wahrscheinlich schön an. Ooooh, oooh, sagt er dabei. »Magst du die Bäume?«, frage ich, vielleicht wird er später Gärtner, denke ich, wenn es noch Gärten geben sollte, wenn er erwachsen ist.
Das Baby bleibt stehen, um eine Straßenlaterne ganz leicht zu streicheln. Ooooh, oooh, sagt er. Ich kann auch das verstehen, denke ich. Stell dir vor, du bist ein Baby und du siehst eine Straßenlaterne. Wahrscheinlich will er prüfen, ob das ein Baum aus Metall ist oder nicht. Ooooh, oooh, sagt das Baby. »Das ist eine Straßenlaterne«, sage ich. »Damit es in der Nacht noch Licht gibt.« Ooooh, oooh, sagt er. Vielleicht wird er doch Elektriker, denke ich.
Das Baby bleibt stehen, um einen Stuhl zu prüfen. Oooh, oooh, sagt er. Dann klettert er drauf und sitzt da wie ein Buddha und macht Winke-winke zu den Obdachlosen. Ich kann es verstehen, denke ich, stell dir vor, du bist ein Baby, und du hast gerade gelernt, wie man auf Stühle klettert. Woher soll er wissen, dass er auf den Stühlen in der Wohnung sitzen soll, aber die auf der Straße ignorieren muss? Oooooh, oooh, sagt das Baby und ab und zu HIIIIIIIIIIIIII, wenn ein Obdachloser sehr freundlich winkt.
Das Baby bleibt stehen, um alten Müll in den Mund zu stecken. Kleine Stöcke und so, die Packung von einem Lolly.
Ooooh, oooh, sagt er. Ich nehme ihm den Müll aus dem Mund, das Baby schreit mich an, NEIN!, schreit er. NEIN! »Du darfst Müll nicht essen«, sage ich. Das Baby schenkt mir einen Stein. Mein Herz schmilzt vor Liebe, aber ich weiß ganz genau, dass wir nie im Kaufland ankommen werden. Bis wir im Kaufland ankommen, ist die AfD an der Macht. »Ist dieser Stein für mich?«, frage ich. Das Baby sagt nichts zurück. Ich schmeiße den Stein weg,