Der Trotzkopf. Emmy von Rhoden

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Der Trotzkopf - Emmy von Rhoden


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      Als Fräulein Güssow mit Ilse eintrat, erhob sich schnell ein junges Mädchen von ungefähr siebzehn Jahren, das mit einem Buche in der Hand am Fenster gesessen hatte. Es war ein schlankes, zartgebautes Wesen, mit goldblondem Haar, das sie in einem Knoten aufgesteckt trug, mit blauen Augen und mit schelmischen Grübchen in den Wangen, sobald sie lachte. Es war Ellinor Grey, eine Engländerin.

      "Hier bringe ich dir Ilse Macket, Nellie," so wurde der Engländerin Namen allgemein abgekürzt. "Ich denke, du wirst dich ihrer liebreich annehmen."

      "O ja, ich werde ihr sehr lieben," antwortete Nellie und reichte der Neuangekommenen die Hand. "Bleibt die Hund auch hier?" fragte sie.

      "Nein," sagte Fräulein Güssow.

      "O wie schade! Es ist ein so süßes Tier!" Und sie streichelte Bob.

      Es klang so drollig und sie sah so schelmisch aus, daß Ilse sofort sich von ihr angezogen fühlte. Gern hätte sie noch ein Weilchen dem komischen Geplauder Nellies zugehört, aber sie mußte dem Fräulein folgen, die sich vorgenommen hatte, ihr einige Schulräume zu zeigen. Zuerst öffnete sie die Thür zu dem Musikzimmer, dann gingen sie in den Zeichensaal und zuletzt wurde Ilse in den sogenannten großen Saal geführt. Die junge Lehrerin erzählte ihr, daß in demselben alle Examen und zuweilen auch Festlichkeiten stattfänden. Ilse hörte mit halbem Ohre, sie hatte nämlich durch eine offenstehende Thür einen Blick in eine leerstehende Klasse gethan und Schulbänke darin entdeckt. Dort eingeklemmt sollte sie von jetzt an sitzen, nicht aufstehen dürfen, wenn es ihr beliebte – o, es war entsetzlich! Ein Grauen überkam sie plötzlich, ihr war, als würde ihr die Brust zusammengeschnürt.

      "In welche Klasse meinst du, daß du kommen wirst?" fragte das Fräulein, "deinem Alter nach müßtest du wohl in die erste versetzt werden. Hast du deine Arbeitsbücher mitgebracht? Wie steht es mit den Sprachen? Französisch und Englisch sind dir wohl geläufig, da du stets, wie dein Papa schrieb, eine englische oder französische Gouvernante hattest."

      Von unten herauf tönte eine Glocke. Dies war eine sehr gelegene Unterbrechung für Ilse, der es unheimlich bei dem Examen wurde. Sie sagte, daß sie nicht wisse, wie weit sie sei, französisch glaube sie sprechen zu können.

      "Nun laß nur, mein Kind," meinte das Fräulein, "heute wollen wir noch nicht an das Lernen denken, bei deiner Prüfung morgen werden wir ja sehen, welch kleine Gelehrte du bist. – Wir wollen jetzt hinunter in den Speisesaal gehen, die Glocke hat uns zu Tisch gerufen."

      Als sie in denselben eintraten, fanden sie die Vorsteherin mit dem Oberamtmann bereits dort. Erstere machte ihn mit der herkömmlichen Einrichtung während des Essens bekannt. Zum Beispiel, daß die zuletzt angekommene Pensionärin stets ihren Platz neben der Vorsteherin angewiesen erhalte. Dann, daß zwei junge Mädchen wöchentlich den Tisch zu besorgen hatten. Dieselben mußten denselben decken und genau acht geben, daß nichts fehlte und sämtliche Gegenstände sauber und blank waren. Die Jüngste der Pensionärinnen sprach stets das Tischgebet.

      Dem Oberamtmann gefielen die Anordnungen vortrefflich und als er seinen Blick über die junge Mädchenschar hingleiten ließ, mußte er seine Freude aussprechen, wie gesund und fröhlich fast alle aussahen.

      Ilse sah auch umher, aber es waren nicht die fröhlichen und gesunden Gesichter, die sie interessierten, sondern die Schürzen. Jede Einzelne trug ein solches von ihr verachtetes Ding, und Fräulein Raimar sah nicht aus, als ob sie eine Ausnahme bei ihr gelten lassen würde.

      Nach dem Gebete wurden die Speisen aufgetragen. Dieselben waren kräftig und gut gekocht, und Herr Macket konnte sich überzeugen, daß sein Kind auch in dieser Hinsicht gut versorgt sein werde.

      Nach dem Essen verabschiedete er sich bald, und Ilse durfte ihn begleiten. Nellie hatte kaum davon gehört, als sie wie der Wind die Treppe hinaufflog, um gleich darauf mit Ilses Hut und Handschuhen zurückzukommen.

      Diese dankte ihr dafür, und Herr Macket reichte ihr die Hand.

      "Leben Sie wohl, mein Fräulein," sagte er herzlich, denn Nellie hatte durch diese kleine Aufmerksamkeit ihn sofort für sich eingenommen, "und haben Sie Geduld mit meinem kleinen Wildfang."

      "O ja," entgegnete Nellie, "ich werde mir schon gern von sie annehmen."

      "Nun, Ilse, wie gefällt dir das Institut?" fragte der Oberamtmann, als sie auf der Straße gingen, "ich gestehe, daß ich sehr befriedigt von hier abreise, ich weiß, ich lasse dich in guten Händen."

      "Mir gefällt es gar nicht hier!" erklärte Ilse höchst verstimmt. "Es ist mir alles so fremd, und vor dem grauen Fräulein mit dem blonden, glatten Scheitel fürchte ich mich. Sie ist so hart, so ungefällig! Du sollst sehen, Papa, sie ist nicht gut gegen mich. Warum soll ich Bob nicht behalten?"

      "Du hast gehört, weshalb nicht, nun mußt du auch nicht mehr so hartnäckig auf deinen Wunsch zurückkommen," verwies er sie leicht.

      "Nun fängst auch du an, mit mir zu zanken! Niemals hast du so böse mit mir gesprochen," rief Ilse schmerzlich beleidigt. Und sie fühlte sich in dem Gedanken, daß kein Mensch, selbst der Papa nicht, sie leiden möge, so unglücklich, daß das große Mädchen auf offner Straße zu weinen anfing.

      Der Oberamtmann nahm ihren Arm und legte ihn in den seinigen. Des Kindes Thränen machten ihn so weich.

      "Aber Kleines," sagte er zärtlich und versuchte zu scherzen, "was machst du denn? Sollen dich die Leute auslachen, wenn das große, kleine Mädchen weint?"

      Er führte sie zurück in das Hotel und dort fanden sie bereits Bob. Freudig bellend begrüßte er Ilse, und diese nahm ihn hoch und liebkoste ihn unter lautem Schluchzen.

      Um fünf Uhr reiste der Oberamtmann wieder zurück in die Heimat. Die wenigen Stunden bis dahin vergingen schnell und stürmisch. Je näher der Abschied rückte, desto aufgeregter wurde Ilse, und es bedurfte seiner ganzen Festigkeit, um ihrem Wunsche, sie wieder mit nach Moosdorf zu nehmen, entgegenzutreten.

      "Sei doch verständig!" Wie oft bat er sie in dringendem Tone darum, wenn sie in leidenschaftlicher Erregung allerhand Drohungen ausstieß, wie:

      "Ich laufe heimlich davon," oder "ich werde so ungezogen sein, daß mich das böse Fräulein wieder fortschickt!" Er wußte, sie werde beides nicht thun, aber es machte ihm doch Kummer, seinen Liebling so trostlos zu sehen.

      Sie wollte ihn wenigstens zur Bahn begleiten, auch das litt Herr Macket nicht.

      "Ich fahre dich zurück in das Institut und dann allein zur Bahn. So ist es am besten. Nun komm, Ilschen," fuhr er fort, als der Wagen unten vorfuhr, und nahm sie zärtlich in den Arm, "und versprich mir ein gutes, folgsames Kind zu sein. Du sollst einmal sehen, wie bald du dich eingewöhnt haben wirst."

      Sie hing sich an seinen Hals und mochte sich nicht von ihm trennen. Es fiel ihr mit einemmal schwer auf das Herz, wie sehr sie den Papa gequält hatte in den letzten Stunden.

      "Sei mir gut, mein lieber, lieber Papa!" bat sie, "sei mir gut! Du bist ja der einzige Mensch auf der Welt, der mich lieb hat!"

      Als der Wagen vor der Anstalt hielt, trennte sich Ilse lautschluchzend von ihrem Vater, und als sie denselben davonfahren sah, war es ihr zu Mute, als ob sie auf einer wüsten Insel allein zurückgelassen, elendiglich untergehen müsse.

      II.

      Noch eine Weile stand sie vor der verschlossenen Pforte, sie konnte sich nicht entschließen, an der Klingel zu ziehen. Da wurde die Thür von selbst geöffnet und Fräulein Güssow stand in derselben. Sie hatte von einem Fenster in der oberen Etage den Wagen kommen sehen und war hinuntergeeilt, um Ilse zu empfangen.

      "Jetzt gehörst du zu uns, liebes Kind," sagte sie mit


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