Der Trotzkopf. Emmy von Rhoden

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Der Trotzkopf - Emmy von Rhoden


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      Ilse gab keine Antwort, sie fühlte sich so unglücklich, daß selbst der liebevolle Empfang der jungen Lehrerin kein Echo in ihrem Herzen fand.

      "Möchtest du auf dein Zimmer gehen?" fragte diese.

      Ilse nickte stumm, sie hielt noch immer das Tuch gegen die Augen gedrückt.

      "Nellie!" rief Fräulein Güssow, "gehe mit Ilse hinauf und sei ihr beim Auspacken ihrer Sachen behilflich. Du möchtest doch sicher gern deine Sachen in Ordnung haben, liebe Ilse."

      Sie wußte sehr wohl, daß Ilse durchaus nicht diesen Wunsch hatte, aber sie wußte auch, daß die Thätigkeit das beste Heilmittel gegen Kummer und Herzeleid ist.

      Die beiden Mädchen begaben sich auf ihr Zimmer. Ilse setzte sich auf einen Stuhl, behielt den Hut auf dem Kopfe und starrte zum Fenster hinaus. Es fiel ihr nicht ein, ihre Sachen auszupacken, und sie war geradezu empört, daß man Dinge von ihr verlangte, die den Dienstboten zukämen. Nellie hatte schweigend den Schrank geöffnet und die Schubladen der Kommode aufgezogen, dann sah sie Ilse an, ob diese sich nicht erheben werde.

      "Gieb mich deiner Schlüssel, ich werde aufschließen die Koffers," sagte sie, "wir müssen auspacken."

      Unlustig verließ Ilse ihren Platz und da sie an irgend etwas ihren augenblicklichen Unmut auslassen mußte, nahm sie ihren Hut vom Kopfe und warf ihn mitten in das Zimmer.

      "Warum soll ich alles auspacken? Ich weiß gar nicht, ob ich hier bleiben werde," sagte sie. "Mir gefällt es hier nicht!"

      Nellie hatte den Hut aufgenommen und ihn auf ein Bett gelegt. "O," sagte sie sanft, "du gewöhnst dir schon. Es geht uns alle wie dich, wenn wir kommen. Du mußt nur deiner Kopf nicht hängen lassen. Nun gieb die Schlüssels, daß ich öffnen kann."

      Ilses Trotz konnte durch keine Waffe besser geschlagen werden, als durch Nellies Sanftmut. Sie gab den Schlüssel und jene schloß auf und begann auszuräumen. Ilse stand dabei und sah zu.

      "O, du mußt dich dein Sachen selbst aufräumen in dein Kommode," sagte Nellie. "Ich werde dich alles zureichen."

      Ilse hatte wenig Lust dazu, Ordnung kannte sie nur dem Namen nach. Sie nahm die sauber, mit roten Bändern gebundene Wäsche und warf sie achtlos in die Schubkasten, es war ihr gleich, wie alles zu liegen kam. Nellie sah diesem Treiben einige Augenblicke zu, dann fing sie an zu lachen.

      "Was machst du?" fragte sie. "Weißt du nicht, wie Ordnung ist? Taschentücher, Kragen, Schürzen – alles wirfst du durcheinander. Das sieht sehr bunt aus. Hübsch nebeneinander mußt du es machen, so –," und sie zog einen Kasten nach dem andern in ihrer Kommode auf und zeigte Ilse, wie sauber dort alles geordnet lag.

      "Das kann ich nicht!" entgegnete Ilse. "Uebrigens fällt es mir auch gar nicht ein, so viel Umstände um die dummen Sachen zu machen!"

      "Dumme Sachen!" wiederholte Nellie. "O Ilse, wie kannst du so sagen! Sieh diesen feinen Taschentücher, wie sie schön gestickt, – o und diese süße Schürzen! Und du hast die schwere Bücher daraufgethan – wie hast du sie zerdrückt! – Laß nur sein," fuhr sie fort, als Ilse im Begriffe war, Schuhe und Stiefel auf die Wäsche zu werfen, "ich werde ohne dir machen – du verstehst nix!"

      Ilse ließ sich das nicht zweimal sagen. Ruhig sah sie zu, wie Nellie das Schuhzeug nahm und es unten in den Kleiderschrank stellte, wie sie überhaupt jedem Dinge den rechten Platz gab.

      "O, ein schönes Buch!" rief diese plötzlich und nahm ein Buch aus dem Koffer, das höchst elegant in braunen Samt gebunden und mit silbernen Beschlägen verziert war. In der Mitte des Deckels befand sich ein kleines Schild, auf welchem eingraviert war: Ilses Tagebuch.

      Ilse nahm dasselbe Nellie aus der Hand und sah es verwundert an. Was war das für ein Buch? Sie wußte nichts davon. Ein kleiner Schlüssel steckte in dem Schlosse desselben und als sie es aufgeschlossen hatte, fiel ein beschriebenes Blatt ihr gerade vor die Füße. Sie hob es auf und las:

      Mein liebes Kind!

      Möge dieses Buch Dein treuer Freund in der Fremde sein. Wenn Dein Herz schwer ist, flüchte zu ihm und teile ihm mit, was Dich bedrückt. Es wird verschwiegen sein und Dein Vertrauen nie mißbrauchen.

      Gedenke in Liebe

      Deiner

      Mama.

      Ohne ein Wort zu sagen, legte Ilse das Buch beiseite. Sie empfand keinen Funken Freude über die reizende Ueberraschung, auch blieben die liebevollen Worte der Mutter ohne Eindruck auf sie.

      "Freut dir das Buch nicht?" fragte Nellie, die sich über diese Gleichgültigkeit wunderte.

      Ilse schüttelte den Kopf. "Was soll ich damit?" fragte sie und ihr hübscher, frischer Mund zog sich trotzig in die Höhe, "ich schreibe niemals etwas hinein. Ich werde froh sein, wenn ich meine Aufgaben gemacht habe. Zu langen, unnützen Geschichten habe ich keine Zeit und keine Lust."

      "Ich würde viel Freude haben, wenn ich ein Mutter hätte, die mir so beschenkte," sagte Nellie traurig.

      "Ist deine Mutter tot?" fragte Ilse teilnehmend.

      "O sie ist lange, lange tot," entgegnete Nellie. "Sie starb, als ich noch eines klein Baby war. Meine Vater ist auch tot – ich bin ganz allein. Niemand hat mir recht von Herzen lieb."

      "Arme Nellie," sagte Ilse und ergriff ihre Hand. "Aber du hast Geschwister?"

      "O nein! keine Schwester – ganz allein! Ein alte Onkel laßt mir in Deutschland ausbilden, und wenn ich gutes Deutsch gelernt habe, muß ich ein Gouvernante sein."

      "Gouvernante!" rief Ilse erstaunt. "Du bist doch viel zu jung dazu! Alte Mädchen können doch erst Gouvernanten werden!"

      Ueber diese naive Anschauung mußte Nellie herzlich lachen, und nun war ihre traurige Stimmung wieder verschwunden und ihre angeborene Heiterkeit brach hervor, wie der Sonnenstrahl durch graue Wolken. Auf Ilse aber hatte Nellies Verlassensein einen tiefen Eindruck gemacht.

      "Laß mich deine Freundin sein," bat sie in ihrer kindlich offnen Weise, "ich will dich auch sehr lieb haben."

      "Gern sollst du meine Freundin sein," entgegnete Nellie und reichte Ilse die Hand. "Du hast mich von der erste Augenblick so nett gefallen."

      Der große Koffer war nun leer, und Nellie ergriff den kleinen und war eben im Begriffe die Riemen desselben loszuschnallen, als Ilse ihr ihn unsanft aus der Hand nahm.

      "Der bleibt geschlossen!" sagte sie, "du darfst nicht sehen, was darin ist!"

      "O je! Was du machst so böse Augen!" rief Nellie und stellte sich höchst erschrocken. "Hast du Heimlichkeiten in der kleine Koffer? Ist wohl Kuchen und Wurst darin?"

      Nellie begleitete ihre Worte mit so komischen Gebärden, daß Ilse lachen mußte. Sie bereute auch schon ihre Heftigkeit.

      "Ich war recht heftig, Nellie, sei mir nicht böse," bat sie. "Wenn du mich nicht verraten willst, dann werde ich dir zeigen, was darin ist; aber gieb mir die Hand darauf, daß du schweigen wirst."

      Nellie legte den Zeigefinger auf den Mund und besiegelte mit einem Händedrucke ihre Verschwiegenheit.

      Jetzt nahm Ilse den Schlüssel, den sie am schwarzen Bande um den Hals trug, und als sie eben im Begriffe war aufzuschließen, wurde zum Abendessen geläutet.

      "O wie schade!" rief Nellie, die vor Neugierde brannte, die geheimnisvollen Schätze zu sehen. "Nun müssen wir hinunter und erst nach die Schlafgehen


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