Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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Sie zu pro­vo­zie­ren und Sie zu zwin­gen, sich zu du­el­lie­ren.«

      Aus der Fer­ne hör­te man die Stim­me der al­ten Dame.

      »Ma­de­moi­sel­le«, sag­te der Mar­quis, »mei­nen Dank …«

      Sei­ne Gön­ne­rin war be­reits ge­flüch­tet, als sie die Stim­me ih­rer Her­rin hör­te, die aber­mals aus den Fel­sen gell­te.

      »Ar­mes Mäd­chen! Die Un­glück­li­chen ver­ste­hen und hel­fen ein­an­der im­mer«, dach­te Ra­pha­el, wäh­rend er sich un­ter einen Baum setz­te.

      Der Schlüs­sel zu al­len Wis­sen­schaf­ten ist un­be­strit­ten das Fra­ge­zei­chen; wir ver­dan­ken die meis­ten großen Ent­de­ckun­gen dem Wie, und die Le­bens­weis­heit be­steht viel­leicht dar­in, sich bei je­der Ge­le­gen­heit zu fra­gen: Wa­rum. Aber das künst­li­che Vor­her­wis­sen zer­stört auch un­se­re Il­lu­sio­nen. So hat­te Va­len­tin, ohne lan­ge phi­lo­so­phi­sche Er­wä­gung, die gute Tat der al­ten Jung­fer zum Ge­gen­stand sei­ner un­s­te­ten Ge­dan­ken ge­macht und fand lau­ter Gal­le dar­in.

      »Daß ich von ei­ner Ge­sell­schafts­da­me ge­liebt wer­de«, dach­te er sich, »ist kein Wun­der; ich bin sie­ben­und­zwan­zig Jah­re alt, bin Mar­quis und habe zwei­mal 100 000 Li­vres im Jahr! Aber daß ihre Her­rin, die den Kat­zen die Pal­me der Was­ser­scheu strei­tig macht, sie im Boot in mei­ne Nähe ge­führt hat, ist das nicht selt­sam, fast wun­der­bar? Die­se bei­den Frau­en­zim­mer, die nach Sa­voy­en ge­kom­men sind, um hier wie Mur­mel­tie­re zu schla­fen, die des Mit­tags fra­gen, ob schon Tag ist, soll­ten heu­te vor acht Uhr auf­ge­stan­den sein, um die­ses Wag­stück, mich auf­zu­spü­ren, zu un­ter­neh­men!«

      Bald war die­se alte Jung­fer und ihre vier­zig­jäh­ri­ge Un­schuld in sei­nen Au­gen eine neue Ver­wand­lung die­ser künst­li­chen und tücki­schen Welt, eine elen­de List, ein täp­pi­sches Kom­plott, eine bos­haf­te Spitz­fin­dig­keit, die ein Pries­ter oder eine Frau er­son­nen hat­te. War das Duell ein Mär­chen, oder woll­te man ihm nur Angst ein­ja­gen? Die­se dürf­ti­gen See­len, die frech und auf­dring­lich wie Flie­gen wa­ren, durf­ten sich rüh­men, sei­ne Ei­tel­keit er­regt, sei­nen Stolz ge­weckt, sei­ne Neu­gier ge­kit­zelt zu ha­ben. Er woll­te we­der ihr Narr sein noch als Feig­ling gel­ten, und da ihn die­se Pos­se zu amü­sie­ren an­fing, ging er noch am näm­li­chen Abend ins Kur­haus. Er stütz­te sich auf den Mar­mor des Ka­mins und blieb ru­hig in der Mit­te des großen Sa­lons ste­hen, sorg­sam be­dacht, sich kei­ne Blö­ße zu ge­ben; aber er prüf­te die Mie­nen und bot viel­leicht ge­ra­de durch die­se Um­sicht der Ge­sell­schaft die Stirn. Wie eine Dog­ge, die ih­rer Kraft si­cher ist, war­te­te er den Kampf ru­hig ab, ohne un­nütz zu bel­len. Ge­gen Ende des Abends schlen­der­te er durch den Spiel­sa­lon bis zur Tür des Bil­lard­zim­mers, von wo aus er von Zeit zu Zeit einen Blick auf die jun­gen Leu­te warf, die dort eine Par­tie spiel­ten. Nach kur­z­er Zeit hör­te er sei­nen Na­men nen­nen. Ob­wohl sie lei­se spra­chen, er­riet Ra­pha­el doch so­fort, daß sich der Dis­put um ihn dreh­te, und schließ­lich hör­te er ei­ni­ge Sät­ze, die laut ge­spro­chen wur­den: »Du?« – »Ja, ich!« – »Ich trau dirs nicht zu!« »Wol­len wir wet­ten?« – »Oh! Es gilt!« Als Va­len­tin, der neu­gie­rig war zu hö­ren, worum sich die­se Wet­te dreh­te, ste­hen­blieb, um das Ge­spräch bes­ser zu hö­ren, trat ein großer, kräf­ti­ger jun­ger Mann von gut­mü­ti­gem Aus­se­hen, aber mit dem fes­ten, un­ver­schäm­ten Blick der Leu­te, die sich auf ir­gend­ei­ne ma­te­ri­el­le Macht stüt­zen, vom Bil­lard her auf ihn zu.

      »Mon­sieur«, sag­te er ru­hi­gen To­nes zu Ra­pha­el, »ich habe es auf mich ge­nom­men, Ih­nen et­was bei­zu­brin­gen, was Sie nicht zu wis­sen schei­nen: Ihr Ge­sicht und Ihre Per­son miß­fal­len hier je­der­mann und mir im be­son­de­ren. Sie sind zu gut er­zo­gen, um sich nicht dem all­ge­mei­nen Wohl zu op­fern; ich er­su­che Sie da­her, sich nicht mehr im Kur­haus zu zei­gen.«

      »Die­ser Scherz, Mon­sieur«, er­wi­der­te Ra­pha­el kalt, »mach­te schon zur Zeit des Kai­sers in meh­re­ren Gar­ni­so­n­en die Run­de. Heut­zu­ta­ge zeugt er von ei­nem äu­ßerst schlech­ten Be­neh­men.«

      »Ich scher­ze nicht«, er­wi­der­te der jun­ge Mann; »ich wie­der­ho­le Ih­nen: wenn Sie hier­her­kom­men, lei­det Ihre Ge­sund­heit; die Hit­ze, die Lich­ter, die schlech­te Luft im Saal, die Ge­sell­schaft, all das muß bei Ihrem Lei­den schäd­lich sein.«

      »Wo ha­ben Sie Me­di­zin stu­diert?«

      »Ich habe den Bak­ka­lau­reus im Schie­ßen bei Le­pa­ge in Pa­ris ge­macht und den Dok­tor bei Gri­sier, dem Kö­nig des Flo­retts.«

      »Der letz­te Grad fehlt Ih­nen noch, stu­die­ren Sie das Ge­setz­buch des gu­ten Tons, und Sie wer­den ein voll­kom­me­ner Edel­mann.«

      Jetzt ver­lie­ßen die jun­gen Leu­te, teils la­chend, teils schwei­gend, das Bil­lard. Die an­de­ren Spie­ler wur­den auf­merk­sam und lie­ßen ihre Kar­ten im Stich, um Zeu­gen ei­nes Streits zu sein, der sie an­ge­nehm kit­zel­te. Ra­pha­el stand in­mit­ten die­ser Ver­samm­lung von Fein­den al­lein da; er gab sich Mühe, kal­tes Blut zu be­wah­ren und nicht die ge­rings­te Un­be­son­nen­heit zu be­ge­hen; aber als sein Geg­ner sich eine sar­kas­ti­sche Be­mer­kung er­laub­te, die in ei­ner äu­ßerst schnei­den­den und wit­zi­gen Form eine gro­be Be­lei­di­gung ver­barg, ant­wor­te­te er ihm ernst: »Mon­sieur, es ist heut­zu­ta­ge nicht mehr ge­stat­tet, je­man­dem eine Ohr­fei­ge zu ge­ben, aber ich fin­de kein Wort, um ein so er­bärm­li­ches Be­neh­men wie das Ihre zu brand­mar­ken.«

      »Ge­nug! ge­nug! Sie kön­nen sich mor­gen er­klä­ren!« rie­fen ei­ni­ge jun­ge Leu­te und trenn­ten die Strei­ten­den.

      Ra­pha­el galt als Be­lei­di­ger. Als er den Sa­lon ver­ließ, war ver­ein­bart, daß man sich in der Nähe des Schlos­ses Bor­deau, auf ei­ner klei­nen Berg­wie­se, tref­fen woll­te, die un­weit ei­ner neu­en Stra­ße ge­le­gen war, auf wel­cher der Sie­ger Lyon er­rei­chen konn­te. Es blieb Ra­pha­el nichts üb­rig, als ent­we­der das Bett zu hü­ten oder die Bä­der von Aix zu ver­las­sen. Die Ge­sell­schaft tri­um­phier­te. Am nächs­ten Mor­gen ge­gen acht Uhr traf Ra­phaels Geg­ner in Beglei­tung von zwei Zeu­gen und ei­nem Wund­arzt zu­erst an Ort und Stel­le ein.

      »Der Platz ist gut; das Wet­ter ist fa­mos, um sich zu schla­gen!« rief er fröh­lich. Er blick­te auf das blaue Him­mels­ge­wöl­be, das Was­ser des Sees und die Fel­sen, ohne einen Hauch von Zwei­fel oder Be­sorg­nis. »Wenn ich ihn an der Schul­ter tref­fe«, fuhr er fort, »schi­cke ich ihn dann wohl für einen Mo­nat ins Bett, nicht wahr, Dok­tor?«

      »Min­des­tens«, er­wi­der­te der Wund­arzt. »Aber las­sen Sie die klei­ne Wei­de da in Ruhe; sonst er­mü­den Sie Ihre Hand und ha­ben Ihren Schuß nicht in der Ge­walt. Sie könn­ten Ihren Geg­ner tö­ten, statt ihn zu ver­wun­den.«

      Man hör­te das Ras­selns ei­nes Wa­gens.

      »Da ist er!« sag­ten die Zeu­gen. Bald sah man auf der Stra­ße einen vier­spän­ni­gen Rei­se­wa­gen, der von zwei Po­stil­lio­nen ge­lenkt wur­de.

      »Son­der­ba­re Art!« rief Va­len­tins Geg­ner. »Er will sich auf der Rei­se tö­ten las­sen.«

      Bei ei­nem Duell wie beim Spiel ha­ben auch die ge­rings­ten Ne­ben­säch­lich­kei­ten auf die Phan­ta­sie der Teil­neh­mer, die am Er­folg ih­rer Sa­che stark in­ter­es­siert sind, großen


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