Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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be­fand sich ein klei­ner See, des­sen kla­res Was­ser wie ein Dia­mant er­strahl­te. Um die­ses tie­fe, von Gra­nit, Wei­den, Schwert­li­li­en, Eschen und tau­sen­der­lei duf­ten­den, in vol­ler Blü­te pran­gen­den Pflan­zen ge­säum­te Be­cken dehn­te sich eine grü­ne Wie­se wie ein eng­li­scher Ra­sen; ihr zar­tes, schmieg­sa­mes Gras nahm das Was­ser auf, das aus den Fels­s­pal­ten si­cker­te, und wur­de von den pflanz­li­chen Über­res­ten ge­düngt, die die Stür­me von den ho­hen Gip­feln un­abläs­sig in die Tie­fe trie­ben. Un­re­gel­mä­ßig ge­zackt wie der Spit­zensaum ei­nes Frau­en­ge­wan­des moch­te der Wei­her etwa drei Mor­gen groß sein; je nach dem Platz, den die her­vor­tre­ten­den Fels­wän­de oder die Krüm­mun­gen der Was­ser­flä­che ihr lie­ßen, war die Wie­se einen oder zwei Mor­gen breit; an ei­ni­gen Stel­len al­ler­dings war kaum so viel Platz, daß die Kühe hin­durch­ge­lan­gen konn­ten. In ei­ner be­stimm­ten Höhe hör­te der Pflan­zen­wuchs auf. Der Gra­nit rag­te in den ab­son­der­lichs­ten For­men gen Him­mel und zeig­te die duns­ti­gen Töne, wel­che die ho­hen Ber­ge Wol­ken glei­chen las­sen. Dem lieb­li­chen An­blick des klei­nen Ta­les setz­ten die­se kah­len, nack­ten Fel­sen das wil­de, trost­lo­se Bild der Öde ent­ge­gen, des Schre­ckens der Berg­stür­ze und so phan­tas­ti­scher For­men, daß ei­ner die­ser Fel­sen »der Ka­pu­zi­ner« ge­nannt wird, so sehr äh­nelt er ei­nem Mönch. Je nach dem Stand der Son­ne oder den Lau­nen der At­mo­sphä­re leuch­te­ten die­se spit­zen Na­deln, die­se küh­nen Pfei­ler, die­se luf­ti­gen Höh­len zu­wei­len auf und schim­mer­ten gol­den, färb­ten sich pur­purn, tief rosa, oder nah­men trü­be oder graue Töne an. Die­se Hö­hen bo­ten stän­dig ein wech­seln­des Far­ben­spiel, wie das schil­lern­de Ge­fie­der auf dem Hals der Tau­ben. Oft drang zwi­schen zwei La­v­ablö­cke, die aus­sa­hen, als hät­te sie ein Beil aus­ein­an­der­ge­hau­en, in der Mor­gen­rö­te oder beim Son­nen­un­ter­gang ein fro­her Licht­strahl in die­ses la­chen­de Schmuck­körb­chen, wo er auf den Was­sern des Tei­ches spiel­te, ähn­lich dem gol­de­nen Strei­fen, der durch den Spalt ei­nes Fens­ter­la­dens in ein spa­ni­sches Zim­mer dringt, das man sorg­fäl­tig für die Sies­ta ge­schlos­sen hat. Wenn die Son­ne über dem al­ten Kra­ter stand, der von ir­gend­ei­ner vor­sint­flut­li­chen Re­vo­lu­ti­on her mit Was­ser ge­füllt war, er­wärm­ten sich die schrof­fen Fels­wän­de, der alte Vul­kan ent­brann­te, und sei­ne plötz­li­che Glut er­weck­te in die­sem un­be­kann­ten Fleck­chen Erde die Kei­me, ließ einen üp­pi­gen Pflan­zen­wuchs ge­dei­hen, färb­te die Blu­men und reif­te die Früch­te. Als Ra­pha­el dort­hin kam, er­blick­te er ei­ni­ge Kühe, die auf der Wie­se wei­de­ten; nach­dem er ein paar Schrit­te zum See ge­tan hat­te, ge­wahr­te er an der Stel­le, wo das Tal am brei­tes­ten war, ein be­schei­de­nes Haus, das aus Gra­nit er­baut und mit Schin­deln ge­deckt war. Das Dach die­ser Hüt­te füg­te sich in die Land­schaft ein: es war mit Moos, Efeu und Blu­men be­wach­sen, die auf ein ho­hes Al­ter schlie­ßen lie­ßen. Dün­ner Rauch, vor dem die Vö­gel kei­ne Scheu mehr hat­ten, stieg aus dem ver­fal­le­nen Schorn­stein. Vor der Tür stand zwi­schen zwei rie­si­gen Geiß­blatt­sträu­chern, die, mit ro­ten Blü­ten über­sät, einen wun­der­vol­len Duft aus­ström­ten, eine große Bank. Kaum sah man die Mau­ern un­ter den Ran­ken der Weinre­ben und den Ge­win­den der Ro­sen und des Jas­mins, die un­ge­hin­dert em­por­wu­cher­ten. Die Be­woh­ner küm­mer­ten sich nicht um die­sen länd­li­chen Schmuck und lie­ßen der Na­tur ihre jung­fräu­li­che und ele­men­ta­re An­mut. Auf ei­nem Jo­han­nis­beer­strauch wa­ren Win­deln zum Trock­nen auf­ge­hängt. Eine Kat­ze hock­te auf ei­nem Gerät zum Flachs­bre­chen, dar­un­ter stand in ei­nem Hau­fen Kar­tof­fel­scha­len ein frisch ge­scheu­er­ter gel­ber Koch­kes­sel. Auf der an­de­ren Sei­te des Hau­ses er­blick­te Ra­pha­el ein Ge­he­ge aus dür­ren Dorn­sträu­chern, das of­fen­bar die Hüh­ner da­von ab­hal­ten soll­te, die Obst­sträu­cher und Ge­mü­se­bee­te zu plün­dern.


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