Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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stör­te mei­ne Plä­ne und Voraus­set­zun­gen. Nichts­de­sto­we­ni­ger trat ich mu­tig ein und sah bald ne­ben mir zwei Hun­de, die wie wah­re Dorf­kö­ter bell­ten. Auf die­sen Lärm hin kam ein dickes Dienst­mäd­chen her­bei­ge­lau­fen, und als ich ihr ge­sagt hat­te, daß ich die Frau Grä­fin spre­chen woll­te, zeig­te sie mit der Hand auf die Baum­grup­pen ei­nes eng­li­schen Parks, der sich um das Schloß her­um­zog, und ant­wor­te­te mir: »Die gnä­di­ge Frau ist dort …«

      »Dan­ke«, sag­te ich iro­nisch. Ihr »dort« konn­te mich zwei Stun­den lang im Park um­her­ir­ren las­sen.

      In­zwi­schen war ein hüb­sches klei­nes Mäd­chen mit lo­cki­gen Haa­ren, ei­nem rosa Gür­tel um das wei­ße Kleid und ei­nem plis­sier­ten Kra­gen da­zu­ge­kom­men und hör­te oder be­griff mei­ne Fra­ge und die Ant­wort. Als sie mich ge­se­hen hat­te, ver­schwand sie wie­der und rief in et­was schar­fem Ton: »Mama, da ist ein Herr, der dich spre­chen will!« Ich folg­te über die Win­dun­gen der Al­leen hin dem Auf und Ab ih­res wei­ßen Kra­gens, der, ähn­lich ei­nem Irr­licht, mir den Weg an­zeig­te, den das klei­ne Mäd­chen ein­schlug.

      Ich will nichts ver­schwei­gen. Bei dem letz­ten Ge­büsch der großen Al­lee hat­te ich mei­nen Kra­gen hin­auf­ge­zo­gen, mei­nen schlech­ten Hut und mei­ne Bein­klei­der mit den Schö­ßen mei­nes Rockes, mei­nen Rock mit den Är­meln und die­se, einen mit dem an­dern ge­rei­nigt; dann hat­te ich den Rock sorg­fäl­tig zu­ge­knöpft, um den Stoff der Auf­schlä­ge, der im­mer et­was fri­scher als das üb­ri­ge aus­sieht, se­hen zu las­sen; end­lich ließ ich die Bein­klei­der über die Stie­fel her­ab, die ich sorg­sam im Gra­se ge­rei­nigt hat­te. Dank die­ser Gas­ko­gner-Toi­let­te hoff­te ich, nicht für einen Land­strei­cher der Un­ter­prä­fek­tur ge­hal­ten zu wer­den; aber wenn ich mich in die­se Stun­de mei­nes Ju­gend­le­bens heu­te zu­rück­ver­set­ze, so muß ich selbst dar­über la­chen.

      Gera­de als ich mich so in Po­si­tur ge­setzt hat­te, be­merk­te ich plötz­lich hin­ter der Krüm­mung ei­nes grü­nen Ge­bü­sches in­mit­ten von tau­send, von ei­nem war­men Son­nen­strahl über­gos­se­nen Blu­men Ju­li­et­te und ih­ren Mann. Das hüb­sche klei­ne Mäd­chen hielt die Mut­ter an der Hand, und man konn­te leicht wahr­neh­men, daß die Grä­fin auf die merk­wür­di­gen Wor­te ih­res Kin­des hin ihre Schrit­te be­schleu­nigt hat­te. Er­staunt über den An­blick ei­nes Un­be­kann­ten, der sich ziem­lich lin­kisch vor ihr ver­beug­te, blieb sie ste­hen und zeig­te mir ein Ge­sicht, auf dem sich küh­le Höf­lich­keit mit ei­nem ent­zücken­den Schmol­len misch­te, das alle ihre ge­täusch­ten Hoff­nun­gen ver­riet. Ich such­te aber ver­geb­lich nach ei­ni­gen mei­ner schö­nen Re­dens­ar­ten, die ich mir so müh­sam aus­ge­klü­gelt hat­te. Wäh­rend die­ses Mo­ments, da wir bei­de zu spre­chen zö­ger­ten, war auch der Ehe­gat­te auf dem Schau­platz er­schie­nen. Tau­send Ge­dan­ken durch­kreuz­ten mein Hirn. Um mir et­was Hal­tung zu ge­ben, re­de­te ich ei­ni­ge nichts­sa­gen­de Wor­te, in­dem ich frag­te, ob die hier an­we­sen­den Per­so­nen auch wirk­lich der Herr Graf und die Frau Grä­fin von Mont­per­san sei­en. Die­ses Ge­schwätz ge­stat­te­te mir, die bei­den Ehe­gat­ten, de­ren Zu­rück­ge­zo­gen­heit so hef­tig ge­stört wer­den soll­te, mit ei­nem ein­zi­gen Blick zu be­ur­tei­len, und mit ei­ner für mein Al­ter sel­te­nen Scharf­sich­tig­keit über ih­ren Cha­rak­ter klar zu wer­den. Der Mann schi­en mir der Ty­pus des Lan­de­del­man­nes zu sein, wie er au­gen­blick­lich den schöns­ten Schmuck der Pro­vinz bil­det. Er trug gro­be Schu­he mit di­cken Soh­len; ich er­wäh­ne sie zu­erst, weil sie mir noch mehr ins Auge fie­len, als sein schwar­zer, ab­ge­tra­ge­ner Rock, sei­ne ab­ge­schab­te Hose, sei­ne schlecht ge­bun­de­ne Kra­wat­te und sein her­un­ter­ge­drück­ter Hemd­kra­gen. Es steck­te in die­sem Man­ne et­was von ei­nem Rich­ter, viel mehr von ei­nem Prä­fek­tur­rat, die gan­ze Wich­tig­keit ei­nes kan­to­na­len Bür­ger­meis­ters, dem nie­mand Wi­der­stand zu leis­ten ver­mag, und die Ver­stim­mung ei­nes wähl­ba­ren Kan­di­da­ten, der seit dem Jah­re 1816 re­gel­mä­ßig durch­ge­fal­len war; er wies eine un­wahr­schein­li­che Mi­schung von bäu­ri­schem prak­ti­schem Ver­stan­de und von Dumm­heit auf; kei­ne Ma­nie­ren, aber den Dün­kel der Rei­chen; star­ke Un­ter­tä­nig­keit sei­ner Frau ge­gen­über, sonst aber sich für den ge­bie­ten­den Her­ren hal­tend, der in den un­er­heb­lichs­ten Din­gen Wi­der­stand leis­tet, sich aber um die wich­ti­gen An­ge­le­gen­hei­ten nicht küm­mert; im üb­ri­gen ein ver­leb­tes, sehr runz­li­ges, ver­trock­ne­tes Ge­sicht mit ei­ni­gen we­ni­gen grau­en, lan­gen, flach an­lie­gen­den Haa­ren, so war die Er­schei­nung die­ses Man­nes. Aber die Grä­fin! Oh, wel­chen star­ken und auf­fal­len­den Ge­gen­satz bil­de­te sie zu ih­rem Man­ne! Sie war eine klei­ne Frau von schlan­ker, gra­zi­öser Fi­gur, rei­zend, zier­lich und so zart, daß man fürch­ten muß­te, sie beim Berüh­ren zu zer­bre­chen; sie trug ein wei­ßes Mus­se­lin­kleid und auf dem Kop­fe ein hüb­sches Häub­chen mit rosa Bän­dern, einen rosa Gür­tel und einen Um­hang, der ihre Schul­tern und ihre schö­ne Büs­te so reiz­voll um­schloß, daß der An­blick die un­wi­der­steh­li­che Be­gier­de, sie zu be­sit­zen, auf­kei­men ließ. Sie hat­te leb­haf­te, schwar­ze, aus­drucks­vol­le Au­gen, reiz­vol­le Be­we­gun­gen und ent­zücken­de Füße. Ein al­ter er­fah­re­ner Frau­en­ken­ner hät­te sie höchs­tens auf drei­ßig Jah­re ge­schätzt, so viel Ju­gend leuch­te­te auf ih­rer Stirn und zeig­te sich in den ge­rings­ten Ein­zel­hei­ten ih­res Kop­fes. Was ih­ren Cha­rak­ter an­langt, so er­in­ner­te sie auch gleich­zei­tig an die Grä­fin de Li­gnol­les und an die Mar­qui­se de B …, zwei Frau­en­ty­pen, die sich im Ge­dächt­nis ei­nes jun­gen Man­nes, der den Ro­man von de Lou­vet ge­le­sen hat, im­mer le­ben­dig er­hal­ten. Mir wur­den plötz­lich alle Ge­heim­nis­se die­ser Ehe klar, und ich faß­te den Ent­schluß, di­plo­ma­tisch wie ein al­ter Ge­sand­ter vor­zu­ge­hen. Es war das viel­leicht das ein­zi­ge Mal in mei­nem Le­ben, daß ich rich­ti­gen Takt ent­wi­ckel­te, und daß ich be­griff, worin die Ge­schick­lich­keit von Höf­lin­gen und Welt­leu­ten be­stand.

      Seit die­sen Ta­gen un­be­küm­mer­ten Da­seins habe ich all­zu vie­le Kämp­fe durch­fech­ten müs­sen, als daß ich die un­be­deu­ten­den Hand­lun­gen im Le­ben auf die Wag­scha­le le­gen und die tau­send Vor­schrif­ten der Eti­ket­te und des gu­ten Tons hät­te er­fül­len kön­nen, die die edel­mü­tigs­ten Re­gun­gen des Her­zens er­sti­cken.

      »Herr Graf, ich möch­te mit Ih­nen al­lein spre­chen«, sag­te ich mit ge­heim­nis­vol­ler Mie­ne, wäh­rend ich ei­ni­ge Schrit­te zu­rück­trat.

      Er folg­te mir. Ju­li­et­te ließ uns al­lein und ent­fern­te sich, un­be­küm­mert wie eine Frau, die si­cher ist, die Ge­heim­nis­se ih­res Man­nes zu er­fah­ren, so­bald sie sie zu wis­sen wünscht. Ich er­zähl­te dem Gra­fen kurz den Tod mei­nes Rei­se­be­glei­ters. Der Ein­druck die­ser Nach­richt be­wies mir, daß er eine war­me Zu­nei­gung zu sei­nem jun­gen Mit­ar­bei­ter hat­te, und die­se Ent­de­ckung gab mir den Mut zu mei­ner Ant­wort in dem Zwie­ge­spräch, das nun zwi­schen uns bei­den sich ent­spann.

      »Mei­ne Frau wird in Verzweif­lung sein,« rief er, »und ich wer­de alle Vor­sicht ge­brau­chen müs­sen, wenn ich sie von die­sem un­glück­se­li­gen Er­eig­nis in Kennt­nis set­ze.«

      »Wenn ich mich zu­erst an Sie wand­te, Herr Graf,« sag­te ich, »so habe ich da­mit eine Pf­licht er­füllt. Ich woll­te mich die­ses Auf­trags, mit dem mich ein Un­be­kann­ter


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