Wenn sie mich finden. Terri Blackstock
Читать онлайн книгу.nach dem Artikel greifen. Diese Geschichte würde niemand ignorieren.
Ich frage mich, ob die Polizei in Shreveport es Dylan anlasten wird, dass ich ihnen entkommen bin. Er hatte den Auftrag, mich zu finden. Warum hat er mich einfach davonkommen lassen?
Es gibt nur eine Erklärung: Gott muss seine Hand im Spiel gehabt haben.
In den letzten Tagen habe ich mich mehr als einmal an ihn gewandt. Ich kenne ihn kaum. Aber ich glaube, er kennt mich. Als mir die Augen zufallen, flüstere ich noch ein „Danke“, bevor der Schlaf mich einholt.
2
Dylan
Ich gestehe freimütig: Casey Cox ist der mutigste Mensch, der mir je begegnet ist – und ich kenne junge Männer, die haben sich über Granaten geworfen, um ihre Kameraden zu schützen. Aber über Gordon Keegan oder Sy Rollins kann ich das nicht sagen – die beiden Kriminalermittler, die Casey auf den Fersen sind. Für sie ist sie eine tickende Zeitbombe, die entschärft werden muss, bevor sie die krummen Touren der beiden auffliegen lässt und es mit dem bequemen Leben vorbei ist.
Detective Keegan sitzt auf dem Beifahrersitz neben mir. Ich bringe ihn zurück zu seinem Flugzeug – das er wahrscheinlich mit Blutgeld gekauft hat – und kann die Spannung im Wagen mit Händen greifen.
„Ich kann nicht glauben, dass Sie sie einfach haben laufen lassen“, bemerkt er.
Ich presse meinen Kiefer so fest zusammen, dass es schmerzt. „Ich war abgelenkt. Das Mädchen, das Cox retten wollte, schrie und dann war da dieser Kerl, der versuchte, sie und das Baby umzubringen. Die klassische Triage: Ich habe mich um die Situation gekümmert, die mir am brenzligsten erschien.“
„Aber Sie wussten, dass es Casey war.“ Seine Lippen sind schmal, zusammengepresst, die Worte kommen knapp. „Hier ging’s nicht um ein Entweder-oder. Sie hätten das Mädchen und ihr Baby rausholen und Casey trotzdem festnehmen können.“
„Mitten im Gefecht laufen die Dinge selten so, wie sie sollten.“
Keegan wirft mir einen mörderischen Blick zu. „Kommen Sie mir nicht mit solchem Geschwafel. Ich war bei Desert Storm dabei, und zwar an der Front. Ich hab mich nicht hinter einem Dienstgradabzeichen versteckt.“
Er weiß nicht, dass ich Kriminalermittler in der Armee war. Ich antworte nicht.
„Damals haben wir unsere Jungs nicht so verhätschelt und sie mit weinerlichen Ausreden nach Hause gehen lassen. Wenn man damals von der Armee zurückkam, musste man anpacken und es selbst zu etwas bringen.“
Tatsächlich? Bei Desert Storm gab es keine posttraumatischen Belastungsstörungen? Oder in Vietnam? Korea? In den Weltkriegen? Das hat alles erst mit dem Krieg gegen den Terror begonnen? Keegan ist ein noch größerer Idiot, als ich dachte. Mit welchem Vorwand er wohl seine Erpressereien und Morde rechtfertigt? Wird er darauf auch vor Gericht zurückgreifen, wenn ich ihn endlich für all seine Vergehen zur Rechenschaft ziehe?
„Ich finde sie“, sage ich. „Keine Sorge. Ich hab sie ja auch hier aufgespürt, oder? Ich weiß allmählich, wie sie handelt, wie sie denkt. Jede Minute, die ich mit Ihnen verbringe, ist eine Minute, in der ich nicht hinter ihr her sein kann.“
Wir erreichen den kleinen Flugplatz und ich parke vor der Abfertigungshalle. Keegan schüttelt den Kopf. „Fahren Sie auf die Rollbahn. Ich zeig Ihnen, zu welcher Maschine.“ Ich steuere am Gebäude vorbei aufs Flugfeld und er greift nach seiner Reisetasche auf dem Rücksitz.
„Gehört der Flieger Ihnen?“, frage ich, während mein Blick über die vielleicht zwanzig Maschinen gleitet.
Er zögert eine halbe Sekunde, was ein Eingeständnis ist. Danach folgt in der Regel eine Lüge. „Einem Freund. Er leiht sie mir ab und zu.“
Ich kenne eine Menge Piloten. Wer eine eigene Maschine hat, verleiht sie in der Regel nicht wie einen Rasenmäher. Die Versicherung kostet ein Vermögen und gilt nicht für Gastpiloten und jeder zusätzliche Flug erhöht den Wartungsaufwand erheblich. Aber das behalte ich für mich.
„Schon mal daran gedacht, fliegen zu lernen, Dylan?“
„Im College hab ich Flugstunden genommen“, sage ich. „Ich hab die Lizenz, aber ich bin schon Jahre nicht mehr geflogen.“
Keegan sieht enttäuscht aus. Ich würde ihm gern sagen, er soll’s nicht so schwernehmen, aber ich halte den Mund und er dirigiert mich zu seiner Cessna 182.
Als er sein Gepäck in die einmotorige Maschine wuchtet, notiere ich mir die Registriernummer. Er kommt noch mal zum Auto und beugt sich durchs Fenster. „Und was machen Sie als Nächstes?“
„Ich nehme die Spur auf. Seh mich nach ihr um.“
„Unsinn“, sagt er. „Fahren Sie nach Hause. Ich weiß noch nicht, ob wir Sie in dem Fall weiter brauchen. Wir haben ja jetzt die Aufmerksamkeit jeder einzelnen Polizeistation in fünf Bundesstaaten. Und die Medien werden diese Geschichte landesweit bringen. Wo sie auch hinkommt, man wird sie identifizieren. Wir brauchen Sie nicht mehr.“
Ich spare mir die Erwiderung, dass Casey nicht dumm ist, dass sie eine neue Tarnung finden wird. Vermutlich hat sie das bereits. „Ich arbeite nicht für Sie“, sage ich und bemühe mich um einen neutralen Ton. „Ich arbeite für die Paces.“ Brents Eltern, die mich als Privatermittler engagiert haben, damit ich das Mädchen finde, das sie für die Mörderin ihres Sohnes halten, werden ebenso wenig erfreut sein wie Keegan, dass ich sie habe davonkommen lassen. Aber wenn mich schon irgendjemand feuert, dann müssen sie es sein.
„Das wird sich klären. Kommen Sie mit nach Hause. Zeit für ein bisschen Erholung. Und um die Sache in Ruhe zu überdenken.“
Ich nicke. Wenn ich ihn in Shrevesport aufsuche, kostet das wertvolle Zeit, in der Casey sich weiter absetzen kann. „Schön. Ich mach mich gleich auf den Weg. Sehen wir uns morgen?“
„Ja. Kommen Sie um eins auf die Wache. Bis dahin habe ich mit dem Polizeichef gesprochen und auch mit den Paces. Dann sehen wir weiter.“
Das lässt auch mir Zeit, mit ihnen zu reden. Wir verabschieden uns mit Handschlag. Wenn ich den verweigern würde, wüsste er, dass ich ihn durchschaut habe. Als ich den Wagen wende, hat er schon mit dem Check für den Flug begonnen.
Ich werde fast die ganze Nacht im Auto sitzen, wenn ich jetzt heimfahre. Unterwegs bete ich für Casey. Dass sie genug Zeit hat, ein sicheres Plätzchen zu finden, bevor Keegan sich auf ihre Fährte setzt.
Als ich nach Hause komme, ist es schon fast Morgen. Die Wohnung ist stickig. Und dieser Geruch, der mir schon aufgefallen ist, als ich einzog, ist wieder da. Ich vermute, wenn man mal ein paar Tage von einem Ort weg ist, verfeinert sich der Geruchssinn und ist leicht beleidigt, wenn man wiederkommt.
Ich werfe einen Blick in Kühlschrank und Mülleimer, ob da etwa etwas verrottet. Dann schütte ich einen Klecks Spülmittel in den Abfluss und lasse Wasser nachlaufen. Der Fäulnisgeruch verschwindet, aber das Aroma der Vormieter nicht. Vermutlich wird mein Hirn sich in den nächsten Tagen wieder daran gewöhnt haben und es nicht mehr bemerken.
Ich öffne die Tür zu meinem schmalen Balkon und trete hinaus an das verrostete Geländer. Wenn ich mich vorbeuge, kann ich den Parkplatz sehen, wo ein junges Pärchen einen Streit austrägt. Sie droht, sie werde gehen, und er keift zurück. Als sie tatsächlich losfährt, schmeißt er ihr Schimpfworte nach. Dann stürmt er in eine Wohnung unten im Haus und wirft die Tür zu.
Jetzt ist alles wieder still.
Ich lasse mich in den Liegestuhl sinken, auf dem sich Blütenstaub gesammelt hat, und stelle die Füße auf den umgedrehten Plastikkübel. Die altvertraute Bedrohung liegt in der Luft und macht mir das Atmen schwer. Meine Therapeutin nennt es Depression und will der Sache auf den Grund gehen.
Ich habe ihr gesagt, wie enttäuscht ich von mir selbst bin, dass ich