Elijah & seine Raben. Georg Sporschill
Читать онлайн книгу.dazu, innezuhalten und zurückzublicken. Jesus möchte, dass das Erlebte vom Kopf ins Herz sinkt. Erkennen heißt nach der Bibel, mit dem Herzen verstehen. Der Prophet Jeremia hört, wie Gott den verschleppten Israeliten im Exil sagt: »Ich gebe ihnen ein Herz, damit sie erkennen, dass ich der Herr bin.« (Jeremia 24,7) Sie sollen erkennen, wie liebevoll Gott seine Augen auf sie richtet und sie heimkehren lässt. Es geht um mehr als ein intellektuelles Erfassen. Erkennen in der Bibel bedeutet Lieben, bis hin zur körperlichen Liebe. Adam erkannte Eva, Maria antwortete auf die Botschaft, dass sie ein Kind empfangen werde, sie habe keinen Mann erkannt. In unserer Bibelstelle möchte Jesus, dass die Jünger erkennen, was er mit der Fußwaschung an ihnen getan hat; dieselbe Liebeskraft will er in ihnen freisetzen.
Die arme Mutter fand Trost, weil sie im Besuch Tieferes erkannt hat. Aus der pädagogischen Frage, die Jesus stellt: »Erkennt ihr, was ich an euch getan habe?«, macht Ignatius von Loyola eine Übung für jeden Tag: »Von der Seele Rechenschaft fordern: angefangen von der Stunde des Aufstehens bis zur gegenwärtigen Erforschung, von Stunde zu Stunde oder von Zeitabschnitt zu Zeitabschnitt; und zwar zuerst über die Gedanken, dann über die Worte und dann über die Taten.« (Exerzitien 43) Wenn ich innehalte und zurückschaue auf das, was mir gelungen oder misslungen ist, baut sich Sprungkraft auf für den nächsten Schritt. Je mehr ich begreife, was an mir geschieht, desto mehr Kräfte werden wach, selber etwas zu tun.
Auf wen kannst du dich ganz
und gar verlassen?
Vor zwanzig Jahren haben wir Iulian von der
Straße aufgenommen. Jetzt ist er mein Begleiter auf riskanten Wegen.
Ruth Zenkert
Ihr sagt zu mir Meister und Herr und ihr nennt
mich mit Recht so; denn ich bin es.
JOHANNES 13,13
Es war später Nachmittag, als Iulian mich aus dem Büro holte. Wir wollten eine neue Laufstrecke ausprobieren, in der Ebene, damit es nicht so anstrengend bergauf ging. Wir liefen aus dem Dorf hinaus, am Bach entlang, durch saftige Wiesen, das Laufen fiel leicht, und so bemerkten wir gar nicht, wie schnell wir uns dem Ziel, dem nächsten Dorf, genähert hatten. Schafe blökten, und da sahen wir auch schon die Herde, die uns entgegenkam. Nichts wie weg, war mein erster Gedanke. Wenn die scharfen Hunde uns riechen, bevor der Hirte uns sieht und sie zurückpfeifen kann, wird es unangenehm. Mit Horrorgebell und fletschenden Zähnen rasen sie auf einen zu, und wenn sie die Angst spüren, die man in dem Moment nicht haben soll, steigert sich ihr Eifer noch. So bogen wir auf einen Weg nach links ab, der sich glücklicherweise anbot; weil wir so locker dahingelaufen waren, wollten wir den unbekannten Weg zurück durch den Wald nehmen. Wir kamen auf eine Kuhweide und standen plötzlich vor einem Gestrüpp. Eine kleine Gymnastikübung, sagten wir uns, unten durch, und dann finden wir leicht den Weg durch das schmale Wäldchen. In den letzten Jahren hatte sicher keine Menschenseele diesen Dschungel betreten, Bäume und Büsche waren wild gewachsen, Dornbüsche machten den Urwald fast unbegehbar. Zuerst kämpften wir uns tapfer durch das stachelige Gebüsch, dann war nur noch Kriechen möglich. Es ging so steil hinunter, dass wir uns kaum an den vielen morschen Ästen halten konnten, dann wieder jäh hinauf. Mein Hemd war zerrissen, ich blutete am Ohr, Arme und Beine waren zerkratzt, der Schweiß rann mir von der Stirn. Ich blieb stehen und versuchte mich zu orientieren. Wir waren Richtung Westen weggelaufen, jetzt war die Sonne hinter uns. Wir hätten doch längst aus dem Wald heraus sein müssen, so breit war er nicht. Warum sahen wir nicht die Kirchturmspitze? Warum hörten wir nicht die Autos von der Straße? In spätestens einer Stunde würde es dunkel sein. Wenn wir in die falsche Richtung gelaufen waren, dann mussten wir Stunden, Tage gehen, bis wir wieder in ein Dorf kamen, das wusste ich. Wir liefen weiter, entsprechend dem Sonnenstand; nie die Richtung verlieren, nicht im Kreis laufen! Ich spürte Panik aufsteigen. Wie sollten wir hier übernachten? Es war viel zu kalt, und wenn Wildschweine und Bären kamen? Jetzt keine Angst zeigen, sonst dreht Iulian auch noch durch. Wir liefen und krochen weiter, auf und ab, durch die Dornen. Entdeckten einen kleinen Bach und folgten seinem Lauf, gingen auf einem Pfad mit Tierspuren, kamen auf einen kleinen Weg – und waren plötzlich aus dem Dickicht draußen. Eine Waldlichtung, ein Weg, Menschen! In rasendem Tempo liefen wir nach Hause. Am Tor gestand ich Iulian: Ich hatte eine Wahnsinnspanik im Wald. Er schaute mich verwundert an. Wirklich? Ich nicht. – Hast du nicht Angst gehabt, dass wir nicht mehr aus dem Wald herausfinden und dort übernachten müssen? –Nein. Du warst ja dabei.
Wann wird aus einem Schüler ein Gesandter?
Wer gibt meinen Worten Gewicht?
In wessen Namen trete ich auf? Wer sendet mich?
Georg Sporschill
Amen, Amen, ich sage euch: Der Sklave ist nicht größer
als sein Herr und der Abgesandte ist nicht größer als der,
der ihn gesandt hat.
JOHANNES 13,16
Zwei elegante Sechzehnjährige erschienen bei uns in Hosman: Bebe und Ricardo. Der eine war mit drei Jahren aus einem Babyheim, der andere mit zehn von der Straße zu Concordia gekommen. Mami Irina, ihre Mutter bei Concordia, hatte sie auserwählt, in den Ferien Musikunterricht für unsere Roma-Kinder zu geben. In schwarze Hosen und blütenweiße Hemden gekleidet, gingen die beiden, stolz über die ihnen anvertraute Aufgabe, noch am selben Abend durchs Dorf und luden alle zum Mitmachen ein. Am nächsten Tag war der Schulraum voller Kinder. Was wir in den Wochen zuvor mit einem professionellen Lehrer nicht geschafft haben, klappte nun: Die beiden Burschen brachten den Kindern einfache Rhythmen auf den Trommeln bei. Am Schluss ließen sie jeden aufstehen und sich vor den Zuhörern verneigen. Sie machten mehrere Übungen, bis sich alle gemeinsam tief verbeugten. Dann lobten Bebe und Ricardo jeden einzelnen Schüler, vor allem ein kleines Mädchen, das mit dem Rhythmus nicht mitgekommen war. Sie braucht es am meisten, sagte Bebe und zwinkerte mir zu. Abends fragte ich die Burschen, wie der Tag gewesen war. Ganz ernst meinten sie, die Kinder seien respektvoll und talentiert. Doch ein großes Problem sei entstanden: »Sie reden uns mit ›Herr Professor‹ an. Wir haben uns gewehrt: ›Nein, bitte nicht! Wir sind doch auch Kinder wie ihr. Wir tun das nur, weil Mami Irina uns das aufgetragen hat. Wir geben weiter, was wir gelernt haben.‹«
Dieses Gelernte kam erst richtig zum Leuchten, als Bebe und Ricardo als Vertreter von Concordia den Auftrag erhielten, anderen zu helfen, verwahrloste Kinder zum Lernen zu motivieren. Ähnlich ist es Paulus und seinen Begleitern in Lystra ergangen. Als sie dort einen Gelähmten geheilt hatten, schrie die Menge: »Die Götter sind in Menschengestalt zu uns herabgestiegen« und wollte ihnen opfern. Paulus und sein Begleiter Barnabas »sprangen unter das Volk und riefen: Männer, was tut ihr? Auch wir sind nur Menschen, von gleicher Art wie ihr; wir bringen euch das Evangelium.« (Apostelgeschichte 14,14f.). Apostel sind zwar ähnlich dem, der sie gesandt hat, doch der Abgesandte ist auf keinen Fall größer als der Sendende. Das Alte Testament und das Römische Reich kennen das Botenprinzip der Bibel, das Jesus anwendet. Aus Schülern werden Boten, aus Kindern werden Erwachsene mit einer eigenen Aufgabe. Jesus hat aus seinen Schülern (hebräisch talmid) Apostel (schaliach) gemacht, die in die Welt hinausgehen sollten, um nicht sich, sondern ihn weiterzugeben. Ihre Botschaft ist größer als sie selbst, sie haben von dem, der sie gesandt hat, Gewicht verliehen bekommen.
Es wäre naiv zu glauben, dass es ausschließlich meine Leistungskraft, Stärke oder persönliche Glaubwürdigkeit ist, die meine Fähigkeit zu wirken ausmacht. Ich spreche immer auch im Namen von etwas Größerem.
Wer gibt meinen Worten Gewicht? In wessen Namen trete ich auf? Wer sendet mich?
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