Elijah & seine Raben. Georg Sporschill
Читать онлайн книгу.täglichen Brotes entbehren müssen; sie sollen das Wunder der Brotvermehrung nie vergessen. Auf dem Weg in das politische und religiöse Zentrum der Macht in Jerusalem erzählt er ihnen von den damit verbundenen Strapazen und Konflikten. Er akzeptiert ihre Überforderung und ihr Unverständnis, er versteht, dass eine solche Vorstellung der Zukunft schwer in ihre Köpfe geht. Bei einem Konfliktgespräch mit den Verantwortlichen über den Tempel provoziert Jesus mit den Worten: »Reißt ihn nieder, ich baue ihn in drei Tagen wieder auf.« Seine Jünger brauchen lange, um dieses Wort in das Werk Jesu einordnen zu können. Und als er beim Abschiedsmahl mit den Seinen Petrus die Füße waschen und damit das Geheimnis der Liebe zeigen will, antwortet er auf dessen Einwand: »Was ich tue, verstehst du jetzt noch nicht; doch später wirst du es begreifen.« Jesus gibt den Seinen Zeit zum Lernen, auch die Langsamen bekommen bei ihm eine Chance.
»Das verstehst du jetzt noch nicht!« Wie oft hören das Kinder von Eltern, Schüler von Lehrerinnen und Lehrern, Jugendliche von Erwachsenen. Gesprochen aus Sorge und in Liebe ist es ein mutiges Wort; gesprochen aus Denkfaulheit und mangelnder Zeit füreinander wird es zur feigen Ausrede. Gert Steinbäckers »Großvater, kannst du net owakommen auf an schnell’n Kaffee, Großvater, i möcht dir so viel sogn, was i erst jetzt versteh« zeugt von einer gesunden Einsicht des Erwachsenen. Der Rabbi hat sich Zeit gelassen, um zu verstehen, eine Zeit, wie sie Jesus auch seinen Jüngern gab.
Manchmal bin ich schwer von Begriff. Wo habe ich länger gebraucht etwas zu verstehen?
Ein Becher Wasser überbrückte
tiefe Gräben
Wasser macht achtsam für die Liebe, die uns
entgegenkommt. Wasser über die Hände, über die Füße,
im Becher – ob in der Roma-Hütte oder in den
Gotteshäusern.
Georg Sporschill
Petrus entgegnete ihm: Niemals sollst du mir die Füße waschen! Jesus erwiderte ihm: Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir.
JOHANNES 13,8
In der Sommerhitze ging ich mit Gästen hinunter an den Bach, wo die vielen kleinen Hütten der Roma-Bevölkerung stehen. Manche nennen diesen Teil des Dorfes »Dallas« und drücken damit ihre Ängste oder die Fremdheit der armseligen Siedlung aus. Ein tiefer Graben klafft zwischen den Bevölkerungsgruppen, oben und unten. Hier unten lungern Jugendliche herum, laute Musik dringt aus den Hütten, schwarze Hüte, rotbunte Kleider, Abfall, verwunderte Blicke, Mütter mit Babys auf dem Arm, Kinder laufen uns nach, Männer schauen abweisend.
Auf der Straße schleppten zwei Mädchen eine blaue Plastikkanne mit Wasser vom Dorfbrunnen. Alle paar Meter blieben sie stehen, weil die Henkel in ihre zarten Finger schnitten. Das spürte ich erst, als ich ihnen die Last abnehmen wollte. Schließlich brachten wir das Wasser gemeinsam bis zu ihrem Haus. Die Mutter bot uns großzügig einen Becher davon an. Ihre Kinder versammelten sich an der Türe, andere kamen noch dazu. Wir saßen auf dem Bett, dem einzigen Einrichtungsgegenstand im Raum. Das Wasser baute die Brücken in diese fremde Welt. Wir haben näher zu unserer neuen Aufgabe gefunden. Eine Schar Kinder begleitete uns auf dem Weg zurück, lachend brachten sie uns ein paar Worte Romanes bei.
Wasser symbolisiert die Liebe. Die Füße oder die Hände zu waschen bedeutet nach der Bibel, sich auf die Begegnung mit Gott vorzubereiten. Bevor die Priester, das Priestergeschlecht, Aaron und seine Söhne, das Offenbarungszelt betraten, wuschen sie sich Hände und Füße. Ebenso tat es Mose. Das Wasser dient noch mehr der kultischen als der physischen Reinheit. Durch das Wasser werden die Menschen beziehungsfähig, kultfähig, offen für die Begegnung mit Gott. Wasserriten finden wir in allen großen Religionen. Dafür gibt es die Brunnenanlagen vor den Moscheen, deshalb wäscht sich der Priester in der heiligen Messe die Hände und spricht das Psalmwort »Herr, wasche ab meine Schuld, von meinen Sünden mache mich rein«.
Jesus wäscht Petrus die Hände und Füße, um ihm Anteil an seiner Person zu geben. So wie die Priester im Offenbarungszelt in der Wüste durch die Waschung mit Gott in Beziehung traten, so gibt die Fußwaschung den Christen Anteil an Jesus. Denselben jüdischen Ritus missbraucht Pilatus, indem er sich damit von Jesus distanziert und jede Verantwortung ablehnt, mit den zynischen Worten: »Ich wasche meine Hände in Unschuld.«
Als ich Theologie studierte, machte uns der Spiritual den Vorschlag, die Hände zu waschen, bevor wir die Bibel aufschlugen. Da ging es zunächst nicht um die äußere Sauberkeit der Hände, sondern um ein inneres Sich-Öffnen. Diesen Brauch habe ich bewahrt, und er hilft mir heute noch, mit größerer Aufmerksamkeit das Wort in den heiligen Schriften zu lesen.
Wasser über die Hände, über die Füße, im Becher – ob in der Roma-Hütte oder in den Gotteshäusern. Wasser macht achtsam für die Liebe, die uns entgegenkommt.
Wer aufs Ganze geht, scheitert
Wo ist der Punkt, den ich verändern kann,
damit sich die ganze Welt verändert?
Ruth Zenkert
Da sagte Simon Petrus zu ihm: Herr,
dann nicht nur meine Füße, sondern auch
die Hände und das Haupt.
JOHANNES 13,9
Ich möchte mein Leben total ändern«, schrieb Benjamin in seiner Bewerbung für einen Volontärseinsatz in Rumänien. »Ich will aufhören zu saufen. Stattdessen will ich Sport machen, für den Herbst habe ich mich zum Marathonlauf angemeldet.« Ich konnte mir nicht vorstellen, wie er bei einer solchen Anstrengung Luft bekommen sollte, so viel rauchte er. Zudem war er fürs Laufen viel zu dick. Er war aus der Schule geflogen und suchte jetzt einen Neubeginn. Von seinem Wunsch, umzukehren, war ich beeindruckt, doch sein Vorsatz schien mir zu radikal.
Schon am ersten Morgen hatte Benjamin verschlafen. In der Rumänischstunde konnte er sich nicht konzentrieren, nach einer durchfeierten Nacht war mit ihm den ganzen Tag nichts anzufangen. Kein einziges Mal schaffte er es, bei unserem Morgenlauf mitzumachen. In der Dorfbar jedoch war er bekannt als einer der Letzten, die nach Hause gingen. Es lief alles genau so weiter wie vorher, ja es wurde eher ärger. Wir redeten und redeten. Ich aber hatte andere Probleme. Unser Gitarrelehrer war ausgefallen, und ich stand mit zehn Schülern da, die unbedingt etwas lernen wollten. So bat ich Benjamin, für eine Woche den Unterricht zu übernehmen; er sollte bloß mit den Anfängern einfache Griffe üben. Er erklärte sich bereit, auszuhelfen, und fragte nach einigen rumänischen Wörtern, um sich zu verständigen. Die Schüler machten Fortschritte, nicht weil er gut Gitarre spielen konnte, sondern weil sie ihn mochten. Das weckte in ihm überraschende Kräfte. Benjamin ist geblieben.
Benjamin wollte die totale Veränderung, gelungen ist sie aber erst durch den kleinen Zufall. Auch der Apostel Petrus ging aufs Ganze. Zuerst wollte er sich von Jesus keinesfalls die Füße waschen lassen, nun aber Füße, Hände und Haupt; im Vollbad möchte er die Nähe zu Jesus erfahren. Jesus aber will ihm nur die Füße waschen. Das genügt und sagt alles.
Wenn ein Glied gewaschen wird, spricht es für alle anderen, sie werden in die Liebe eingebunden, die im Waschen symbolisiert ist. Pars pro toto, ein Teil spricht für den ganzen Körper.
Als wir Kinder waren, zeichnete uns unsere Mutter gerne mit Weihwasser ein Kreuz auf die Stirne, wenn wir das Haus verließen, besonders vor schweren Schularbeiten. Worte wären zu viel gewesen, die Spannung war schon groß genug. Ich fühle noch nach, wie mir der nasse Finger meiner Mutter Sicherheit gab: Es wird gut gehen. Daran musste ich denken, als ich unlängst bei einer Taufe war und die jungen Eltern und die Paten vom Priester angeleitet wurden, dem Kind mit dem Daumen ein Kreuzzeichen auf die Stirn zu machen, als Zeichen, dass es jetzt zu Christus gehört.
Als Petrus und Benjamin aufs Ganze gingen, scheiterten sie. Der kleine Schritt aber, die Füße waschen zu lassen, Gitarre zu lehren, ließ sie Boden unter den Füßen spüren und dem großen Ziel näher kommen. Petrus wurde zum Fels für Jesus, und Benjamin lief bald morgens eine ganze Stunde mit uns.