Elijah & seine Raben. Georg Sporschill
Читать онлайн книгу.rumänischen Nachbarn, den Roma unten im Dorf und den echten Zigeunern, die stolz auf ihre Kultur sind. Alle singen für Kathi ein rumänisches Volkslied, Moise trommelt, Kinder toben um den Tisch. Ica springt auf und tanzt, ihr roter Rock zieht einen großen Kreis. Jeder ist willkommen, jeder hat mitgeholfen, im Grunde sprechen alle eine gemeinsame Sprache. Was für ein buntes Fest!
Was macht ein Essen zum Mahl? Ablesen können wir es am Seder-Mahl, dem jährlichen Ostermahl, das Jesus mit Israel feiert, wie alle Juden bis zum heutigen Tag. Dieses Mahl ist der Höhepunkt der Tischkultur. Wochenlang wird es vorbereitet, der alte Sauerteig wird aus dem Haus entfernt, das Haus bis in die letzte Ecke gesäubert. Ein besonderes Geschirr kommt auf den Tisch. Alle Speisen haben einen tieferen Sinn: Die bitteren Kräuter erinnern an schwere Tage, rotes Gemüse an die Fronarbeit mit Ziegeln. Der Jüngste am Tisch stellt Fragen zum Sinn des Festes, der Hausvater antwortet mit Geschichten aus der Bibel und aus der Familie. Zehn Tropfen Wein werden auf das Tischtuch gegeben, sie erinnern an die zehn Plagen, die über den Pharao kommen mussten, bis er das Volk in die Freiheit ziehen ließ. Die Speisenabfolge wird von Gesängen begleitet. Vier Becher Wein werden mit Freude getrunken und Gott mit dem Halleluja gepriesen. Bei diesem Essen – es ist die Nacht der Befreiung – stiftet Jesus das Abendmahl, damit wir, die Vielen, zu Dienern der Freude für alle werden.
Beim Mahl mit Freunden am Familientisch und in der heiligen Messe erleben wir Zusammengehörigkeit, Dankbarkeit über das erfahrene Glück und verspüren die Kraft, den Weg der Freiheit weiterzugehen und für die Befreiung zu kämpfen. Welche Tischgenossen braucht es dazu? Welche Themen kommen auf den Tisch? Was gibt es zu essen und welche Worte sind vorbereitet − Gebete, Dank, Erinnerungen, Zukunftspläne? Wann wird aus dem Essen ein Mahl, bei dem wir die Freiheit mit allen Sinnen erleben?
Ein teuflischer Gewinn
Über die positive Rolle des Teufels. Wer ist bei uns der
Judas, der Verwirrer und Unruhestifter? Wer durchbricht
die Vorstellungen und engen Grenzen?
Ruth Zenkert
Und der Teufel hatte Judas, dem Sohn des Simon Iskariot,
schon ins Herz gegeben, ihn auszuliefern.
JOHANNES 13,2
Mit ein paar jungen Leuten waren wir in ein desolates altes Bauernhaus eingezogen, jetzt war es eine Baustelle. Der neue Tag begann mit einer Aufregung: Angela hatte in der Nacht das Tor unseres Hofs zugesperrt und den Schlüssel in ihre Jackentasche gesteckt; nun war er weg und nicht mehr zu finden. Auch der heilige Antonius half nicht. Die Suche drückte die Stimmung. Eine Stunde später kam Moise – mein ewiger Schützling aus Bukarest − in die Küche und hielt den großen Schlüssel in die Höhe. Er behauptete, er habe ihn beim Bauschutt gefunden, die Arbeiter hätten ihn dort hingeworfen. Aber es war klar, er selbst hatte den Schlüssel geklaut, damit er nach Belieben kommen und gehen konnte. Ich wollte ihn zur Rede stellen, da war er schon verschwunden. Am Abend war er immer noch nicht zurück. Wir gingen zu den Nachbarn und klopften an der Türe. Dort saß Moise glücklich mit den Kindern, sie waren schon dicke Freunde geworden. Widerwillig kam er mit nach Hause. Dort fielen alle über den Dieb her. Sie beschimpften ihn, fragten mich, warum er bei uns sein dürfe, er sei eine Zumutung für alle. Am nächsten Tag ging ich mit Moise durchs Dorf, um in Ruhe mit ihm zu reden. Doch von Ruhe war keine Rede – alle kannten ihn, jeder grüßte ihn. Auch der Pfarrer erwartete ihn am Sonntag im Gottesdienst, er hatte einen besonderen Platz neben der Ikone reserviert. Durch Moise wissen die Leute, wer wir sind, und haben uns aufgenommen. Er, selbst ein Roma, sperrt uns das Tor auf zu den Herzen der Roma.
Moise hat mich gelehrt, den Teufel mit neuen Augen zu sehen. In unserem Text steht im Griechischen diábolos, wörtlich übersetzt ist das der Verwirrer, der Unruhestifter. Dieser Verwirrer sitzt im Kronrat Gottes. Im Buch Ijob treten die Gottessöhne vor den Herrn, mit ihnen kommt auch der Teufel (Ijob 1,6). Gott gibt ihm den Ijob mitsamt seinem Besitz in die Hand und erlaubt ihm, den Untadeligen auf die Probe zu stellen. Durch diese Verwirrungen soll Ijob zu tiefster Menschlichkeit gelangen und den Hochmut des Heiligen ablegen.
Ähnlich positiv oder zumindest ambivalent ist, was der Teufel mit Judas treibt. Er legt ihm ins Herz, Jesus auszuliefern. Judas sprengt die religiösen Grenzen des Judentums und treibt Jesus und das Heil, das er bringt, in die Hände der Heiden. Pilatus, der Vertreter des Römischen Reiches, steht für die verlorene Welt, in der die Menschenwürde nichts gilt und jede Orientierung fehlt. Dorthin überliefert Judas, vom Teufel getrieben, das Heil. Jesus hat bewusst diesen Judas in den Kreis seiner Zwölf genommen. Er braucht offensichtlich den Verwirrer, der dem Heil das Tor zur Welt öffnet.
Der Teufel ist schwer auszuhalten. Moise führt mich fast täglich an meine Grenzen und darüber hinaus. Doch er durchbricht die Mauern hin zur Welt der Roma, die wir kennen lernen wollen und in der wir arbeiten möchten.
Wer ist bei uns der Judas, der Verwirrer und Unruhestifter? Wer durchbricht die Vorstellungen und engen Grenzen?
Zurück zu den Wurzeln
Meine Herkunft gibt mir Zukunft.
Wo bin ich aufgewachsen? Was trägt mich,
das ich von dort mitbekommen habe?
Josef Steiner
Jesus, der wusste, dass er von Gott gekommen war
und zu Gott zurückkehrte.
JOHANNES 13,3
Gott erschuf den Menschen erst am letzten Schöpfungstag. Warum? Damit der Mensch nicht überheblich sei und nie vergesse, dass selbst das geringste Lebewesen vor ihm da war. Gott erschuf Adam allein. Warum? Damit die Nachkommen sich nicht untereinander zu vergleichen beginnen und sagen: Mein Vater ist größer als deiner, berühmter und reicher; meine Mutter schöner, klüger und tüchtiger als deine; meine Eltern von besserer Herkunft, edler, gebildeter als deine. Schließlich formte Gott mit eigenen Händen den Menschen aus Erde, die er aus allen fünf Erdteilen nahm. Warum? Damit nicht die Menschen eines Landes, einer Rasse, eines Volkes überheblich werden und sich erwählter und besser dünken als die anderen. Diese Wurzel seiner Herkunft soll der Mensch nie vergessen. So weit eine mythische jüdische Auslegung der biblischen Schöpfungserzählung.
Die Herkunft Jesu drückt die Bibel in einem für uns fremden Bild aus. Er ruhte vor seiner Geburt am Herzen des Vaters und kam dann in die Welt, um von ihm zu erzählen. Gemeint ist damit, dass Jesus von klein auf die Worte der Bibel in und an sein Herz nahm, dass er sie auswendig lernte. Als Zwölfjähriger konnte er deshalb mit den Schriftgelehrten im Tempel ein Bibelgespräch führen, bei dem alle über die Fragen und Antworten dieses jungen Menschen staunten. Seinen verunsicherten Eltern musste er sagen, dass die Bibel jetzt sein Haus sein würde, in dem er in Zukunft selbstständig wohnen wolle. Bei allen wichtigen Entscheidungen in seiner Arbeit ging er in die Stille und Einsamkeit, damit er – um im Bild zu bleiben – mit seinem Ohr auf den Herzschlag seines Vaters hören konnte. Wen sollte er als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auswählen? Wie auf die Überforderung und Aggressionen der Verantwortlichen reagieren? Sollte er mehr als Arzt und Therapeut oder als Prediger und Prophet oder als Politiker und König aktiv werden? Bezugspunkt seiner Entscheidungen blieb Gott so sehr, dass die Bibel am Ende seines Lebens bezeugen konnte, Jesus habe gewusst, »dass er von Gott gekommen war und zu Gott zurückkehrte«. Seine Herkunft bestimmt seine Zukunft. Auch sie wird die Bibel dann in ein Bild fassen – in seiner Erhöhung zur Rechten des Vaters.
Where do you come from? Woher kommen Sie? Es ist die erste Frage, die man gewöhnlich in der Fremde gestellt bekommt. Reinhard Fendrichs I am from Austria, Gert Steinbäckers Kultsong Fürstenfeld − seit 1984 millionenfach, bei fast jedem größeren und kleineren Fest gespielt und gesungen − zeigen, wie sehr die Menschen über ihre Wurzeln nachdenken. Die Vorarlberger gelten als tüchtig, die Tiroler als stur. Ich selbst habe mich lange geschämt, aus Osttirol zu kommen und von armen Bauern abzustammen. Inzwischen hat sich das geändert. Das Menschenbild der Bibel hat dabei geholfen. Meine Herkunft gibt mir Zukunft. Wo bin ich aufgewachsen? Was trägt mich, das ich von dort mitbekommen habe?